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Ein Himbcerknchen.

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klirrten; er drohte zu ersticken und machte Miene sich von
der Tafel entfernen zu wollen, in der Hoffnung, seine Gattin
werde ihm besorglich folgen; diese aber blieb nicht nur sitzen,
sondern sie warf ihm auch einen derartigen Blick zu, daß ihm
dabei der Husten und die Lust aufzustchcn sogleich verging.
Die Ruhe war nun wieder hcrgcstcllt. Mit Ausnahme unseres
guten Rathes Zipfelein ersuchten alle Gäste, die Räthin an
der Spitze, um die Fortsetzung der Erzählung, welche der
Doktor dann auch mit folgenden Worten begann: „Ich habe
also gesagt: beim Abschiede, — über dessen nähere Begebnisse
ich nicht gänzlich eingcweiht worden bin, — bei diesem Ab-
schiede also, wohl zusammengesetzt aus Dankcsbezeugungcn mit
Händedrücken und Anderem, dachte weder er noch sie, auch nur
mit einer Sylbe an den Kuchen. — Schnell trat der Mann
seinen Rückweg in das Innere der Stadt an. Er mochte wohl,
wie man dies nach angenehmen Augenblicken so gern zu thun
Pflegt, sich noch einmal alles wiederhole», waö geplaudert und
geantwortet ward; er dachte an Alles zurück, nur an den
Kuchen nicht!" —

So gelangte er denn endlich vor ein Gasthaus und che
er hineinging, wollte er prüfend noch forschen, ob ihm auch
der Hausschlüssel nicht fehle. Er griff in die Tasche und da
fand er das Packet. — Aber, wohin damit? — Die Base
konnte er, auch wenn er nach dem großen Hause zurück ging,
nicht auffinden, weil er ihren Namen nicht wußte; von der
jungen Dame wußte er auch nur den Vornamen und die
Straße, in welcher sie wohnte; auch hatte sie ihm gesagt, daß
sic die Nacht über bei ihrer Base bleiben werde; er hätte
sonst ihre Rückkehr abwartcn können. — Wohin also mit dem
Kuchen? Unwillkührlich mochte ein Lächeln seine Züge beleben,
als er sich wieder und wieder so srug. Er sann einen Augen-
blick nach; dann lachte er hell aus: Sein Entschluß war ge-
faßt, und er kehrte dem Gasthause den Rücken." —

Ein greller Schrei unterbrach hier plötzlich die Erzählung;
cs war ein Scbmerzcnsruf aus dem Munde der Majorstochter,
der bleichen Nachbarin des Doktors. Zugleich erfolgte aber
auch ihr gegenüber an der Tafel ein furchtbarer Schlag. Ein
Thcil der Gäste sah bestürzt auf das Fräulein, ein anderer
eilte dem Rath Zipfclein zur Hilfe, rücklings lag er am Boden,

— er war mit dem Stuhle umgestürzt, — und streckte pfeil-
gerade die Beine in die Lust, als wolle er sich den Plafond damit
ansehen. Zum Glück lebte er noch, und die Gesellschaft athmete wie-
oer freier aus nach dieser Wahrnehmung. Seine Gemahlin strengte
ihre Biegsamkeit an, ihm wieder in eine anständigere Stellung
zu verhelfen. Bei seinem Sturze war der Tisch in's Wanken
gcrathcn. Flaschen und Gläser waren umgestürzt. Es muster-
ten und wischten jetzt ringsherum die Damen, was es zu
wischen gab an den mit Wein übcrgoffcneu Kleidern. —
Der Majorin, die, um den Erzähler recht zu hören, mit der
ganzen Wölbung ihres verwittwctcn Busens vorgebeugt aus
dem Tische gelehnt gewesen war, — diese arme Majorin war
beim Wanken dcö Tisches sogar durch ein volles Glas Roth-
wein übergossen worden; — ach, das war entsetzlich! —
Ähre Tochter saß zurückgelchnt aus dem Sessel halb ohnmächtig
da, und wäre gern noch bleicher geworden, als ihre ursprüng-
liche Farbe war, wenn sie nur gekonnt hätte. „Was ist denn
Ihnen, mein Fräulein, vorhin paffirt, daß Sie so laut aus-
schriecn, wie von einem Thicrc gestochen?" — so fragte sic
theilnchmend der Doktor. — „Ach, ich weiß nicht," entgegnete
sie etwas verlegen, „mir war, als sei mir etwas auf den
Fuß, hier aus meinen linken Fuß gefallen." — Bei diesen
Worten warf sie einen fragenden Blick hinüber nach ihrem
vis-ä-vis, dem Rath Zipselcin, der jetzt wieder auf seinen
Beinen stand. Der hätte den rechten Aufschluß geben können.
Er hatte nämlich noch vor dem Schluffe der vcrhängnißvollcn
Erzählung gewünscht, daß der Doktor aus ihn und aus ein
kleines Zcttelchcn merken sollte, welches er ihm verstohlen zu-
gcschoben hatte; er hatte unvermerkt die Worte daraus ge-
schrieben: „Sagen Sie am Ende der Geschichte doch, ich habe
Ihnen dieselbe vor Tisch mitgetheilt, und Sie solche zu erzählen
ersucht, um einmal meine Frau eifersüchtig zu machen. Ich bin
selbst jener gewisse Mann. Näheres später!" — Der Doktor
hatte das Zcttelchcn aber nicht bemerkt und unser Zipselei»
lehnte sich daher, so weit cs gehen wollte, mit seinem Stuhle
zurück, um unter dem Tische dem Doktor ein Zeichen mit
seinem Fuße geben zu können; es hatte aber sein Fuß un- l
glücklicher Weise nicht den Doktor, sondern den Fuß der bleichen
MajorStochtcr erwischt, und statt jenem, hatte er ihr das '
- Zeichen aus die Hühneraugen gedrückt. Diese schrie laut auf,

; wie bereits erwähnt, und vor Schrecken hatte dann der Rath
Zipselcin das Gleichgewicht verloren und war umgcfallcn. Das
j bleiche Fräulein mochte das Zeichen anders verstanden haben,
,jals cs gemeint war, denn eine feierliche nachdenkliche Stim-
mung hatte sich ihrer bemächtigt.

(Schluß folgt.)

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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Ein Himbeerkuchen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Mann <Motiv>
Stuhl <Motiv>
Sturz <Motiv>
Gesellschaftsleben <Motiv>
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Thema/Bildinhalt (normiert)
Tischgesellschaft <Motiv>

Literaturangabe

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Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
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Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 33.1860, Nr. 784, S. 11

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