(
Die Uebcrraschung.
146
Abends, wenn die Zeit kam, wo die Knechte und Mägde
von der Feldarbeit heimkchrten, nahm er seinen Platz unter
dem Baume ein und ließ sie da hart vor sich vorüberziehen
und Revue Yassiren. Das war ihnen ungewohnt, daß man sie
jetzt nach vollbrachter Arbeit so scharf ansah, und der Bauer
hatte ein Auge, das durch Wamms und Kamisol drang. Schon
wenn sie noch auf dem Brücklcin waren und den Bauern von
ferne sahen, das forschende Auge auf sie gerichtet, wurde ihnen
bänglich zu Muthe, wenn sie bedachten, was sie heute wieder
an ihm gesündigt hatten. Der Gang derer, die ein besonders
schlechtes Gewissen hatten, wurde unsicher und schwankend, sie
meinten, er müsse es ihnen ansehcn, was sie verbrochen hatten.
Da schlugen denn die einen die Augen nieder und schlichen, scheu
zur Seite blickend, an dem Baume vorbei, die anderen affek-
tirten Gleichgültigkeit und bemühten sich, recht unschuldig aus-
zusehen, wieder andere nahmen eine trotzige Miene an und
schauten dem Beobachter frech ins Gesicht. Aber sie täuschten
ihn nicht. Kein Geschäft ist vom Anfänge an schwieriger, als
die Menschen kennen zu lernen, aber in keinem wird man,
wenn man einigen Fleiß darauf verwendet, schneller geübt und
erfahren.
Der Thalbauer hatte bald alle die verschiedenen Masken
weg, hinter denen sich das böse Gewissen zu verstecken pflegt,
von Tag zu Tag wurde sein Auge schärfer, sein Blick durch-
dringender. In den meisten Fällen sah er, schon wenn die
Leute über das Brücklcin gingen, wie es hinter dem Brustlätze
stand, Gang und Haltung genügten ihm, um zu crrathcn,
was er wissen wollte, noch ehe er das Gesicht genau ins
Auge fassen konnte. Und wenn je einer sich recht gut zu ver-
stellen wußte, so führte das letzte Mittel, welches er anwandte,
sicher zum Ziele. Er ließ ihn an sich Vorbeigehen und rief
ihn dann plötzlich rasch mit einem bcsondcrn Tone zu sich
her, nicht um zu inquiriren, sondern nur, um ihm ein paar
gleichgültige Fragen vorzulcgcn. Aber die wenigen Minuten,
die der Mann so vor ihm stand, überrascht und aus seiner Sicher-
heit plötzlich aufgcschrcckt, reichten für ihn hin, um demselben
tief ins Herz hincinzuschauen. Es war ein mächtiges geistiges
i Regiment, das der Bauer von seiner Linde aus übte. Man
mußte gut beschlagen sein, wenn man seinem Blick vollkommen
ruhig und unbefangen wollte begegnen können. Und wenn er
nun bei einem seiner Dienstboten mehrmals bemerkte, daß cs
nicht sauber war, so war er so scharf hinter ihm her, daß
er in kürzester Zeit herausgcbracht hatte, was nicht so war, wie cs
sein sollte. War die Sache von Bedeutung, so wurde er augen-
blicklich entlassen, waren die Verfehlungen geringer, so wurde
er verwarnt mit dem Bedeuten, daß er im Wiederholungsfall
seinen Bündel schnüren könne.
Warum blieben aber die Leute trotzdem bei ihm, da doch
Niemand sich gerne chicaniren läßt? Lischt des hohen Lohnes
wegen, obgleich er bei tüchtigen Arbeitern gerne etwas zulegte,
auch nicht, weil sie eben nicht wußten wohin, — denn Dienst-
boten von der Qualität, wie er sie hatte, waren allenthalben
gesucht, — sondern darum, weil sie einen ungemcssenen Respekt
vor ihm hatten, weil er in vielem anders war, als andere
Leute und in allem ein ganzer Mann. Einmal verstand er
die Landwirthschaft aus deni Fundament und.was Mutes und
Erprobtes an neuen Erfindungen auskam, war'gewiß immer
bei ihm zuerst eiugeführt. Sodann war er vollkommen rein
im Handel und Wandel, immer redlich und gradaus, und der
Spruch: „Unrecht Gut gedeihet nicht," kam ihm nicht um-
sonst so oft über die Lippen. Endlich war er gegen sein Gesinde
nicht blos streng, sondern auch gerecht, und nicht blos gerecht,
sondern auch gütig und wohlwollend, väterlich besorgt um
das leibliche und geistige Wohl oder Wehe der Seinen, keiner
von denen, die, wenn ein Stück Vieh erkrankt, zum Arzt lau-
fen und den kranken Menschen sich selbst überlassen. Er sah
von seiner Bank aus nicht blos die Fehler und Mängel der
Leute, sondern auch ihre Schmerzen und Leiden, und wenn
er bemerkte, daß einer heute ein betrübtes Gesicht machte, der
gestern noch gelacht hatte, so ruhte er nicht, bis er die Ur-
sache wußte, und cs kam ihm beim Helfen nicht auf Zeit und
Mühe, noch auf eine Hand voll Geld an.
Was aber die Leute'noch mehr an ihn fesselte als alles
dieses, war, daß er ihnen ihre Freuden nicht blos unverkürzt
ließ, sondern dieselben, wo er konnte, förderte und selbst mit
ihnen thcilte. Nirgends wurden die ländlichen Feste, die theil-
weise schon im Abgang gekommen waren, so pünktlich einge-
halten und so glänzend gefeiert, als auf dem Gute des Thal-
bauern. Der Bauer selbst ordnete alles au, ließ auftragen und
einschenken, so viel daS Herz wünschte und Kops und Blagen
vertragen konnten, und harrte selbst vom Anfänge bis zu
Ende in der Mitte seiner Leute aus. Er wußte wohl, daß
seine Anwesenheit hoch angeschlagen wurde und dem Feste zur
besonderen Zierde gereichte. Und dabei hatte sie von selbst die
Wirkung, daß alle Rohheit und Zügellosigkeit ferne gehalten
wurde. So kam es, daß man sich zu seinem Dienste hcrzu-
drängte, und daß mancher Dienstknccht, der trotzig der Plackerei
und Schinderei des Thalbauern Lebewohl gesagt hatte, nachher,
freilich umsonst, flehentlich bat, wieder angenommen zu werden.
An einem Abende, als der Bauer wieder unter seiner
Linde Platz genommen hatte, sah er eine Person über das
Brücklcin kommen, die ziemlich große Aehnlichkcit mit einem
Vagabunden hatte. Es war ein junger Mann, mit lang herab-
hängendem Haar, in einem sehr abctragcncn Sammtrock und
breitkrämpigen Hut, dem Wind und Wetter übel mitgespiclt
hatten. Als er näher kam, bemerkte man ein blasses, abgezehr-
tes Gesicht, dem die Spuren schwerer Leiden, wohl auch manches
Hungcrtags aufgcdrückt waren. Der Bauer hatte keine Freude
an solchen Gestalten. Nicht daß er gegen das Unglück über-
haupt hart und unempfindlich gewesen wäre, aber gerade diese
Form des Unglücks war seinem innersten Wesen zuwider.
Warum hatte ein solcher Mensch nichts gelernt, das ihn nährte,
oder wenn das, warum flankirte er auf anderer Leute Kosten
im Land herum, statt irgendwo sich seßhaft nicderzulassen und
in seinem Beruf zu arbeiten? Er wußte aus Erfahrung, wie
sauer cs sich selbst der vermögliche Landmann werden ließ bei
der täglichen Arbeit und theiltc darum sein Brod nicht gerne
mit Leuten, welche die Hände in den Hosentaschen, müssig-
Die Uebcrraschung.
