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So Du mir
einer Menge von anderen fremden Menschen, und hörte, wie
die Leute um ihn her sagten, es sei die höchste Zeit, daß sie
angekommen, sonst hatten sic müssen zurückbleiben.
Erst das Rütteln des Eisenbahnwagens brachte ihn wie-
der in etwas zu sich selbst.
„Aber bester Herr Ehrlich" sagte er zu dem neben ihm sitzenden
kleinen Manne, „ich begreife gar nicht — wohin fahren wir
eigentlich?"
Herr Ehrlich aber erwicdcrtc kein Wort, ergriff nur seine
Hand, drückte sie aus Leibeskräften und sah ihn mit einem
unverkennbar gerührten Blicke an.
Salomo schwindelte es ordentlich — er wußte nicht,
wachte oder träumte er? — War das wirklich, daß ihm heute
— vor wenigen Stunden Hanke & Blenkert ihre Tochter
angctragcn? — Hatte er wirklich die Nummer 17,945 ge-
setzt und war mit dem großen Loos hcrauSgekommcn, und be-
fand er sich jetzt seinem unauSwcichbaren Schwiegervater, dem
Schneider gegenüber, der im Begriffe stand, ihn nach irgend
einem fremden Lande, vielleicht nach einer wüsten Insel zu
entführen? — Vor den Ohren summte und hämmerte es
dabei, das Rasseln der Wägen formte wunderliche, wie aus
weiter Ferne zu ihm herüberklingende Melodie», und endlich
fühlte er ordentlich, wie ihm die Luft ausging. — Er wollte
schreien — er wollte um Hilfe rufen. —
Da plötzlich hielt der Zug, Meister Ehrlich hatte seinen
Hut ergriffen, faßte ihn selber jetzt unter den Arm, und aus
dem geöffneten Coupce steigend, hielt wieder ein Wagen dort,
der sie ohne daß eine Weigerung irgend etwas genützt hätte,
in die Stadt hinaufführte.
Salomo Schönbcin war aber auch in der That willen-
los wie ein kleines Kind und jetzt ordentlich neugierig gewor-
den, was aus dem Allen heute werden würde. Immer da-
bei mit sich kämpfend, dem Schneidermeister seine Gefühle zu
entdecken und doch nicht im Stande Muth dazu zu fassen,
hatte er wirklich mit sich machen lassen, was der Mann wollte.
Als der Wagen aber endlich in einer engen Straße, dicht an
einer Kirche hielt, fing ihm das Herz an wie ein Schmiede-
hammer in der Brust zu poche», denn hinter dem Fenster,
den grünen Myrthcnkranz in den Haaren, mit lieblich erröth-
endem Angesichte stand seine Braut — und hinter ihr die
unvermeidliche Schwiegermutter mit noch zwei andern jungen
fremden Damen. '
Salomo wurde hineingeführt, und er fühlte, daß er da-
bei kaum im Stande war, zu gehen, so zitterten ihm die
Kniee. Sein Schwiegervater in spö erzählte ihm dabei mit
von Freude strahlenden Augen, daß er und seine Frau sich
diese Ucbcrraschung ausgedacht hätten, — daß Fanny schon
lange gcwünjcht habe, in ihrem Geburtsort getraut zu wer-
den, — daß er seine Sehnsucht, die Verbindung zu beschleu-
nigen, kenne und die Tochter endlich den Bitten der Eltern
nachgcgcbcn habe in diese Ucbcrraschung zu willigen.
Während er ihm das Alles gutmüthig lächelnd mittheilte,
und Salomo Schönbcin auch nicht eine Silbe davon verstand,
führte er ihn in die Stube zu seiner Braut, und was nachher
, so ich Dir.
> da drinnen geschah, wußte er ebenfalls nicht. Wie ein Nacht-
wandler fiel er seiner Braut um den Hals — ober wurde
ihr vielmehr umgefallcn — begrüßte die Ucbrigcn, deren Ge-
sichter, wie es ihm vorkam, alle einen Regenbogenschcin hatten,
trank dann Kaffee und aß Backwcrk dazu, und kam eigentlich
erst wieder zu sich selber, als er mit seiner Braut am Arme
in die gerade gegenüberliegende Kirche schritt.
Die frische Luft draußen, nach der etwas schwülen Stube
weckte ihn gewissermaßen aus seinem halbmagnctischcn Schlafe.
Er begann zu denken, und mit dem Denken überkam ihm
auch ans einmal die Gewißheit seiner wahrhaft verzweifelten
Lage. Seine ganze Pyramide von Luftschlössern, auf deren
äußerstem Gipfel Hanke & Blenkert mit der Tochter des
Geschäfts zwischen sich, in Vaterhuld lächelnd standen, hatte
einen furchtbaren Riß bekommen, und drohte im nächsten Augen-
blick prasselnd zusammen zu brechen, und in den dunklen Ge-
witterwolken, die an seinem Zukunftshimmel aufsticgen, lachte
ihm auch nicht ein einziger Zollbreit blauen, reinen Himmels.
