Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
138

Donatus mit dem Geier.

derte verlaufen sind, seit selbige Tafel in der Festhalle zuge-
richtet ward.

Die Ehrenplätze nahm ein Jubelpaar ein, das seinen
sechzigsten Hochzeitstag beging. Die zahlreichen Gäste bestan-
den einzig und allein aus den Söhnen des Hauses mit ihren
Frauen und Kindern, welche letztere mit einer einzigen Aus-
nahme lauter Buben waren. Alle Häupter waren mit Blumen
bekränzt. Der Freiherr Donatus von Vatz trug seine achtzig
und etliche Winter mit aufrechtem Nacken, wie er vor noch nicht
vielen Jahren den Harnisch getragen, die wuchtige Mordaxt in
kräftiger Faust geführt und den Jagdspieß geworfen. Den
Scheitel deckte in reicher Fülle das lockige Silbcrhaar, in krau-
ser Ueppigkcit wallte der Bart, noch vielfach mit schwarzen
Fäden durchwirkt, zum Gürtel nieder. Aus dem wetterbraunen
! runzlichen Antlitze blitzten ein Paar schwarze Augen gleich
i Feuerrädern. Seine Stimme klang rein mit vollem Ton. Sein
! ältester Sohn, ihm ähnlich wie aus den Augen geschnitten,
j sah kaum jünger aus als er und würde von einem Fremden
für den Bruder des Burgherrn gehalten worden sein. Der
jüngste Sohn war noch ein leichtfüßiger Fant im Anbeginn
der Zwanzig, ein Oheim, der an Jahren hinter mehreren sei-
ner Neffen zurückstand.

Zwischen dem Ahnherrn und der Ahnfrau saß ein klei-
nes Mädchen, wnnderlieblich anznschaucn, des Ahnherrn leib-
haftiges Ebenbild, unverkennbar ähnlich und dennoch wiederum
entschieden ungleich. Um Aehnlichkeit und Unähnlichkeit dieser
beiden Wesen zu erklären, hätte es mancherlei Umwege bedurft.
Ein fündiger Kopf wäre etwa zum Fenster getreten und hätte
hinausdentend gefragt: „Was erblickst du vor dir?" — „Das
Domleschgerthal", würde der andere geantwortet habe»; „rechts
und links breitet cs sich am Gestade des Hinterrheins aus,
bewacht von himmelhohen Alpen. Den oberen Eingang zum
Thale, wo der junge Strom sich kopfüber von der Via mala
herunterstürzt, behütet Rcatt, (Hohen Rhätia), mit den unge-
heuren runden Thürmen. Und alles Land ..." Grünt und
glänzt in frischer Pracht des verjüngten Jahres. Ganz recht
mein Freund. Nun aber nierke wohl auf; wenn du die Ge-
j gend im rauhen Winter erblickst, in Schnee gehüllt, von Eis
, umstarrt, wirst du nicht umhin können, trotz des gewaltigen
; Unterschiedes, sie dennoch als dieselbe zu erkennen, die vor
: wenigen Monaten so frohmüthig dich anlächelte? Eine gleiche
Bewandtuiß hat es mit dem edlen Herrn Donatus und der
■ kleinen Katharina, der Enkelin seines ältesten Sohnes Rudolf,
dem Töchterlein seines Enkels, der ihm zu Ehren ebenfalls
Donatus getauft worden.

Das „Meidli" war dem jungen Donat und seiner Haus-
frau nicht allzuwillkommen gewesen und zwar um so weniger, als
in den fünf oder sechs Jahren, welche seit Katharinas Geburt
; verstrichen, der Storch sich gar nicht mehr eingestellt. Das junge
i Ehevolk fühlte schier Gewissensbisse, die zahlreiche Nachkommen-
schaft auch mit gar nichts vermehrt zu haben, als mit einem
einzigen Mägdlein, dem ersten, das seit Mcnschengedenken
zu Schild und Helm von Vatz geboren worden. Die Frau
hielt das gleichsam für eine Schande vor den Augen der Groß-

mutter ihres Gatten, und diese schien nicht ganz abgeneigt,
eine solche Ansicht zu theilen. Um so entschiedener trat ihr
der alte Donatus entgegen; seit vielen vielen Jahren hatte er
ein Mägdlein in's Haus gewünscht, und als Katharina endlich
gekommen, war sie von ihm wie ein Engel mit einer beson-
deren Gnadenbotschaft begrüßt worden. Er ließ „das Chind"
sozusagen nicht von seiner Seite und hütete es, wie seinen Aug-
apfel.

Die Tafelrunde hatte schon manchen Tummler bis zur
Nagelprobe geleert und war bereits ziemlich munter geworden.
Scherzreden flogen hin und her. Das Gewölbe hallte wieder
von Zuruf, schallendem Gelächter, lustigem Gesänge. Plötzlich
ward es merklich stiller, weil der Ahnherr etwas Besonderes zu
sagen begehrte.

„Fürwahr", hob Donat an, „wenn ich so meines Hauses
zahlreiche Nachfolge überblicke, drängt sich mir die Frage auf,
ob es nicht an der Zeit wäre, das Beispiel des Normannen
Tankred von Hauteviüe nachzuahmen, dessen Söhne ein Reich
in Apulien eroberten? Unsere Vorfahren, die Tuscier, sind
von jenseits der Alpen herübergekommen; warum sollten wir,
die von Vatz, nicht die sonnigen Abhänge niedersteigen, um im
Lande Jtalia unser Erbe zurück zu gewinnen, aus welchem die
alten Römer unsere Väter verdrängten. Was meint ihr dazu,
liebe Chnabcn?"

Die lieben „Chnaben" wußten im ersten Augenblicke kei-
neswegs, was sie dazu meinen sollten; freilich aus sehr ver-
schiedenen Gründen. Einige dachten, der Greis treibe Scherz;
andere verstanden nicht, wovon eigentlich die Rede, da sie zu-
fällig nie von den Normannen vernommen, deren Großthaten
in Heldenliedern fortlebten mit so mancher anderen Ueberlie-
fernng aus verschollenen Jahrhunderten; wieder andere wußten
zwar von den Normannen und noch mehr von ihres eigenen
Stammes Herkunft von der Sonnenseite des Splügen her,
aber sie glaubten nicht, daß es im Lande Toscana so schön
sein könne, als im Domlcschger Thal. Bei alledem lachte ihnen
allesammt der Gedanke an einen abenteuerlichen Zug nach
Wälschland freundlich zu. Die jüngsten Bürschlein jubelten
und ließen sich vernehmen, sie wollten am nächsten Morgen
ganz geschwind »ach Toscana reiten.

Donatus lachte, mehr ans Vergnügen, als aus Spott,
aber doch auch ein wenig aus Spott.

„Gar so rasch wird's schier nicht angchen", sagte er;
„eile mit Weile. Unser großer Ahnherr Rhätus ist auch nicht
ohne Umstände herüber gelaufen, um mir nichts dir nichts
über Nacht Hohen-Realt zu bauen und die Stadt Tusis zu
gründen. Ebensowenig sind zwischen Weihnacht und Dreikö-
nig die von Vatz zu Land und Leuten gekommen und zu Frei-
herrn des heiligen römischen Reiches geworden. Wir werden
zu unseren Vorbereitungen allein etlicher Jahre bedürfen, um
zuerst die Gelegenheit des Landes Toscana zu erkunden, be-
vor wir reisiges Volk anwerben ..."

Donat wurde unterbrochen. Ein Gast erschien. Er trug
das Gewand eines Mönches.

„Gelobt sei Jesus Christus," sagte der Eintretende.
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen