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Ein Himbeerkuchen.

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einem intimen Freunde erzählt haben, der nicht den Mund hat
halten können." — „So etwas kommt oft vor!" sagte der
Rath Zipfelein, während der Redner ein kleine Pause machte.
Ihm ahnte nichts davon, daß es eines seiner eigenen Ge-
heimniffe war, ein Stück aus seinem eigenen Leben, was er
! hier sollte erzählen hören; — und der heitere Erzähler dachte
! ebenso wenig daran, den Helden der Begebenheit sich gegen-
I über zu haben. Er Hub also an: „Wie ich bereits sagte, ist
j mir ein Name nicht genannt worden, dock war es ein Mann,
von dem ick reden will, den, wie mir erzählt wurde, das
Schicksal mit einer sehr liebenswürdigen Frau beglückt hatte. Der
Mann kam nun eines Abends nach Hause und verlangte
seine Schinkenknödel, die er sich zum Nachtessen angeschafft
hatte; Schinkenknödel waren eben seine Passion! Man trug
ihm sein Gericht auf. — „Aber, mein Gott, das sind ja
keine Schinkenknödel!" sagte der Mann nach den ersten zwei
Bissen. — „Freilich!" eutgegnete die Frau. — „Ich werd'
doch wissen, was ich schmecke!" — „Und ich werd' doch wissen,
was ich Dir vorsetze, wenn ich den Schinken selbst gekauft
habe!" — „Es sind keine! was nutzt denn das dumme Ge-
schwätz weiter!" — „Dummes Geschwätz?" wiederholte die
Frau, „nun, das soll Dich nicht länger belästigen!" fügte
sie dann hinzu, indem sie sich rasch vom Tische erhob und sich,
ohne eine gute Nacht zu wünschen, schnell in ihre Schlas-
kammer verfügte, deren Thüre sie gewaltig hinter sich zudon-
nerte. Da warf auch der Mann sein Tischzeug hin, nahm
seinen Hut und sein Parapluie und ries nur noch eh' er fort-
ging das Dienstmädchen zum strengen Gramen vor sich. „Sind
das Schinkenknödel oder nicht?" fragte er barsch. — „Ach
ja," eutgegnete das Mädchen, „Schinkenknödel sind's freilich!
aber eh' ich sie noch ganz zusammen richten konnte, hat mir
die Katz' den Schinken weggesressen gehabt." — . „Da haben
wir's!" sagte der Mann, faßte heftig seinen Regenschirm unter
den Arm und ging." — Die Frau Räthin Zipselein ward
bei diesem Kapitel von einer argen Röthe überzogen und der
Herr Rath nahm eine gewaltige Prise, wobei er einige Male
so heftig an seiner Nase riß, als wolle er einen guten Ge-
danken herausziehen. Der Orientale erzählte weiter: „Der

■ Regen goß in Strömen herab, und die Straßen waren öde
und finster; trotzdem aber wollte eS dem Manne nicht gefal-
len, in irgend ein Gasthaus zu gehen, denn — er hatte keinen
Durst! Wie abscheulich das Wetter auck war, so schritt er
doch langsam unter seinem triefenden Schirm dahin. Gerade
heute wäre er gern im Schlasrock und Pantoffeln zu Hause
geblieben, denn — er hatte keinen Durst; und gerade heute
mochte er sich nicht in die muntere Gesellschaft seiner Bekann-

j ten verfügen, denn, noch einmal, — er hatte keinen Durst!

! So schleuderte er denn bestimmungslos dahin. Als er nun
eben wieder einmal um eine Straßenecke gebogen hatte, da
bemerkte er unter der Thorwölbung eines Hauses eine junge

■ Dame, die das Aufhören des Regnens abzuwarten schien,
^ie machte eine ganz verzweiflungsvolle Miene dabei, wie ihn
die Laterne neben dem Thore erkennen ließ. Ich weiß nun
nicht, ob diese Miene wirklich so Mitleid erregend aussah,

oder ob sie ihm nur so vorgekommen ist, genug, er behauptet,
daß ihn deren Untröstlichkeit bewogen habe, sich ihr hülfreich
zu nahen. Vielleicht ist es auch die Schönheit derselben ge-
wesen!" — Der Herr Rath Zipfelein rückte ungeduldig mit
dem Stuhle; der Erzähler schob das einer gewissen Unzu-
friedenheit zu und fuhr fort: „Er, der Mann, von dem

ich sprach, bot also der jungen Dame in freundlicher Weise
an, sie unter seinem Regenschirm so trocken als möglich
nach Hause oder dahin zu bringen, wohin sie sonst zu gehen
habe. Nach einigen zierlichen Worten nahm sie den Vorschlag
an. Sie raffte sich mit der unvermeidlichen Umständlichkeit
einer Crinolinbesitzerin an allen Ecken zusammen und betrat,
an der Seite ihres Beschützers, den Weg. — „Ach, wenn
meine gute Base nur nicht gar so entsetzlich entlegen von mir
wohnte!" fing die junge Gefährtin zu plaudern an; — „ich
würde bei dieser Witterung nicht zu ihr hingehen, wenn sie
nicht gerade recht krank wäre; ich dachte noch trocken zu ihr hinzu-
kommett, um ihr ein Stückchen Himbeerkuchen zu bringen : aber
der Regen hat mich überrascht." — In Wirklichkeit trug das
Mädchen auch in der Hand ein großes Stück Kuchen in ein
Papier gewickelt. Ihr Begleiter war artig genug, sich anzu-
bieten, das Packet zu tragen, damit sie weniger behindert sei,
und sich der Traufe des Regenschirmes besser entziehen könne.
Sie nahm auch diesen Vorschlag an und der Mann schob den
Kuchen in die große Seitentasche seines weiten Ueberrockö.
Die junge Dame entzog sich der Traufe, — das war sehr
natürlich, — und kam dadurck in eine sehr enge Berührung
mit ihrem Begleiter, — und das war auch natürlich!" —
Bei diesen Worten räusperte der Rath Zipfelein sich so ge-
waltig, daß eine kleine Unterbrechung entstand; er hoffte immer
noch durch ein Zeichen etwa, welches er dem Doktor verstohlen
geben könne, sich mit diesem dahin zu verständigen, daß die
Erzählung zum Besseren für ihn gewendet werde; er hatte
längst gesehen, wie seine theuere Gattin mit dem ganzen Um-
fang ihres Gesichts aufmerkte auf die Dinge, die da kommen
sollten; sie hatte an den Schinkenknödeln ja schon erkannt, daß
hier ganz zufälliger Weise von ihrem eigenen Herrn Gemahl
die Rede war. „Weiter, Herr Doktor, weiter!" — hieß es
indessen an allen Seiten, ehe es noch dem schmächtigen Rath
Zipfelein gelungen war, den Blick des Erzählers zu angeln.
Dieser folgte der allgemeinen Einladung und fuhr fort: „Der
Mann hatte also den Kuchen in seiner Tasche und sie, die
junge Dame, war von einer großen Unbequemlichkeit befreit;
beide konnten sich nun besser vor dem Regen schützen, und
als sie auf ein wegsames Trottoir gelangt waren, ließ sie
ihm sehr freundlich ihren Arm. So kamen sie endlich an den
finstern Eingang eines großen Hauses, in welckem die be-
sprockene Base wohnte. Beide hatten aber auf dem langen
Wege so viel Stoff zur Unterhaltung gesunden, daß sie damit
nock gar nicht fertig waren. Die junge Dame plauderte vor-
aussichtlich so heiter und zutraulich und er hatte, wie sich er-
warten läßt, so sehr seine liebenswürdige Seite vorgekehrt,
daß beim Abschiede" — hier fing der Herr Rath Zipfelein
so heftig zu husten au, daß der Tisch wankte und die Gläser
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