IST
Die Falsche und
„Mathilde Werner!" das war nun der Gegenstand meiner
Träume und meiner stillen Hoffnungen und wcnnn ick mich
einmal vorm Einschlafen in dem süßen Gedanken einer endlich
erlangten Pfarre berauschte, dann durfte auch jene Mathilde
Werner an meiner Seite nicht fehlen. Hatte ich schon srüher,
nur um den Beschwerden des Hauslehrerstandes zu entfliehen,
eifrig nach einem Pfarramtc gestrebt, so war nun, da mit der
I Pfarre auch die Hoffnung auf Mathildens Besitz näher rückte,
meine Sehnsucht verhundertfacht worden. Daß ich es mir na-
türlich nicht cinfallcn ließ, mich schon vorher der Neigung meiner
Angebeteten zu versichern, darüber wirst Du, der Du mich
kennst, Dich nicht wundern. Ich begnügte mich nach wie vor
an dem Glück, ihr zuweilen zu begegnen, und lebte in der
stillen Sorge hin, cs möchte mir, che ich in dem ersehnte»
Hafen eingclaufen wäre, irgend Jemand die Angebetete wcg-
schnappen; denn ich begriff nicht, wie die Leute, die da hci-
rathen konnten, sobald sie nur wollten, sich nicht augenblicklich
aufmachten und als Bewerber um die schöne Mathilde auf-
traten. Daneben kämpfte ich oft auf's grausamste gegen das
allzuüppige Emporschicßen meiner Hoffnung. Unzählige Male
sagte ich in häusig wiederkchrenden Stunden einer mich oft
bcsallcnden Entmuthigung zu mir: „Weber, laß diese dumme»
Träume sein, cs hilft doch nichts! Wie willst denn Du mit
Deinem ewigen Pech zu einer Pfarre kommen, und wenn
Du'S auch wirklich so weit brächtest, das Mädchen nimmt Dich
am Ende gar nicht!" Aber so tapser ich auch mit selbst ver-
nichtender Wuth gegen die Hoffnung kämpfte und sie mit allen
Wurzeln auszureißen suchte, so wenig gelang cs mir. Immer
wieder ertappte ich mich vom neuen, wie ich dem schönen Traume
nachhing, irgendwo als Landprcdigcr in einem freundlichen
wohnlichen Hause an Mathildens Seite wie der liebe Gott in
Frankreich zu leben. Indessen lebte ich so fort, hoffte und äng-
stigte mich, probcprcdigte, ging einige Wochen in gespannter
Erwartung hin und fiel bei der Ernennung eines meiner Ri-
valen von der Höhe, auf welche die Hoffnung mich getragen,
in dumpfe stumme Perzweiflung herab, bis bei der nächsten
Vakanz das Spiel von neuem begann. — Endlich wurde auch
hier die Psarrstcllc in Arnsdorf erledigt und diesmal schien
mein ungünstiges Geschick ermüdet zu sein. Die Stelle ist,
wie Du das ja selbst gesehen haben wirst, nicht gerade sehr
glänzend, und der Zudrang von Bewerbern um dieselbe war
deshalb sehr gering. Außer mir hatten sich nur zwei Andere
gemeldet. Der Eine war ein wirklich sehr spärlich begabter
Man», dessen Probeprcdigt mir keinen Schaden that und der
Andere, ein tüchtiger aber etwas leichter Bursche, halte das
Mißgeschick, sich auf dem Wege nach Arnsdorf in einer Sälenke
fcstzusetzcn, so daß er nur wenige Minuten vor der Kirchcn-
zeit ankam und zwar in einem Zustande, welcher ihm die
Herzen der Gemeinde von vornherein abgeneigt machte und, so siel
mir denn wirklich die Stelle zu. Ich hatte mein Bestätigungs-
schreiben in der Hand, die Pastorwohnung kannte ich von der
Probepredigt her, das Einkommen meines Amtes war mir
schriftlich mitgctheilt worden, und da der erste Wurf gelungen
war, setzte ich mich glückbcrauscht hin, auch den zweiten zu wagen.
doch die Rechte.