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Abends, wenn die Zeit kam, wo die Knechte und Mägde
von der Feldarbeit heimkchrten, nahm er seinen Platz unter
dem Baume ein und ließ sie da hart vor sich vorüberziehen
und Revue Yassiren. Das war ihnen ungewohnt, daß man sie
jetzt nach vollbrachter Arbeit so scharf ansah, und der Bauer
hatte ein Auge, das durch Wamms und Kamisol drang. Schon
wenn sie noch auf dem Brücklcin waren und den Bauern von
ferne sahen, das forschende Auge auf sie gerichtet, wurde ihnen
bänglich zu Muthe, wenn sie bedachten, was sie heute wieder
an ihm gesündigt hatten. Der Gang derer, die ein besonders
schlechtes Gewissen hatten, wurde unsicher und schwankend, sie
meinten, er müsse es ihnen ansehcn, was sie verbrochen hatten.
Da schlugen denn die einen die Augen nieder und schlichen, scheu
zur Seite blickend, an dem Baume vorbei, die anderen affek-
tirten Gleichgültigkeit und bemühten sich, recht unschuldig aus-
zusehen, wieder andere nahmen eine trotzige Miene an und
schauten dem Beobachter frech ins Gesicht. Aber sie täuschten
ihn nicht. Kein Geschäft ist vom Anfänge an schwieriger, als
die Menschen kennen zu lernen, aber in keinem wird man,
wenn man einigen Fleiß darauf verwendet, schneller geübt und
erfahren.
Der Thalbauer hatte bald alle die verschiedenen Masken
weg, hinter denen sich das böse Gewissen zu verstecken pflegt,
von Tag zu Tag wurde sein Auge schärfer, sein Blick durch-
dringender. In den meisten Fällen sah er, schon wenn die
Leute über das Brücklcin gingen, wie es hinter dem Brustlätze
stand, Gang und Haltung genügten ihm, um zu crrathcn,
was er wissen wollte, noch ehe er das Gesicht genau ins
Auge fassen konnte. Und wenn je einer sich recht gut zu ver-
stellen wußte, so führte das letzte Mittel, welches er anwandte,
sicher zum Ziele. Er ließ ihn an sich Vorbeigehen und rief
ihn dann plötzlich rasch mit einem bcsondcrn Tone zu sich
her, nicht um zu inquiriren, sondern nur, um ihm ein paar
gleichgültige Fragen vorzulcgcn. Aber die wenigen Minuten,
die der Mann so vor ihm stand, überrascht und aus seiner Sicher-
heit plötzlich aufgcschrcckt, reichten für ihn hin, um demselben
tief ins Herz hincinzuschauen. Es war ein mächtiges geistiges
i Regiment, das der Bauer von seiner Linde aus übte. Man
mußte gut beschlagen sein, wenn man seinem Blick vollkommen
ruhig und unbefangen wollte begegnen können. Und wenn er
nun bei einem seiner Dienstboten mehrmals bemerkte, daß cs
nicht sauber war, so war er so scharf hinter ihm her, daß
er in kürzester Zeit herausgcbracht hatte, was nicht so war, wie cs
sein sollte. War die Sache von Bedeutung, so wurde er augen-
blicklich entlassen, waren die Verfehlungen geringer, so wurde
er verwarnt mit dem Bedeuten, daß er im Wiederholungsfall
seinen Bündel schnüren könne.
