Der Sch
indem man von beiden Seiten neugierig ist, wie eine so offen-
bar verloren scheinende Partie gewonnen werden könne, und
Mandler übernimmt die zusammengeschmolzenen Truppen des ge-
schlagenen Gegners.
Er bietet mit der Königin Schach und abermals Schach und
zum drittenmal Schach. Es find dies ziemlich unschuldige Züge,
aber durch die Schnelligkeit, mit der sie gethan werden, verliert
der ohnehin weniger geübte und unaufmerksame Gegner seine
Besonnenheit; er stellt seinen Läufer vor den König und gibt
dadurch dessen Flanke Preis.
Abermals Schach! und wieder Schach! und zum dritten-
male Schach. Jetzt bringt Mandler noch seinen Springer in's
Gefecht, und bietet mit dem Springer Schach. Der Gegner,
ganz und gar verwirrt, zieht den König auf ein verhängniß-
! volles Feld. „Schach dem König und Schach dem Thurm!"
i ruft Dr. Mandler. Der vermaledeite Springer! Des Geg-
ners Thurm, eine Hauptbasis für seine Operationen, wird von
dem Springer geschlagen, der freilich seinerseits gegen den
feindlichen Läufer fällt; aber ein Bauer hat seine Deckung
verloren; dieser wird durch Mandlers Königin genommen, und
der verhängnißvolle Schreckensruf Schach tönt abermals aus
Mandlers Munde. Jetzt fällt auch der Läufer; des Gegners
Königin ist durch ihre Stellung ohnedies gelähmt, während
Mandlers Königin den flüchtigen König des Widerparts Schritt
für Schritt verfolgt und aus seinen Schlupfwinkeln, die er
hinter diesem oder jenem Bauer nehmen will, auf und ins
Freie jagt. Die Bauern fallen bis auf einen; jetzt steht das
Spiel gleich, da auch Mandler noch einen Bauer besitzt, der
ihm das Spiel gewonnen machen muß. Mandler bietet mit
der Königin Schach; der Gegner zieht seine Königin vor und
; Mandler zwingt ihn zum Abtausch. Mandlers Bauer zieht
siegreich in die Position der Königin ein, wird nun selbst zur
Königin creirt und entscheidet die Schlacht, während der Geg-
ner seinen Bauer, wie in Verzweiflung, blind vor sich hinstößt,
und auch diesen letzten Mann noch verliert. Er will den schmerz-
lichen Ruf „Schachmatt" nicht erst hören und verläßt ärgerlich
und verstimmt den Kampfplatz.
Welche Verzweiflung spiegelt sich aber in Mandlers Zügen,
wenn er einmal zu ungelegener Zeit auf das Cafs kommt, wo
bereits alle Schachspieler in voller Thätigkeit sind. Nie ist er
nach einer Partie so lüstern gewesen, als gerade heut, und nie waren
die Aussichten auf eine Partie so weit in die Ferne geschoben!
Er wendet sich an Mehrere, welche den Schachspielern zu-
sehen. und trägt ihnen eine Partie an. Alle refusiren. Er
wendet sich an einen Anfänger; dieser macht große Augen,
entschuldigt sich mit seiner Mittelmäßigkeit, und meint, mit
einem so ausgezeichneten Spieler könne er keine Partie wagen.
Mandler bittet, fleht, beschwört ihn. Endlich willigt der An-
fänger ein und ersucht nur um möglichst viele Nachsicht.
Mandler bestellt ein Schachspiel. Ein Brett ist noch vorhan-
chspieler. 71
den, aber keine Figuren mehr. Man sucht aus alten defekten
Schachspielen ein vollständiges zusammenzustellen, Königinnen
ohne Krone, Könige ohne Kopf, Läufer ohne Füße, Springer
ohne Rößchen; man ersetzt die fehlenden Bauern durch Kupfer- i
Pfennige — das Alles sieht so bunt und venvorren aus, wie
eine geschlagene Armee. Man beginnt zu ziehen, aber der An- I
fänger bringt die ohnehin verworrene Masse in die heilloseste
Verwirrung; man muß den Versuch aufgeben.
Ein Fremder erbarmt sich endlich des Unglücklichen und bietet
ihm eine Partie an, für den Fall daß ein Schachspiel erledigt
wird. Die Partieen dauern heut so ewig lang; der Fremde hat
noch ein Geschäft, verspricht wieder zu kommen und empfiehlt
sich. Mandler vergrübt sich in ein Journal, aber alle Lettern
verwandeln sich ihm in Schachfiguren. Mandler weiß nicht,
was er liest. Unruhig blickt er nach der Thür. Der Fremde
muß Abhaltung haben, er kommt nicht wieder. Es dämmert
bereits. Mandler hatte heute gerade seinen guten Tag, erwürbe
die glänzendsten Siege erfochten haben; es soll nicht sein, alle
Verhältnisse und Personen haben sich gegen ihn verschworen.
