74 Wi e man seine Töchter
Frequenz, die Todtenstille vor den Fenstern konnte Madame
Müller durchaus nicht vertragen. Die beiden jungen Damen,
welche die Versetzung ihres Vaters nach der Residenz mit Ju-
bel begrüßt hatten, fühlten sich ebenfalls über alle Maßen ent-
täuscht, da sie anstatt des erwarteten Volksgewühles vor den
Fenstern, oft stundenlang warten mußten, ehe Jemand von den
Nachbarslcutcn sich ans der Straße sehen ließ und dann boten
die Vorübergehenden ihnen auch nicht das geringste Interesse,
da sie ebenfalls solchen Ständen angehörten, die aus nothge-
drungencr Sparsamkeit in diese Gegend gezogen waren.
Da war es doch wahrlich in der Provinzialstadt köstlich
gewesen im Vergleich zu dem tovten Winkelgäßchcn der Resi-
denz. Dort ging Niemand unbesprochen an den Fenstern vor-
über und da mau Alles von Jung bis zu Alt so genau
kannte, wie die eigene Haushaltung, so riß der Stoff zur
Unterhaltung niemals ab. Und welch eine fieberhafte Aufregung
brachte das Erscheinen eines Fremden in der Stadt hervor!
Welche Bermulhungen wurden da aufgestellt, und wie mußte
man da zu allen hundert Basen laufen, um die erste Kunde
über den Fremdling zu verbreiten. Ach, hier waren die wenig
Vorübergehenden sämmtlich Fremdlinge, aber dafür fehlten wieder
die hundert Basen zur Unterhaltung.
In der Provinz hatte die Familie Müller in Ruhe und
Frieden gelebt; hier in der Hauptstadt gab cs jetzt fast täglich
und stündlich Veranlassung zu Streitigkeiten zwischen Vater
und Mutter. Beim Kaffee des Morgens ging es schon los,
denn die regelmäßige Einleitung des Gesprächs bildeten die
kleinen Weißbrodchen.
„S'ist dock) meiner Seel eine Sünde und Schande," pol-
terte Frau Müller los, „daß mau die gesammte Bäckerzunft
der Residenz nicht aufknüpft. Für drei Pfennige wogen die
Semmeln in unserm lieben Willberg sieben Loth, und hier
fehlt noch ein Quintchen an vieren."
„Und doch waren Dir dort die Semmeln auch immer
zu klein?" wandte der Assessor ein.
„In kleinen Städten müssen die Semmeln immer größer
sein," meinte Frau Müller, um wenigstens eine Entschuldig-
ung zu haben. „Ich glaube jedoch, daß nur in der Vorstadt
hier Alles so schlecht ist, drinnen in der Stadt ist wohl auch
bessere Waare zu bekommen," fügte sie dann spöttisch hinzu.
„Liebes Kind, warte nur noch ein paar Jährchen," cnt-
gegncte ebenfalls spöttelnd und mit unerschütterlicher Ruhe
Herr Müller; „sobald ich Aussicht ans einen frei werdenden
Ministerposten habe, wollen wir sofort eine Wohnung drinnen
in der Stadt ganz nahe beim Schlosse nehmen; dort ist Alles .
gewiß weit billiger und besser als hier und ehemals in Willberg." |
Nach einer solchen spitzfindigen Bemerkung biß sich die
Frau Asscssorin immer gekränkt auf die Lippen und schwieg
eine Zeit lang; bald aber mußte sie ihrem Unwillen über j
einen andern Gegenstand wieder Luft inachcn.
Wenn sie mit ihrem Manne allein war, so konnte man
mit Sicherheit darauf rechnen, daß die Frau Assessorin tief-
bekümmert das Gespräch auf ihre beiden Töchter brachte und
deren Schicksal laut anklagte, da er sie in diesen abscheulichen
nter die Haube bringt.
Winkel der Residenz geführt, wo sie nimmermehr Gelegenheit
haben könnten, Bekanntschaften unter der jungen heirathslu-
stigcn Männerwelt zu machen.
„Du wirst mich mit diesem ewigen Thema des Jammers
noch unter die Erde bringen," fuhr endlich einmal der geplagte
Asseffor auf. „Wer anders als Du hat so lange auf meine
Versetzung gedrungen, bis ich nachgab und unfern friedlichen
i Aufenthalt in Willberg mit dieser Jammerexistenz in der
Hauptstadt vertauschte?"
„Wer hieß Dich, meinen Rathschlägen damals Folge zu
leisten!" cntgegnete ärgerlich Frau Müller.
„Das fragst Du noch? Wie lächerlich! Du hättest mir
am Ende noch die Augen ausgekratzt, wenn ich nicht das
„ekelhafte Nest," wie Du Willberg nanntest, verlassen hätte
und hieher gezogen wäre."
„Aber was soll aus unfern armen Kindern werden?
Die armen Mädchen verblühen hier, ohne daß die Welt sie
und sie die Welt zu sehen bekommen."