Ich hatte nach und nach noch einige Erkundigungen über
die Familie Werner eingezogen, und das Resultat derselben war,
daß Herr Werner ein äußerst solider Mann sei, der sich allerdings
nur knapp aber doch schuldenfrei durchbringe; er war Wittwer
und lebte mit den beiden Mädchen sehr still und cingczogcn.
Auch nach der Tochter hatte ich nochmals ganz von Weitem
gefragt und vernommen, sic sei äußerst wirthschaftlich und ver-
ständig und führe den ganzen Haushalt mit den wenigen
Mitteln auf bewunderungswürdige Weise.
Was wollte ich mehr? Ich setzte mich also hin, schrieb
an den Herrn Werner, setzte einen kurzen Abriß meines Lebens
auf, legte meine Verhältnisse dar, das Einkommen der Pfarre
u. s. w. u. s. w., kam dann auf seine Tochter Mathilde zu
sprechen, die ich gar nicht näher kannte, der ich aber zuweilen
zu begegnen das Glück gehabt hätte, berührte den guten Ruf
ihrer Häuslichkeit, in dem sie allgemein stehe, und endete mit
einer Bitte um die Hand derselben, wenn sic anders geneigt
wäre, die allcrings nur bescheidene Psarrstelle in Arnsdorf mit
mir theilen zu wollen. Schließlich bat ich um baldige schrift-
liche Antwort, die Entscheidung möge nun ausfallen, wie sic
wolle.
Nach peinlicher Wartezeit eines halben Tages und einer
Nacht, lief am Vormittag des nächsten Tages ein Schreiben
des Herrn Werner ein, in welchem er mir meldete, daß seine
Tochter den ehrenvollen Antrag gern annehme und ich möchte
nur die Güte haben, heut Nachmittag um fünf Uhr zu ihnen
hcrübcrzukommen, wenn es meine Zeit erlaube.
Da stand ich denn am Ziele meiner Wünsckc und ge-
berdete mich im Freudenräusche ziemlich unsinnig; die Zeit bis
um fünf Uhr schleppte sich unerträglich langsam hin und halb
Entzücken halb abscheuliche Verlegenheit und Angst im Herzen,
machte ich mich in meinen besten Kleidern Punkt fünf Uhr
auf den Weg.
Was sollte ich sagen? wie sollte ich mich einführen?
das waren unlösbare Fragen und obschon ich den ganzen Vor-
mittag und den halben Nachmittag Anrede über Anrede studirt und
wieder vcrworsen hatte, war ich jetzt gerade wieder so weit, als
im Anfang und mußte mich entschließen, Alles dem Zufall zu über-
lassen. „Drei Treppen hoch, Thürc links," das war der
Ariadnefaden, der miä> durch das Haus führte. Ich stand an
der bezeichneten Thürc des Vorgemacbs und zog die Klingel,
cs war mir furchtbar schwül um'S Herz. Die Thür öffnete
sich. Herr Werner empfing mich mit sichtlicher Freude und
umarmte mich mit de» Worten: „Nun so seien Sic mir doch
willkommen, tausendmal willkommen! Ihnen mein lieber Herr
Weber, vertraue ich meine gute Tochter mit Freuden an, ich
bin überzeugt, sie wird es gut haben bei Ihnen. Und wen»
der Segen des Vaters den Kindern Häuser baut, dann kann
cs meinem Kinde nicht schlecht gehen! denn sie ist und war
mir eine treue Tochter, ein Kleinod, ein wahrer Segen in
meinem Hause. Nu», lieber Herr Weber, so gehen Sie nur
herein, meine Mathilde erwartet Sic!" Damit machte er die
Thürc zum nächsten Zimmer auf, mir schwamm es vor den
Augen, wie ein seltsamer Nebel; der Schwiegervater in spe
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Die Falsche und
„Mathilde Werner!" das war nun der Gegenstand meiner
