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170

Das L

doch das ist das Loos des Weines auf der Erde. Möge er
sanft ruhen im Magen der Gesellschaft und nie wieder das Licht
der Welt erblicken.

Schreibe!, dem im Grunde das ganze Kränzchen zuwider,
und somit die Anstalten doppelt lästig sind, freut sich so weit
fertig zu sein, und trinkt in Gedanken den Rest Bier aus.

Da stürmt es die Treppe herauf; es sind Schreibels Kinder,
die der gestrenge Herr Schulmeister eben losgelaffen hat. Ale-
xander verrannte der geschäftigen Mutter den Weg, und wurde
dafür mit ein paar Rippenstößen bewillkommt. Er flüchtete
sich zum Vater, stieß dabei aber dermaßen an den Tisch, daß
der rebhuhnangige vno äs Llonledello zu tanzen begann, und
sicher einen Purzelbaum geschlagen haben würde, hätte nicht
Schreibe! noch eben zur rechten Zeit Tisch und Duo auf den
Beinen gehalten. Es war ein Glück für Alexander, daß der
Vater mehr philosophische Ruhe besaß als die Mutter, sonst
wäre er sicher aus dem Regen in die Traufe gekommen. Jedoch
Schreibe! strafte mitunter wohl, aber nie ließ er seinen Unmuth
oder seine Ungeduld an seinen Kindern aus.

Jetzt trat auch Mathilde, das Töchterchen, ins Zimmer; unter-
wegs war sie ihrem Bettchen begegnet, das die knurrende Magd
eben auf den Speicher trug. „Mama", fragte die Kleine, „soll
ich denn heute auf dem Speicher schlafen?"

„Jawohl, denn heute haben wir großes Lesekränzchen."

„Ich mag aber nicht auf dem Speicher schlafen, auf dem
Speicher da freffen mich die Mäuse."

„Dummes Zeug, die Mäuse werden dir nichts thun. Sieh
hier Tildchen, den großen Kuchen; wenn ihr recht brav seid,
sollt ihr morgen ein großes Stück davon haben."

„Mama", meinte Alexander, „gib mir das große Stück
lieber gleich."

„Dummer Junge, glaubst du, ich würde dir zu liebe den
theuren Kuchen anschneiden?"

„Ja inorgen, dann ist am Ende wieder nichts davon übrig
geblieben", sagte Alexander mit weinerlicher Stimme, denn trübe
Erinnerungen beschlichen seine Seele.

Die Mutter tröstete und gab ihr Wort, es solle diesmal
an sie gedacht werden. Schreibe! aber trat hinzu und reichte
jedem der Kinder einen Berliner Pfannenkuchen, indem er sagte:
„Worte sind keine Kuchen!"

Die Kinder schienen in der That mehr auf süße Berliner
Pfanncnkuchen. als Worte zu halten und waren befriedigt.

„Jetzt aber drollt euch", fuhr er fort, „geht zu Nachbars
Fritz und Sannchen, kommt vor Schlafengehen nicht wieder,
und stört die Mutter nicht in ihren Operationen; ihr seht, die
hat jetzt wichtigere Sachen im Kopf, als ihre Kinder."

„Aber erst effe ich meinen Berliner Pfannenkuchen", entgeg-
nete Mathilde.

„Weise, meine Tochter, dann brauchst du Mchts mitzunehmen!"

„Und wenn wir dann nach Bett gehen", sagte Alexander,
„so leihst du mir deinen großen Säbel, dann schlag ich alle
Mäuse todt."

„Wohl gesprochen, junger Held Müusetod, sei der Beschützer
j deiner Schwester."

esekränzchen.

Die Geschwister entfernten sich vergnügt, um so verdrießlicher
war indeffcn die Mutter geworden. „Ich weiß nicht, wie du
heute wieder bist, reichen wir doch kaum für die große Gesell-
schaft aus!"

„Laß das", entgegnete Schreibet, „unsre Gäste haben eine
gute Eigenschaft; sie effen nicht mehr als sie kriegen."

Schreibe! wollte nun den Rock gummircn, fand aber zu
seiner Verwunderung kein Bier mehr. Nachdem er sich vergeb-
lich den Kopf zerbrochen, wo es geblieben, sandte er die Magd
von neuem aus. Dies verursachte aber neue Unzufriedenheit
bei seiner Ehehälfte, die deren Hilfe bedurfte; sie murrte laut.

„Ach!" seufzte Schrcibel, „wäre doch das Lesekränzchen schon
vorbei."

„Quälst du mich wieder mit deinen Klagen? Ist es doch
nur der einzige Abend im Jahr; und dazu bringt es uns in
die vornehme Gesellschaft und befördert uns."

„Bis jetzt zum Kanzelistenl" klagte er, „und dabei kostet
mir dieser Abend einen ganzen Monat Gehalt. Wenn man
dabei noch einen guten Schluck Bier hätte und einen tüchtigen
Biffen, etwa ein gutes Stück Rindfleisch. Aber nein, nichts
wie Thee, mein Fabrikat, sauren Wein, und das süße Zeug,
womit man sich den Magen verplempert!"

„Das ist ja eben der Profit, man kann nicht viel davon essen."
„Frau, du kalkulirst falsch! Ja, wenn die Lieutenants nicht
wären, die Lieutenants! Aber so ein Lieutenantsmagen, der ist
auf Zuckerzeug eingerichtet, wie ein Straußenmagen auf Steine.
Es ist unglaublich, was so ein Lieutenant für eine Verheerung
unter Rahmtörtchen und Berliner Pfannenkuchen anrichten kann.
Schade, daß die Franzosen unsre Lieutenants nicht bei ihrer
Fremdenlegion haben, und daß die Kabylen kein Zuckergcbäck
sind, die Lieutenants hätten sie leicht aufgefreffen und mit dem
Abdel Kader wäre es zu Ende."

„Daß ihr Männer es immer mit den Lieutenants haben
müßt!" bemerkte sie.

„Wer? wir oder ihr?" fragte Schreibe!, bei dem jetzt auch
eine trübe Erinnerung aufzutauchen schien. „Wenn ihr sie nicht
hieltet, wir ließen sie gerne gehen. Aber so ein Lielltenant ist
so süß! Das kommt von all dem Zuckergebäck."

„Laste deine Stichelreden", erwiderte sie, „und hilf mir
lieber jetzt das Tafelgestell ordnen."

Seufzend folgte Schreibe!. Und wahrlich, cs war keine
leichte Aufgabe, wozu ihn seine Frau rief. Da nämlich Schreibels
Wohnstube für die große Gesellschaft zu klein war, so sah man
sich zu einem Zwei-Kammer-System genöthigt; dennoch erfordert
ein Lesekränzchen wieder eine Einheit. Es mußte deshalb eine
Tafel geblldet werden, die sich aus der Wohnstube in die Schlaf-
stube erstreckte. Die gewöhnlichen Tische waren aber für heute
alle zu Nebentischen degradirt. Die große Tafel wurde demnach
aus Schrankthüren gebildet, denen Nachttischchen und sonstige
Geräthe, ja selbst der Stickrahmen als Stützen dienen mußten.
Was den Bau jedoch doppelt schwierig machte, war der Um-
stand, daß in der Mitte der Tafel eine Art von Fallbrücke an-
gebracht werden mußte, damit man sich, wie Schrcibel sagte,
aus dem Unterhaus ins Oberhaus verfügen konnte.
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