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Der letzte Virtuose.
hatte er die Musik nur mechanisch gelernt, um diese Zeit aber
wurde er in die Geheimnisse der Notenwelt eingeweiht. Zugleich
lernte er jetzt die Anfangsgründe im Lesen und Schreiben, eine
Kunst, in welcher er, beiläufig gesagt, nie große Fortschritte
machte, da er sie immer nur als eine Nebensache betrieb, und
die er vielleicht gar nie gelernt hätte, wenn die Lieder ohne
Worte nicht zu seiner Zeit wieder abgekommen gewesen wären.
Ein geistreicher Klaviermacher erfand für den genialen
Knaben ein Toppelinstrument, auf dem er mit Händen und
Füßen zugleich spielen konnte, wodurch er die großartigsten
Wirkungen hervorbrachte. —
Lokomotiv war neun Jahre alt, als er seine Reise durch
Europa, Nordamerika und Westindien machte; an keinem Orte
blieb er länger als drei Tage, an vielen nur einige Stunden,
so lange man nämlich braucht, um einige Erfrischungen zu
nehmen und ein Concert aus vier Pieren zu geben. Er durfte
diese Stücke nicht erst einstndieren, denn er spielte um jene
Zeit überall die nämlichen. Die Ankündigungen flogen seiner
Ankunft voraus, und wohin er kam, überall war für sein
Concert Alles arrangirt. Er hatte nichts weiter zu thun
als den ihn an den Stadtthoren empfangenden Municipali-
täten in die Salons zu folgen und zu spielen. —
In diesem Jahre ward er endlich seines großen Genius
bewußt, und er hörte auf, fremde Compositionen zu spielen:
von nun an strahlte er nur im eignen Glanze. —
Als um dieselbe Zeit die Erfindung gemacht wurde, den
Luftballon wie das beste Dampf- und Segelschiff gegen Luft-
strömung und Winde zu lenken, und zugleich eine Aöronau-
tische-Assecuranz-Gesellschaft iit’g Leben trat, vertraute er sich
und sein Instrument dem Ballon an und machte von nun
an alle seine Reisen durch die Luft. —
Auf diese Weise machte er nähere Bekanntschaft mit Peru's
Gold und den Diamanten Brasiliens; China und Japan zoll-
ten seinem Genius Kostbarkeiten aller Art, und der König
von Cochinchina errichtete auf seinen Rath eine Hofkapelle,
die aus lauter reisenden Pianisten und Pianistinnen zusammen-
gesetzt wurde ; mancher ewiger Jude hat dort Ruhe gefunden
in seinem Alter. —
Da Furcht dem Herzen Lokomotivs etwas fremdes war,
so wagte er sich überall hin, zum Kän von Bochara wie zu
den Lnxlisbmeufressern auf Neuseeland, zu den rothen In-
dianern in Texas wie zu den schwarzen Bewohnern von
Mittelafrika, und alle Völker opferten ihm ihre Schätze; viele
derselben hielten ihn für einen Gott, der vom Himmel herab-
kam sie zu beglücken. — Und er liebte es für einen Gott
gehalten zu werden; denn um dieses den Wilden glaublich
zu machen, ließ er auf seinem Ballon, ehe er dem unbewaff-
neten Auge sichtbar wurde, solche mächtige Akkorde erschallen,
daß die Luft davon erzitterte und die Beivohner vieler Gegen-
den, die ihn zuvor hörten, ehe sie ihn sahen, auf den Knieen
seiner Ankunft entgegensahen. —
Auf allen seinen Reisen wurde er von seinem Vater be-
gleitet, der die Dienste eines Einnehmers, Packers und
Spediteurs der Schätze seines Sohnes versah.
Lokomotiv war vierzehn Jahre alt, als er von seiner aöronau- !
tischen Kunstreise nach Deutschland zurückkehrte. Brust, Rücken
und Leib waren reich mit Orden geschmückt, unter denen weder
die kaiserlich reußischen, noch die fürstlich reußischen fehlten,
als er seinen Einzug in seiner Vater-
stadt hielt. Man hatte die beiden
höchsten Thürme der Stadt durch
einen Triumphbogen verbunden, durch
welchen der Ballon langsam herab-
gelassen wurde. Auf der Gallerte der
Triuinphpforte feierte ein 3000 Mann
starkes Musikchor, das aus lauter
Blasinstrumenten bestand, in einem
De äeum lanäamns seine glückliche
Zurückkunst. Doch mit ein paar
Klängen seines in Hintcrindien von
ihm verbesserten und vergrößerten
Rieseninstruments übertönte Lokomotiv zu gleicher Zeit das
schallende Lebehoch und Hervorrufen des harrenden Volks
und die 3000 Blasinstrumente.-
In diesem Momente starb die Mutter des großen Vir-
tuosen den schönsten Tod, den Tod der Freude!