„Das heißt genauer betrachtet etwa so viel als: Warum
wirst Du mit Deinem Gehalte von sechshundert Thalern nicht Mit-
glied verschiedener Clubs ? Warum abonnirst Du nicht im Theater
und führst uns nicht in Concerte? Warum hältst Du Dir für
die fabelhafte Summe von sechshundert Thalern nicht Wagen
und Pferde? Warum gibst Du nicht Gesellschaften und so
weiter, und so weiter! Du sichst, ich weiß alle Deine Fragen,
bereits che Du sie noch aussprichst."
„Oh geh', Mann, Du hast kein Gefühl für Deine Kinder.
Dir gilt cs gleich, ob Tildchen und Tinchen als alte Jungfern
sterben."
„Durchaus nicht. Ich schätzte mich glücklich, als in Will-
berg damals der Seifensieder Naumann mir die ernstesten Ab-
sichten auf die Hand Mathildens zu erkennen gab und wie
der Gastwirth Rose unserm Tinchen eben so aufrichtig gewo-
gen schien. Nur die Frau Mutter rümpfte damals die Nase,
als ob unsere Kinder zwei Prinzesiinnen gewesen wären."
„Das hatte andere Gründe. Die Seifensieder mag ich
nicht leiden, weil mir, wie Du weißt, ehe ich Dich kannte,
ein solcher in meiner Jugend Eheversprechungen machte, und
dann eine andere heirathete. Der Gastwirth Rose aber war ein
Wittwer und zu alt für Tinchen."
„Hier aber würden wir uns glücklich schätzen, wenn solch
ein Seifensieder und ein so respektabler Gastwirth wieder
kämen, um unsere Töchter zu freien."
Frau Müller sah wohl ihr damals begangenes Unrecht
ein, aber sic war viel zu sehr Weib, um ihrem Gatten ge-
genüber dieses Unrecht offen einzugestehen; im Gegentheile
suchte sie den größten Theil der sie allein treffenden Schuld
dem armen Assessor aufzubürdcn.
Müller war in der That in einer recht schlimmen Lage
und sah mit schwerem Herzen auf die ruhigen freundlichen
Tage in Willberg zurück. Er sah selbst recht gut ein, daß
ihm und seiner Familie hier in der Residenz jede Gelegenheit
fehle, in gesellschaftlichen Kreisen bekannt zu werden, was ihm
besonders seiner beiden lieblichen Töchter wegen äußerst Pein-
Frequenz, die Todtenstille vor den Fenstern konnte Madame
Müller durchaus nicht vertragen. Die beiden jungen Damen,
welche die Versetzung ihres Vaters nach der Residenz mit Ju-
bel begrüßt hatten, fühlten sich ebenfalls über alle Maßen ent-
täuscht, da sie anstatt des erwarteten Volksgewühles vor den
Fenstern, oft stundenlang warten mußten, ehe Jemand von den
Nachbarslcutcn sich ans der Straße sehen ließ und dann boten
die Vorübergehenden ihnen auch nicht das geringste Interesse,
da sie ebenfalls solchen Ständen angehörten, die aus nothge-
drungencr Sparsamkeit in diese Gegend gezogen waren.
Da war es doch wahrlich in der Provinzialstadt köstlich
gewesen im Vergleich zu dem tovten Winkelgäßchcn der Resi-
denz. Dort ging Niemand unbesprochen an den Fenstern vor-
über und da mau Alles von Jung bis zu Alt so genau
kannte, wie die eigene Haushaltung, so riß der Stoff zur
Unterhaltung niemals ab. Und welch eine fieberhafte Aufregung
brachte das Erscheinen eines Fremden in der Stadt hervor!
Welche Bermulhungen wurden da aufgestellt, und wie mußte
man da zu allen hundert Basen laufen, um die erste Kunde
über den Fremdling zu verbreiten. Ach, hier waren die wenig
Vorübergehenden sämmtlich Fremdlinge, aber dafür fehlten wieder
die hundert Basen zur Unterhaltung.
In der Provinz hatte die Familie Müller in Ruhe und
Frieden gelebt; hier in der Hauptstadt gab cs jetzt fast täglich
und stündlich Veranlassung zu Streitigkeiten zwischen Vater
und Mutter. Beim Kaffee des Morgens ging es schon los,
denn die regelmäßige Einleitung des Gesprächs bildeten die
kleinen Weißbrodchen.
„S'ist dock) meiner Seel eine Sünde und Schande," pol-
terte Frau Müller los, „daß mau die gesammte Bäckerzunft
der Residenz nicht aufknüpft. Für drei Pfennige wogen die
Semmeln in unserm lieben Willberg sieben Loth, und hier
fehlt noch ein Quintchen an vieren."
„Und doch waren Dir dort die Semmeln auch immer
zu klein?" wandte der Assessor ein.