Träume und meiner stillen Hoffnungen und wcnnn ick mich
einmal vorm Einschlafen in dem süßen Gedanken einer endlich
erlangten Pfarre berauschte, dann durfte auch jene Mathilde
Werner an meiner Seite nicht fehlen. Hatte ich schon srüher,
nur um den Beschwerden des Hauslehrerstandes zu entfliehen,
eifrig nach einem Pfarramtc gestrebt, so war nun, da mit der
I Pfarre auch die Hoffnung auf Mathildens Besitz näher rückte,
meine Sehnsucht verhundertfacht worden. Daß ich es mir na-
türlich nicht cinfallcn ließ, mich schon vorher der Neigung meiner
Angebeteten zu versichern, darüber wirst Du, der Du mich
kennst, Dich nicht wundern. Ich begnügte mich nach wie vor
an dem Glück, ihr zuweilen zu begegnen, und lebte in der
stillen Sorge hin, cs möchte mir, che ich in dem ersehnte»
Hafen eingclaufen wäre, irgend Jemand die Angebetete wcg-
schnappen; denn ich begriff nicht, wie die Leute, die da hci-
rathen konnten, sobald sie nur wollten, sich nicht augenblicklich
aufmachten und als Bewerber um die schöne Mathilde auf-
traten. Daneben kämpfte ich oft auf's grausamste gegen das
allzuüppige Emporschicßen meiner Hoffnung. Unzählige Male
sagte ich in häusig wiederkchrenden Stunden einer mich oft
bcsallcnden Entmuthigung zu mir: „Weber, laß diese dumme»
Träume sein, cs hilft doch nichts! Wie willst denn Du mit
Deinem ewigen Pech zu einer Pfarre kommen, und wenn
Du'S auch wirklich so weit brächtest, das Mädchen nimmt Dich
am Ende gar nicht!" Aber so tapser ich auch mit selbst ver-
nichtender Wuth gegen die Hoffnung kämpfte und sie mit allen
Wurzeln auszureißen suchte, so wenig gelang cs mir. Immer
wieder ertappte ich mich vom neuen, wie ich dem schönen Traume
nachhing, irgendwo als Landprcdigcr in einem freundlichen
wohnlichen Hause an Mathildens Seite wie der liebe Gott in
Frankreich zu leben. Indessen lebte ich so fort, hoffte und äng-
stigte mich, probcprcdigte, ging einige Wochen in gespannter
Erwartung hin und fiel bei der Ernennung eines meiner Ri-
valen von der Höhe, auf welche die Hoffnung mich getragen,
in dumpfe stumme Perzweiflung herab, bis bei der nächsten
Vakanz das Spiel von neuem begann. — Endlich wurde auch
hier die Psarrstcllc in Arnsdorf erledigt und diesmal schien
mein ungünstiges Geschick ermüdet zu sein. Die Stelle ist,
wie Du das ja selbst gesehen haben wirst, nicht gerade sehr
glänzend, und der Zudrang von Bewerbern um dieselbe war
deshalb sehr gering. Außer mir hatten sich nur zwei Andere
gemeldet. Der Eine war ein wirklich sehr spärlich begabter
Man», dessen Probeprcdigt mir keinen Schaden that und der
Andere, ein tüchtiger aber etwas leichter Bursche, halte das
Mißgeschick, sich auf dem Wege nach Arnsdorf in einer Sälenke
fcstzusetzcn, so daß er nur wenige Minuten vor der Kirchcn-
zeit ankam und zwar in einem Zustande, welcher ihm die
Herzen der Gemeinde von vornherein abgeneigt machte und, so siel
mir denn wirklich die Stelle zu. Ich hatte mein Bestätigungs-
schreiben in der Hand, die Pastorwohnung kannte ich von der
Probepredigt her, das Einkommen meines Amtes war mir
schriftlich mitgctheilt worden, und da der erste Wurf gelungen
war, setzte ich mich glückbcrauscht hin, auch den zweiten zu wagen.
doch die Rechte.