Am andern Tage las man in den Blättern der Residenz:
„Der Kaiser aller Pianisten, Lokomotiv, ist im Triumphe in
seine Vaterstadt eingezogen; die unendliche Freude über des
Sohnes himmelstreifende Größe hat seiner liebenden Mutter
das Herz gebrochen, und sie im Augenblicke des höchsten
Jubels getödtet. Lokomotiv dadurch in tiefe Trauer versetzt, j
hat zu beschließen geruht, ein Jahrlang sich von allen Con-
certen und Festlichkeiten fern zu halten. Wegen dieses Be- ,
schlusses hat man in der ganzen Stadt Trauer angelegt und
Theater und Tanzsäle bleiben für sechs Wochen gesperrt." Es ;
war dieses der 1. Januar im Jahre 19—.
Noch vor der Beerdigung war Lokomotiv in der Stille der !
Nacht mit seinem Ballon und seinem Vater davon geflogen,
um in der tiefen Einsamkeit von Hochasien in der Umgebung
von Dawalagiri ungestört der Trauer zu pflegen.
Nachdem er dort ein Jahr in der tiefsten Zurückgezogenheit
gelebt hatte, faßte er den Entschluß, seiner Mutter eine Todten-
feier zu bereiten, wie sie unerhört war seit dem Anfänge der
Well. Zu diesem Zwecke sandte er seinen Vater nach Europa
zurück und ließ alle Musiker der Erde zu eineni feierlichen
Concertc auf den 17. Januar des zweitfolgenden Jahres nach :
der Insel Sicilien einladen. Kein Laie, kein Dilettant sollte ;
Zutritt haben, sondern nur die, welche Musik zum Lebens-
zwecke gewählt. Das Nähere über dieses Concert würde
seiner Zeit in allen Blättern bekannt gemacht werden.
Mit der Schnelligkeit des Blitzes durchzuckte diese Nachricht .
die ganze gebildete Welt, und großer Jubel herrschte unter den
Jüngern der tönenden Muse; Viele aber aus andern Ständen
gaben ihre Gewerbe auf und widmeten ihr Leben der Musik, j
um nur Zutritt zu jenem großen Concerte zu erlangen, und -
die Welt ward in diesen Tagen gereinigt von einer großen
Plage: von den Musik-Dilettanten, denn Viele derselben ersäuf-
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Der letzte Virtuose.
hatte er die Musik nur mechanisch gelernt, um diese Zeit aber
wurde er in die Geheimnisse der Notenwelt eingeweiht. Zugleich
lernte er jetzt die Anfangsgründe im Lesen und Schreiben, eine
Kunst, in welcher er, beiläufig gesagt, nie große Fortschritte
machte, da er sie immer nur als eine Nebensache betrieb, und
die er vielleicht gar nie gelernt hätte, wenn die Lieder ohne
Worte nicht zu seiner Zeit wieder abgekommen gewesen wären.
Ein geistreicher Klaviermacher erfand für den genialen
Knaben ein Toppelinstrument, auf dem er mit Händen und
Füßen zugleich spielen konnte, wodurch er die großartigsten
Wirkungen hervorbrachte. —
Lokomotiv war neun Jahre alt, als er seine Reise durch
Europa, Nordamerika und Westindien machte; an keinem Orte
blieb er länger als drei Tage, an vielen nur einige Stunden,
so lange man nämlich braucht, um einige Erfrischungen zu
nehmen und ein Concert aus vier Pieren zu geben. Er durfte
diese Stücke nicht erst einstndieren, denn er spielte um jene
Zeit überall die nämlichen. Die Ankündigungen flogen seiner
Ankunft voraus, und wohin er kam, überall war für sein
Concert Alles arrangirt. Er hatte nichts weiter zu thun
als den ihn an den Stadtthoren empfangenden Municipali-
täten in die Salons zu folgen und zu spielen. —
In diesem Jahre ward er endlich seines großen Genius
bewußt, und er hörte auf, fremde Compositionen zu spielen:
von nun an strahlte er nur im eignen Glanze. —
Als um dieselbe Zeit die Erfindung gemacht wurde, den
Luftballon wie das beste Dampf- und Segelschiff gegen Luft-
strömung und Winde zu lenken, und zugleich eine Aöronau-
tische-Assecuranz-Gesellschaft iit’g Leben trat, vertraute er sich
und sein Instrument dem Ballon an und machte von nun
an alle seine Reisen durch die Luft. —
Auf diese Weise machte er nähere Bekanntschaft mit Peru's
Gold und den Diamanten Brasiliens; China und Japan zoll-
ten seinem Genius Kostbarkeiten aller Art, und der König
von Cochinchina errichtete auf seinen Rath eine Hofkapelle,
die aus lauter reisenden Pianisten und Pianistinnen zusammen-
gesetzt wurde ; mancher ewiger Jude hat dort Ruhe gefunden
in seinem Alter. —
Da Furcht dem Herzen Lokomotivs etwas fremdes war,
so wagte er sich überall hin, zum Kän von Bochara wie zu
den Lnxlisbmeufressern auf Neuseeland, zu den rothen In-
dianern in Texas wie zu den schwarzen Bewohnern von
Mittelafrika, und alle Völker opferten ihm ihre Schätze; viele
derselben hielten ihn für einen Gott, der vom Himmel herab-
kam sie zu beglücken. — Und er liebte es für einen Gott
gehalten zu werden; denn um dieses den Wilden glaublich
zu machen, ließ er auf seinem Ballon, ehe er dem unbewaff-
neten Auge sichtbar wurde, solche mächtige Akkorde erschallen,
daß die Luft davon erzitterte und die Beivohner vieler Gegen-
den, die ihn zuvor hörten, ehe sie ihn sahen, auf den Knieen
seiner Ankunft entgegensahen. —
Auf allen seinen Reisen wurde er von seinem Vater be-
gleitet, der die Dienste eines Einnehmers, Packers und
Spediteurs der Schätze seines Sohnes versah.