„In kleinen Städten müssen die Semmeln immer größer
sein," meinte Frau Müller, um wenigstens eine Entschuldig-
ung zu haben. „Ich glaube jedoch, daß nur in der Vorstadt
hier Alles so schlecht ist, drinnen in der Stadt ist wohl auch
bessere Waare zu bekommen," fügte sie dann spöttisch hinzu.
„Liebes Kind, warte nur noch ein paar Jährchen," cnt-
gegncte ebenfalls spöttelnd und mit unerschütterlicher Ruhe
Herr Müller; „sobald ich Aussicht ans einen frei werdenden
Ministerposten habe, wollen wir sofort eine Wohnung drinnen
in der Stadt ganz nahe beim Schlosse nehmen; dort ist Alles .
gewiß weit billiger und besser als hier und ehemals in Willberg." |
Nach einer solchen spitzfindigen Bemerkung biß sich die
Frau Asscssorin immer gekränkt auf die Lippen und schwieg
eine Zeit lang; bald aber mußte sie ihrem Unwillen über j
einen andern Gegenstand wieder Luft inachcn.
Wenn sie mit ihrem Manne allein war, so konnte man
mit Sicherheit darauf rechnen, daß die Frau Assessorin tief-
bekümmert das Gespräch auf ihre beiden Töchter brachte und
deren Schicksal laut anklagte, da er sie in diesen abscheulichen
nter die Haube bringt.
Winkel der Residenz geführt, wo sie nimmermehr Gelegenheit
haben könnten, Bekanntschaften unter der jungen heirathslu-
stigcn Männerwelt zu machen.
„Du wirst mich mit diesem ewigen Thema des Jammers
noch unter die Erde bringen," fuhr endlich einmal der geplagte
Asseffor auf. „Wer anders als Du hat so lange auf meine
Versetzung gedrungen, bis ich nachgab und unfern friedlichen
i Aufenthalt in Willberg mit dieser Jammerexistenz in der
Hauptstadt vertauschte?"
„Wer hieß Dich, meinen Rathschlägen damals Folge zu
leisten!" cntgegnete ärgerlich Frau Müller.
„Das fragst Du noch? Wie lächerlich! Du hättest mir
am Ende noch die Augen ausgekratzt, wenn ich nicht das
„ekelhafte Nest," wie Du Willberg nanntest, verlassen hätte
und hieher gezogen wäre."
„Aber was soll aus unfern armen Kindern werden?
Die armen Mädchen verblühen hier, ohne daß die Welt sie
und sie die Welt zu sehen bekommen."
„Das heißt genauer betrachtet etwa so viel als: Warum
wirst Du mit Deinem Gehalte von sechshundert Thalern nicht Mit-
glied verschiedener Clubs ? Warum abonnirst Du nicht im Theater
und führst uns nicht in Concerte? Warum hältst Du Dir für
die fabelhafte Summe von sechshundert Thalern nicht Wagen
und Pferde? Warum gibst Du nicht Gesellschaften und so
weiter, und so weiter! Du sichst, ich weiß alle Deine Fragen,
bereits che Du sie noch aussprichst."
„Oh geh', Mann, Du hast kein Gefühl für Deine Kinder.
Dir gilt cs gleich, ob Tildchen und Tinchen als alte Jungfern
sterben."
„Durchaus nicht. Ich schätzte mich glücklich, als in Will-
berg damals der Seifensieder Naumann mir die ernstesten Ab-
sichten auf die Hand Mathildens zu erkennen gab und wie
der Gastwirth Rose unserm Tinchen eben so aufrichtig gewo-
gen schien. Nur die Frau Mutter rümpfte damals die Nase,
als ob unsere Kinder zwei Prinzesiinnen gewesen wären."
„Das hatte andere Gründe. Die Seifensieder mag ich
nicht leiden, weil mir, wie Du weißt, ehe ich Dich kannte,
ein solcher in meiner Jugend Eheversprechungen machte, und
dann eine andere heirathete. Der Gastwirth Rose aber war ein
Wittwer und zu alt für Tinchen."
„Hier aber würden wir uns glücklich schätzen, wenn solch
ein Seifensieder und ein so respektabler Gastwirth wieder
kämen, um unsere Töchter zu freien."
Frau Müller sah wohl ihr damals begangenes Unrecht
ein, aber sic war viel zu sehr Weib, um ihrem Gatten ge-
genüber dieses Unrecht offen einzugestehen; im Gegentheile
suchte sie den größten Theil der sie allein treffenden Schuld
dem armen Assessor aufzubürdcn.
Müller war in der That in einer recht schlimmen Lage
und sah mit schwerem Herzen auf die ruhigen freundlichen
Tage in Willberg zurück. Er sah selbst recht gut ein, daß
ihm und seiner Familie hier in der Residenz jede Gelegenheit
fehle, in gesellschaftlichen Kreisen bekannt zu werden, was ihm
besonders seiner beiden lieblichen Töchter wegen äußerst Pein-