Aber selbst der Wurm krümmt sich, wenn er getreten
wird und in Salomo Schönbcins Herzen begann in diesem
Augenblicke eine wunderbare entsetzliche Veränderung. Er
haßte den Schneidermeister Ehrlich, der seine Hand gefaßt
hatte und sic herzlich drückte — er haßte die Schwiegermutter,
die mit blumcngeschmückter Haube und freudestrahlendem
Antlitze hinter ihm drein schritt, —ja er haßte in diesem Augen-
blicke selbst seine Braut, das liebe holde Mädchen, das ver-
trauensvoll ihr ganzes Lcbcnsglück in seine Hände legen wollte.
Er vergaß, daß er selber es sei, der zuerst bittend an sie ge-
treten und ihr vorgclogcn hatte, wie unendlich glücklich sic ihn
durch ihr Jawort mache. Er vergaß, daß der alte ehrliche
Schneidermeister es zuerst gewesen, der dem armen unbedeu-
tenden Commis sein Kind anvertraute, und ihm die erste
Hand reichte in der Welt ein selbstständiger Mann zu werden.
— Er m u ß t e das Alles vergessen, wenn er den schwarzen
Undank beschönigen wollte, der jetzt sein ganzes Herz erfüllte,
er mußte sein Gewissen damit betäuben, baß er sich selber
als schlecht behandelt, als mißbraucht hinstcllte, wo er zuerst
der Bittende gewesen.
Aber was half ihm jetzt das Grübeln, was der finstere
Haß? — Unrettbar riß ihn sein Schicksal dem Unvermeidlichen
entgegen. Wie sich mechanisch ein Fuß nach dem anderen hob,
und Schritt nach Schritt die Entfernung kürzte, die ihn noch
von dem geglaubten Abgrund trennte, mußte auch jede, selbst
die letzte Hoffnung schwinden. Schon umfingen ihn die düsteren
beengenden Räume der Sakristei — dort stand der Priester
in dem schwarzen Rock, den sorgfältig gefalteten symbolischen
Mühlstcinkragen um de» Hals und er kam sich in dem Augen-
blicke vor wie Jemand, der in einen Strom gefallen ist und
mit reißender Schnelle einem donnernden Mühlwchr cntgegen-
gerisscn wird.
Von den klebrigen war indcß jedes viel zu sehr mit sich selber
j beschäftigt, die furchtbare Aufregung des Bräutigams zu bemerken,
und wenn sic den Brautjungfern auch vielleicht nicht entging, schrie-
ben diese dieselbe doch natürlich einer ganz anderen Ursache zu.
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So Du mir
einer Menge von anderen fremden Menschen, und hörte, wie
die Leute um ihn her sagten, es sei die höchste Zeit, daß sie
angekommen, sonst hatten sic müssen zurückbleiben.
Erst das Rütteln des Eisenbahnwagens brachte ihn wie-
der in etwas zu sich selbst.
„Aber bester Herr Ehrlich" sagte er zu dem neben ihm sitzenden
kleinen Manne, „ich begreife gar nicht — wohin fahren wir
eigentlich?"
Herr Ehrlich aber erwicdcrtc kein Wort, ergriff nur seine
Hand, drückte sie aus Leibeskräften und sah ihn mit einem
unverkennbar gerührten Blicke an.
Salomo schwindelte es ordentlich — er wußte nicht,
wachte oder träumte er? — War das wirklich, daß ihm heute
— vor wenigen Stunden Hanke & Blenkert ihre Tochter
angctragcn? — Hatte er wirklich die Nummer 17,945 ge-
setzt und war mit dem großen Loos hcrauSgekommcn, und be-
fand er sich jetzt seinem unauSwcichbaren Schwiegervater, dem
Schneider gegenüber, der im Begriffe stand, ihn nach irgend
einem fremden Lande, vielleicht nach einer wüsten Insel zu
entführen? — Vor den Ohren summte und hämmerte es
dabei, das Rasseln der Wägen formte wunderliche, wie aus
weiter Ferne zu ihm herüberklingende Melodie», und endlich
fühlte er ordentlich, wie ihm die Luft ausging. — Er wollte
schreien — er wollte um Hilfe rufen. —
Da plötzlich hielt der Zug, Meister Ehrlich hatte seinen
Hut ergriffen, faßte ihn selber jetzt unter den Arm, und aus
dem geöffneten Coupce steigend, hielt wieder ein Wagen dort,
der sie ohne daß eine Weigerung irgend etwas genützt hätte,
in die Stadt hinaufführte.
Salomo Schönbcin war aber auch in der That willen-
los wie ein kleines Kind und jetzt ordentlich neugierig gewor-
den, was aus dem Allen heute werden würde. Immer da-
bei mit sich kämpfend, dem Schneidermeister seine Gefühle zu
entdecken und doch nicht im Stande Muth dazu zu fassen,
hatte er wirklich mit sich machen lassen, was der Mann wollte.
Als der Wagen aber endlich in einer engen Straße, dicht an
einer Kirche hielt, fing ihm das Herz an wie ein Schmiede-
hammer in der Brust zu poche», denn hinter dem Fenster,
den grünen Myrthcnkranz in den Haaren, mit lieblich erröth-
endem Angesichte stand seine Braut — und hinter ihr die
unvermeidliche Schwiegermutter mit noch zwei andern jungen
fremden Damen. '
Salomo wurde hineingeführt, und er fühlte, daß er da-
bei kaum im Stande war, zu gehen, so zitterten ihm die
Kniee. Sein Schwiegervater in spö erzählte ihm dabei mit
von Freude strahlenden Augen, daß er und seine Frau sich
diese Ucbcrraschung ausgedacht hätten, — daß Fanny schon
lange gcwünjcht habe, in ihrem Geburtsort getraut zu wer-
den, — daß er seine Sehnsucht, die Verbindung zu beschleu-
nigen, kenne und die Tochter endlich den Bitten der Eltern
nachgcgcbcn habe in diese Ucbcrraschung zu willigen.
Während er ihm das Alles gutmüthig lächelnd mittheilte,
und Salomo Schönbcin auch nicht eine Silbe davon verstand,
führte er ihn in die Stube zu seiner Braut, und was nachher
, so ich Dir.
> da drinnen geschah, wußte er ebenfalls nicht. Wie ein Nacht-
wandler fiel er seiner Braut um den Hals — ober wurde
ihr vielmehr umgefallcn — begrüßte die Ucbrigcn, deren Ge-
sichter, wie es ihm vorkam, alle einen Regenbogenschcin hatten,
trank dann Kaffee und aß Backwcrk dazu, und kam eigentlich
erst wieder zu sich selber, als er mit seiner Braut am Arme
in die gerade gegenüberliegende Kirche schritt.
Die frische Luft draußen, nach der etwas schwülen Stube
weckte ihn gewissermaßen aus seinem halbmagnctischcn Schlafe.
Er begann zu denken, und mit dem Denken überkam ihm
auch ans einmal die Gewißheit seiner wahrhaft verzweifelten
Lage. Seine ganze Pyramide von Luftschlössern, auf deren
äußerstem Gipfel Hanke & Blenkert mit der Tochter des
Geschäfts zwischen sich, in Vaterhuld lächelnd standen, hatte
einen furchtbaren Riß bekommen, und drohte im nächsten Augen-
blick prasselnd zusammen zu brechen, und in den dunklen Ge-
witterwolken, die an seinem Zukunftshimmel aufsticgen, lachte
ihm auch nicht ein einziger Zollbreit blauen, reinen Himmels.
Aber selbst der Wurm krümmt sich, wenn er getreten
wird und in Salomo Schönbcins Herzen begann in diesem
Augenblicke eine wunderbare entsetzliche Veränderung. Er
haßte den Schneidermeister Ehrlich, der seine Hand gefaßt
hatte und sic herzlich drückte — er haßte die Schwiegermutter,
die mit blumcngeschmückter Haube und freudestrahlendem
Antlitze hinter ihm drein schritt, —ja er haßte in diesem Augen-
blicke selbst seine Braut, das liebe holde Mädchen, das ver-
trauensvoll ihr ganzes Lcbcnsglück in seine Hände legen wollte.
Er vergaß, daß er selber es sei, der zuerst bittend an sie ge-
treten und ihr vorgclogcn hatte, wie unendlich glücklich sic ihn
durch ihr Jawort mache. Er vergaß, daß der alte ehrliche
Schneidermeister es zuerst gewesen, der dem armen unbedeu-
tenden Commis sein Kind anvertraute, und ihm die erste
Hand reichte in der Welt ein selbstständiger Mann zu werden.
— Er m u ß t e das Alles vergessen, wenn er den schwarzen
Undank beschönigen wollte, der jetzt sein ganzes Herz erfüllte,
er mußte sein Gewissen damit betäuben, baß er sich selber
als schlecht behandelt, als mißbraucht hinstcllte, wo er zuerst
der Bittende gewesen.
Aber was half ihm jetzt das Grübeln, was der finstere
Haß? — Unrettbar riß ihn sein Schicksal dem Unvermeidlichen
entgegen. Wie sich mechanisch ein Fuß nach dem anderen hob,
und Schritt nach Schritt die Entfernung kürzte, die ihn noch
von dem geglaubten Abgrund trennte, mußte auch jede, selbst
die letzte Hoffnung schwinden. Schon umfingen ihn die düsteren
beengenden Räume der Sakristei — dort stand der Priester
in dem schwarzen Rock, den sorgfältig gefalteten symbolischen
Mühlstcinkragen um de» Hals und er kam sich in dem Augen-
blicke vor wie Jemand, der in einen Strom gefallen ist und
mit reißender Schnelle einem donnernden Mühlwchr cntgegen-
gerisscn wird.
Von den klebrigen war indcß jedes viel zu sehr mit sich selber
j beschäftigt, die furchtbare Aufregung des Bräutigams zu bemerken,
und wenn sic den Brautjungfern auch vielleicht nicht entging, schrie-
ben diese dieselbe doch natürlich einer ganz anderen Ursache zu.
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