Lokomotiv war vierzehn Jahre alt, als er von seiner aöronau- !
tischen Kunstreise nach Deutschland zurückkehrte. Brust, Rücken
und Leib waren reich mit Orden geschmückt, unter denen weder
die kaiserlich reußischen, noch die fürstlich reußischen fehlten,
als er seinen Einzug in seiner Vater-
stadt hielt. Man hatte die beiden
höchsten Thürme der Stadt durch
einen Triumphbogen verbunden, durch
welchen der Ballon langsam herab-
gelassen wurde. Auf der Gallerte der
Triuinphpforte feierte ein 3000 Mann
starkes Musikchor, das aus lauter
Blasinstrumenten bestand, in einem
De äeum lanäamns seine glückliche
Zurückkunst. Doch mit ein paar
Klängen seines in Hintcrindien von
ihm verbesserten und vergrößerten
Rieseninstruments übertönte Lokomotiv zu gleicher Zeit das
schallende Lebehoch und Hervorrufen des harrenden Volks
und die 3000 Blasinstrumente.-
In diesem Momente starb die Mutter des großen Vir-
tuosen den schönsten Tod, den Tod der Freude!
Am andern Tage las man in den Blättern der Residenz:
„Der Kaiser aller Pianisten, Lokomotiv, ist im Triumphe in
seine Vaterstadt eingezogen; die unendliche Freude über des
Sohnes himmelstreifende Größe hat seiner liebenden Mutter
das Herz gebrochen, und sie im Augenblicke des höchsten
Jubels getödtet. Lokomotiv dadurch in tiefe Trauer versetzt, j
hat zu beschließen geruht, ein Jahrlang sich von allen Con-
certen und Festlichkeiten fern zu halten. Wegen dieses Be- ,
schlusses hat man in der ganzen Stadt Trauer angelegt und
Theater und Tanzsäle bleiben für sechs Wochen gesperrt." Es ;
war dieses der 1. Januar im Jahre 19—.
Noch vor der Beerdigung war Lokomotiv in der Stille der !
Nacht mit seinem Ballon und seinem Vater davon geflogen,
um in der tiefen Einsamkeit von Hochasien in der Umgebung
von Dawalagiri ungestört der Trauer zu pflegen.
Nachdem er dort ein Jahr in der tiefsten Zurückgezogenheit
gelebt hatte, faßte er den Entschluß, seiner Mutter eine Todten-
feier zu bereiten, wie sie unerhört war seit dem Anfänge der
Well. Zu diesem Zwecke sandte er seinen Vater nach Europa
zurück und ließ alle Musiker der Erde zu eineni feierlichen
Concertc auf den 17. Januar des zweitfolgenden Jahres nach :
der Insel Sicilien einladen. Kein Laie, kein Dilettant sollte ;
Zutritt haben, sondern nur die, welche Musik zum Lebens-
zwecke gewählt. Das Nähere über dieses Concert würde
seiner Zeit in allen Blättern bekannt gemacht werden.
Mit der Schnelligkeit des Blitzes durchzuckte diese Nachricht .
die ganze gebildete Welt, und großer Jubel herrschte unter den
Jüngern der tönenden Muse; Viele aber aus andern Ständen
gaben ihre Gewerbe auf und widmeten ihr Leben der Musik, j
um nur Zutritt zu jenem großen Concerte zu erlangen, und -
die Welt ward in diesen Tagen gereinigt von einer großen
Plage: von den Musik-Dilettanten, denn Viele derselben ersäuf-
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der letzte Virtuose."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 2.1846, Nr. 39, S. 115
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg