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Das Lesekränzchen.

Guter Shakspeare! das mochte zu deiner Zeit genügen. Aber
seit dem Jahrhundert, wo in Frankreich die Liederlichkeit vor-
nehmer Ton wurde, genügt es nicht mehr, die Gesunkenen mit
anderweitigen Vorzügen zu schmücken, sondern die Liederlichkeit
selbst muß gehoben und mit zarten Farben geschildert werden.
Je nackter die Busen der Damen wurden, um so prüder ward
die Sprache. Buhlerinnen darfst du noch immer auf die Bühne
bringen, nur kein Torchen Lakenreißer mit ziegelroth geschmink-
ten Wangen, sondern nur solche, die sich gerade so benehmen,
und gerade so aussehen, wie die vornehmen Damen.

Sieh dort unsre Blaustrümpfige, das ist das Muster einer mo-
dern sittlichen Schriftstellerin; sie ist die Mutter von Heranwachsen-
den in der Ehe gezeugten oder doch geborenen Töchtern; das hin-
derte sie aber nicht, einen Roman zu schreiben, in welchem die
Heldin ihrem Liebhaber die Hand verweigert, weil sie die außer-
eheliche Liebe bei Weitem ästhetischer findet, als die eheliche. Aber
mit welcher Zartheit hat sie den kitzlichen Gegenstand behandelt?
Alles in decenten Worten. Sogar den Ausdruck „Kuß" hat sie
vermieden, aus Furcht, man möchte ihn für eine Umschreibung
halten und in französischer Weise auffassen. Wie die Katze um
den heißen Brei ist sie um ihren Gegenstand herumgegangen.
Statt der Sache selbst hat sie die Gefühle geschildert, die sie be-
gleiten, und zwar, soviel ihr immer möglich war, in jenen blüh-
enden, glühenden Worten, die wie spanische Fliegen ins Blut
gehen. Sich! du ungesitteter Shakspeare, das nennt man heut-
zutage Sitte.

Willst du dagegen sehen, was du gemacht hast, so fasse einmal
das Lesekränzchen aufmerksam in's Auge. Du kannst an den Gesich-
tern erkennen, wenn eine Stelle kommt, die man gestrichen, damit
sie öffentlich nicht gelesen wird, und die man heimlich doch liest.
Wie machst du unsere unschuldigen Damen erröthen und wie ver-
legen blicken sie nicht in den Schooß. Und nun vollends unsrejun-
gen Herren, müssen sie sich nicht die Lippen beißen, daß sie nicht
herausplatzen, und somit eine große Ungeschicklichkeit begehen?

181

Doch wir sprechen in den Wind! Dein Geist schwebt nicht
über diesem Kreise! Kehren wir zur Gesellschaft zurück. Aber
da haben wir's. —

Der Polizeirath Kratz, oder vielmehr die Polizeiräthin, hat
übersehen, die letzten Worte der Erzählung von der Fee Mab
zu streichen. Bock las lustig darauf los.

Dies verursachte eine heftige Bewegung unter den Damen,
nur auf Frau Ammer äußerte es keinen Eindruck, denn diese
war unterdessen sanft entschlummert, und wurde erst durch eben
diese Bewegung aus ihren süßen Träumen aufgeschreckt. Meh-
rere der Damen machten Anstalt Krämpfe zu kriegen. Die bleich-
süchtige Jnlia schien in Ohnmacht zu fallen, hing sich über die
Rücklehne des Stuhls, und verdeckte das glühende Antlitz mit
dem Schnupftuche; die streng sittliche Dichterin aber sprang un-
willig auf und rief: „Abscheulich!"

Romeo-Stawitz aber fuhr in seiner Rolle fort: „Still, o
still, du sprichst von einem Nichts."

Indessen unsere Dichterin, die zuweilen das vertrauliche:

Du von dem Lieutenant vernommen haben mochte, hielt die
Worte für eine Entgegnung.

„Was?" eiferte sie: „Nichts! Nichts!" und wiederholte darauf
die verfänglichsten Worte, „ ein Nichts! ein Nichts! Nur zuviel, zu-
viel! Abscheulich, abscheulich! O über die Verblendung seiner Ver-
ehrer, die, aller Selbstständigkeit bar, in die hergebrachte Vergötte-
rung des rohen Engländers einstimmen. Mag erWitz haben, mei-
netwegen! Aber jedenfalls ist das ein Witz, der wohl für Märkte
und Fischweiber, aber gewiß nicht für eine vornehme Gesellschaft
paßt. Ich werde den Muth haben, das dereinst offen zu behaup-
ten, und ihm den unverdienten Lorbeer vom Haupte reißen."

Zum Glück für Shakspeare übernahm Frau Schreibet des-
sen Vertheidigung, und lobte in pomphaften Worten: „Freilich,"
setzte sie hinzu, „läuft manches Ungebührliche mit unter, indessen
muß man bei Beurtheilung eines Schriftstellers Zeit und Ver-
hältnisse berücksichtigen, unter denen er lebte. Shakspeare soll ja
selbst die Pferde am Theater gehalten haben. Freilich hätte er
Zirkel, wie den unsrigen besuchen können, so dürfte das allerdings
einen günstigen Einfluß auf seinen Bildungsgang, und auf seine
Werke gehabt, und manche Rohheit verhindert haben, die man
allerdings bedauern muß. Wollen Sie," mit diesen Worten
wandte sie sich zur aufgebrachten Dichterin, „wollen Sie Ihr
hübsches Wachtelhündchen ersäufen, weil es Flöhe hat?"

Der Triumph, den diese Rede erndtete, war so stürmisch,
daß die Pegasus berittene Dame keine Entgegnung wagte, doch
lächelte sie höhnisch.

Bock konnte sich im Lobe über diese Rede gar nicht erschöpfen, '
besonders prieß er den geistreichen Vergleich des edlen Britten mit
einem Wachtelhündchen, das Flöhe hat. Er bedauerte, daß kein
Lorbeer zur Hand sei, die Frau vom Hause zu bekrönen. Wirk-
lich, es war schade, daß man sich nicht bei einer Abendtafel be-
fand, welche ein bekränzter Wildschweinskopf zierte, dann wäre
ihr diese Ehre in der That zu Theil geworden.

(Schluß folgt.)
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Das Lesekränzchen."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Stauber, Carl
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 2.1846, Nr. 47, S. 181

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