Mandler leidet mehr, als je ein Mensch gelitten hat. Und
welche Nacht! er kann nicht schlafen, er zieht in der Vorstellung
Schach; seine schon längst untergrabene Natur leistet nicht mehr
Widerstand, er fällt in ein hitziges Fieber, er phantasirt vom
Schachspiel.
Treten wir an sein Lager. Die Bauern wachsen vor
seinen Augen und werden .zu wirklichen Bauern mit Sensen
und Heugabeln; die Springer verwandeln sich in glänzend
geharnischte und behelmte Kuiraffiere; die Thürme erweitern
sich zu Festungen mit Mauern unv Schießscharten, die Läufer
werden zu Grenadieren mit gewaltigen Bärenmützen; die
Königin sitzt als Amazone hoch zu Roß, der Schach dehnt
seine Glieder und läßt sich von Odalisken Kühlung fächeln.
Mandler ruft im Fiebertraum: Vorwärts, ihr Bauern! brecht
die Reihen im Mittelpunkt! Falle, wer fällt! Nach ihr Läu-
fer, der Weg ist gebahnt! Vorwärts, Königin, setze dich fest in
Feindesland! Springer, deckt euch, haltet aneinander; wer
will euch widerstehen? Schweres Geschütz, ihr Thürme, als Re-
serve, stellt euch auf, einer hinter dem andern, entscheidet zum
Keil geordnet, den heißen Tag! Sie fällt, die Königin des Geg-
ners, ein gemeiner Läufer schlug sie! die Reihen lichten sich.
Auf, feindlicher Herrscher, aus träger Ruhe; die Bewegung schadet
dir nicht! Flüchte hinter deine wenigen Bauern, die kernfelle
Stütze des Staats! Vergebens! Wir dringen nach! Schach und
Schach und abermals Schach, und Schachmatt!"
Mit diesen Worten sinkt Mandler in das Kissen zurück; ein
seliges Lächeln spielt um seine Lippen — er ist verschieden!
indem man von beiden Seiten neugierig ist, wie eine so offen-
bar verloren scheinende Partie gewonnen werden könne, und
Mandler übernimmt die zusammengeschmolzenen Truppen des ge-
schlagenen Gegners.
Er bietet mit der Königin Schach und abermals Schach und
zum drittenmal Schach. Es find dies ziemlich unschuldige Züge,
aber durch die Schnelligkeit, mit der sie gethan werden, verliert
der ohnehin weniger geübte und unaufmerksame Gegner seine
Besonnenheit; er stellt seinen Läufer vor den König und gibt
dadurch dessen Flanke Preis.
Abermals Schach! und wieder Schach! und zum dritten-
male Schach. Jetzt bringt Mandler noch seinen Springer in's
Gefecht, und bietet mit dem Springer Schach. Der Gegner,
ganz und gar verwirrt, zieht den König auf ein verhängniß-
! volles Feld. „Schach dem König und Schach dem Thurm!"
i ruft Dr. Mandler. Der vermaledeite Springer! Des Geg-
ners Thurm, eine Hauptbasis für seine Operationen, wird von
dem Springer geschlagen, der freilich seinerseits gegen den
feindlichen Läufer fällt; aber ein Bauer hat seine Deckung
verloren; dieser wird durch Mandlers Königin genommen, und
der verhängnißvolle Schreckensruf Schach tönt abermals aus
Mandlers Munde. Jetzt fällt auch der Läufer; des Gegners
Königin ist durch ihre Stellung ohnedies gelähmt, während
Mandlers Königin den flüchtigen König des Widerparts Schritt
für Schritt verfolgt und aus seinen Schlupfwinkeln, die er
hinter diesem oder jenem Bauer nehmen will, auf und ins
Freie jagt. Die Bauern fallen bis auf einen; jetzt steht das
Spiel gleich, da auch Mandler noch einen Bauer besitzt, der
ihm das Spiel gewonnen machen muß. Mandler bietet mit
der Königin Schach; der Gegner zieht seine Königin vor und
; Mandler zwingt ihn zum Abtausch. Mandlers Bauer zieht
siegreich in die Position der Königin ein, wird nun selbst zur
Königin creirt und entscheidet die Schlacht, während der Geg-
ner seinen Bauer, wie in Verzweiflung, blind vor sich hinstößt,
und auch diesen letzten Mann noch verliert. Er will den schmerz-
lichen Ruf „Schachmatt" nicht erst hören und verläßt ärgerlich
und verstimmt den Kampfplatz.