Ich hatte nach und nach noch einige Erkundigungen über
die Familie Werner eingezogen, und das Resultat derselben war,
daß Herr Werner ein äußerst solider Mann sei, der sich allerdings
nur knapp aber doch schuldenfrei durchbringe; er war Wittwer
und lebte mit den beiden Mädchen sehr still und cingczogcn.
Auch nach der Tochter hatte ich nochmals ganz von Weitem
gefragt und vernommen, sic sei äußerst wirthschaftlich und ver-
ständig und führe den ganzen Haushalt mit den wenigen
Mitteln auf bewunderungswürdige Weise.
Was wollte ich mehr? Ich setzte mich also hin, schrieb
an den Herrn Werner, setzte einen kurzen Abriß meines Lebens
auf, legte meine Verhältnisse dar, das Einkommen der Pfarre
u. s. w. u. s. w., kam dann auf seine Tochter Mathilde zu
sprechen, die ich gar nicht näher kannte, der ich aber zuweilen
zu begegnen das Glück gehabt hätte, berührte den guten Ruf
ihrer Häuslichkeit, in dem sie allgemein stehe, und endete mit
einer Bitte um die Hand derselben, wenn sic anders geneigt
wäre, die allcrings nur bescheidene Psarrstelle in Arnsdorf mit
mir theilen zu wollen. Schließlich bat ich um baldige schrift-
liche Antwort, die Entscheidung möge nun ausfallen, wie sic
wolle.
Nach peinlicher Wartezeit eines halben Tages und einer
Nacht, lief am Vormittag des nächsten Tages ein Schreiben
des Herrn Werner ein, in welchem er mir meldete, daß seine
Tochter den ehrenvollen Antrag gern annehme und ich möchte
nur die Güte haben, heut Nachmittag um fünf Uhr zu ihnen
hcrübcrzukommen, wenn es meine Zeit erlaube.
Da stand ich denn am Ziele meiner Wünsckc und ge-
berdete mich im Freudenräusche ziemlich unsinnig; die Zeit bis
um fünf Uhr schleppte sich unerträglich langsam hin und halb
Entzücken halb abscheuliche Verlegenheit und Angst im Herzen,
machte ich mich in meinen besten Kleidern Punkt fünf Uhr
auf den Weg.
Was sollte ich sagen? wie sollte ich mich einführen?
das waren unlösbare Fragen und obschon ich den ganzen Vor-
mittag und den halben Nachmittag Anrede über Anrede studirt und
wieder vcrworsen hatte, war ich jetzt gerade wieder so weit, als
im Anfang und mußte mich entschließen, Alles dem Zufall zu über-
lassen. „Drei Treppen hoch, Thürc links," das war der
Ariadnefaden, der miä> durch das Haus führte. Ich stand an
der bezeichneten Thürc des Vorgemacbs und zog die Klingel,
cs war mir furchtbar schwül um'S Herz. Die Thür öffnete
sich. Herr Werner empfing mich mit sichtlicher Freude und
umarmte mich mit de» Worten: „Nun so seien Sic mir doch
willkommen, tausendmal willkommen! Ihnen mein lieber Herr
Weber, vertraue ich meine gute Tochter mit Freuden an, ich
bin überzeugt, sie wird es gut haben bei Ihnen. Und wen»
der Segen des Vaters den Kindern Häuser baut, dann kann
cs meinem Kinde nicht schlecht gehen! denn sie ist und war
mir eine treue Tochter, ein Kleinod, ein wahrer Segen in
meinem Hause. Nu», lieber Herr Weber, so gehen Sie nur
herein, meine Mathilde erwartet Sic!" Damit machte er die
Thürc zum nächsten Zimmer auf, mir schwamm es vor den
Augen, wie ein seltsamer Nebel; der Schwiegervater in spe
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