Warum blieben aber die Leute trotzdem bei ihm, da doch
Niemand sich gerne chicaniren läßt? Lischt des hohen Lohnes
wegen, obgleich er bei tüchtigen Arbeitern gerne etwas zulegte,
auch nicht, weil sie eben nicht wußten wohin, — denn Dienst-
boten von der Qualität, wie er sie hatte, waren allenthalben
gesucht, — sondern darum, weil sie einen ungemcssenen Respekt
vor ihm hatten, weil er in vielem anders war, als andere
Leute und in allem ein ganzer Mann. Einmal verstand er
die Landwirthschaft aus deni Fundament und.was Mutes und
Erprobtes an neuen Erfindungen auskam, war'gewiß immer
bei ihm zuerst eiugeführt. Sodann war er vollkommen rein
im Handel und Wandel, immer redlich und gradaus, und der
Spruch: „Unrecht Gut gedeihet nicht," kam ihm nicht um-
sonst so oft über die Lippen. Endlich war er gegen sein Gesinde
nicht blos streng, sondern auch gerecht, und nicht blos gerecht,
sondern auch gütig und wohlwollend, väterlich besorgt um
das leibliche und geistige Wohl oder Wehe der Seinen, keiner
von denen, die, wenn ein Stück Vieh erkrankt, zum Arzt lau-
fen und den kranken Menschen sich selbst überlassen. Er sah
von seiner Bank aus nicht blos die Fehler und Mängel der
Leute, sondern auch ihre Schmerzen und Leiden, und wenn
er bemerkte, daß einer heute ein betrübtes Gesicht machte, der
gestern noch gelacht hatte, so ruhte er nicht, bis er die Ur-
sache wußte, und cs kam ihm beim Helfen nicht auf Zeit und
Mühe, noch auf eine Hand voll Geld an.
Was aber die Leute'noch mehr an ihn fesselte als alles
dieses, war, daß er ihnen ihre Freuden nicht blos unverkürzt
ließ, sondern dieselben, wo er konnte, förderte und selbst mit
ihnen thcilte. Nirgends wurden die ländlichen Feste, die theil-
weise schon im Abgang gekommen waren, so pünktlich einge-
halten und so glänzend gefeiert, als auf dem Gute des Thal-
bauern. Der Bauer selbst ordnete alles au, ließ auftragen und
einschenken, so viel daS Herz wünschte und Kops und Blagen
vertragen konnten, und harrte selbst vom Anfänge bis zu
Ende in der Mitte seiner Leute aus. Er wußte wohl, daß
seine Anwesenheit hoch angeschlagen wurde und dem Feste zur
besonderen Zierde gereichte. Und dabei hatte sie von selbst die
Wirkung, daß alle Rohheit und Zügellosigkeit ferne gehalten
wurde. So kam es, daß man sich zu seinem Dienste hcrzu-
drängte, und daß mancher Dienstknccht, der trotzig der Plackerei
und Schinderei des Thalbauern Lebewohl gesagt hatte, nachher,
freilich umsonst, flehentlich bat, wieder angenommen zu werden.
An einem Abende, als der Bauer wieder unter seiner
Linde Platz genommen hatte, sah er eine Person über das
Brücklcin kommen, die ziemlich große Aehnlichkcit mit einem
Vagabunden hatte. Es war ein junger Mann, mit lang herab-
hängendem Haar, in einem sehr abctragcncn Sammtrock und
breitkrämpigen Hut, dem Wind und Wetter übel mitgespiclt
hatten. Als er näher kam, bemerkte man ein blasses, abgezehr-
tes Gesicht, dem die Spuren schwerer Leiden, wohl auch manches
Hungcrtags aufgcdrückt waren. Der Bauer hatte keine Freude
an solchen Gestalten. Nicht daß er gegen das Unglück über-
haupt hart und unempfindlich gewesen wäre, aber gerade diese
Form des Unglücks war seinem innersten Wesen zuwider.
Warum hatte ein solcher Mensch nichts gelernt, das ihn nährte,
oder wenn das, warum flankirte er auf anderer Leute Kosten
im Land herum, statt irgendwo sich seßhaft nicderzulassen und
in seinem Beruf zu arbeiten? Er wußte aus Erfahrung, wie
sauer cs sich selbst der vermögliche Landmann werden ließ bei
der täglichen Arbeit und theiltc darum sein Brod nicht gerne
mit Leuten, welche die Hände in den Hosentaschen, müssig-