Welche Verzweiflung spiegelt sich aber in Mandlers Zügen,
wenn er einmal zu ungelegener Zeit auf das Cafs kommt, wo
bereits alle Schachspieler in voller Thätigkeit sind. Nie ist er
nach einer Partie so lüstern gewesen, als gerade heut, und nie waren
die Aussichten auf eine Partie so weit in die Ferne geschoben!
Er wendet sich an Mehrere, welche den Schachspielern zu-
sehen. und trägt ihnen eine Partie an. Alle refusiren. Er
wendet sich an einen Anfänger; dieser macht große Augen,
entschuldigt sich mit seiner Mittelmäßigkeit, und meint, mit
einem so ausgezeichneten Spieler könne er keine Partie wagen.
Mandler bittet, fleht, beschwört ihn. Endlich willigt der An-
fänger ein und ersucht nur um möglichst viele Nachsicht.
Mandler bestellt ein Schachspiel. Ein Brett ist noch vorhan-
chspieler. 71
den, aber keine Figuren mehr. Man sucht aus alten defekten
Schachspielen ein vollständiges zusammenzustellen, Königinnen
ohne Krone, Könige ohne Kopf, Läufer ohne Füße, Springer
ohne Rößchen; man ersetzt die fehlenden Bauern durch Kupfer- i
Pfennige — das Alles sieht so bunt und venvorren aus, wie
eine geschlagene Armee. Man beginnt zu ziehen, aber der An- I
fänger bringt die ohnehin verworrene Masse in die heilloseste
Verwirrung; man muß den Versuch aufgeben.
Ein Fremder erbarmt sich endlich des Unglücklichen und bietet
ihm eine Partie an, für den Fall daß ein Schachspiel erledigt
wird. Die Partieen dauern heut so ewig lang; der Fremde hat
noch ein Geschäft, verspricht wieder zu kommen und empfiehlt
sich. Mandler vergrübt sich in ein Journal, aber alle Lettern
verwandeln sich ihm in Schachfiguren. Mandler weiß nicht,
was er liest. Unruhig blickt er nach der Thür. Der Fremde
muß Abhaltung haben, er kommt nicht wieder. Es dämmert
bereits. Mandler hatte heute gerade seinen guten Tag, erwürbe
die glänzendsten Siege erfochten haben; es soll nicht sein, alle
Verhältnisse und Personen haben sich gegen ihn verschworen.
Mandler leidet mehr, als je ein Mensch gelitten hat. Und
welche Nacht! er kann nicht schlafen, er zieht in der Vorstellung
Schach; seine schon längst untergrabene Natur leistet nicht mehr
Widerstand, er fällt in ein hitziges Fieber, er phantasirt vom
Schachspiel.
Treten wir an sein Lager. Die Bauern wachsen vor
seinen Augen und werden .zu wirklichen Bauern mit Sensen
und Heugabeln; die Springer verwandeln sich in glänzend
geharnischte und behelmte Kuiraffiere; die Thürme erweitern
sich zu Festungen mit Mauern unv Schießscharten, die Läufer
werden zu Grenadieren mit gewaltigen Bärenmützen; die
Königin sitzt als Amazone hoch zu Roß, der Schach dehnt
seine Glieder und läßt sich von Odalisken Kühlung fächeln.
Mandler ruft im Fiebertraum: Vorwärts, ihr Bauern! brecht
die Reihen im Mittelpunkt! Falle, wer fällt! Nach ihr Läu-
fer, der Weg ist gebahnt! Vorwärts, Königin, setze dich fest in
Feindesland! Springer, deckt euch, haltet aneinander; wer
will euch widerstehen? Schweres Geschütz, ihr Thürme, als Re-
serve, stellt euch auf, einer hinter dem andern, entscheidet zum
Keil geordnet, den heißen Tag! Sie fällt, die Königin des Geg-
ners, ein gemeiner Läufer schlug sie! die Reihen lichten sich.
Auf, feindlicher Herrscher, aus träger Ruhe; die Bewegung schadet
dir nicht! Flüchte hinter deine wenigen Bauern, die kernfelle
Stütze des Staats! Vergebens! Wir dringen nach! Schach und
Schach und abermals Schach, und Schachmatt!"
Mit diesen Worten sinkt Mandler in das Kissen zurück; ein
seliges Lächeln spielt um seine Lippen — er ist verschieden!