170
Donatus mit dcm Geicr.
Mit ebenso rascher als leiser Hand ergriff Donatus eine
Fessel, um sie festznknüpfen, Krummschnabel merkte nicht darauf.
Erst als die zweite Fessel befestigt war, fing er an, die Sache
übel zu empfinden. Jetzt aber war's zu spät. Donatus warf
ihm von rückwärts ein schon hcrgerichtetes Lederkäpplein über,
worauf er anfing ihn kunstgerecht zu wiegen, bis er ganz
stille saß, worauf der Knabe sich irgendwo in den Schatten legte,
um auszuschlafen und dann am Abend bei Fackellicht die eigent-
liche Abrichtuug des Gefieders zu beginnen.*)
Das Werk gedieh und belohnte reichlich die Entbehrung
des Schlafes, welche um seinetwillen Donatus sich auferlegte.
Wenn des Ortes Gelegenheit danach und der Vogel nicht zu
stark gewesen, er würde sicherlich einen wackeren Stößer gege-
j beu haben. Dem Riesen Romegas wäre er allenfalls handge-
recht geworden. Donatus hatte auch gar nicht im Sinn, ihn
j „werfen." Junker Krummschnabel sollte sein Spielgeselle
werden, wie es der gezähmte Rabe im väterlichen Hofe ge-
! wesen.
I Das gcrieth nach Wunsch und sogar über Erwarten.
! Krummschnabel wurde vertraut wie ein heimlicher Spatz, hörte auf
seinen Namen und folgte auf's Wort. Wenn er hie und da
nicht pünktlich gehorchen wollte, wurde er zur Strafe im Ringe
gewirbelt, bis ihm Hören und Sehen verging. Bei Nacht saß
er angefcsselt auf seinem Spreiß. Tagsüber hüpfte er mit zu-
; sammengebundeuen Flügeln frei umher, stets in des Gebieters
j Nähe. Einigemale hatte er sich unterstanden, ein Kitzlein oder
ein Lamm anzupacken, war aber durch Schläge belehrt worden,
j daß derlei für einen zahmen Vogel sich nicht zieme. Gewitzigt,
ließ er sich die Raubgelüste vergehen.
Als das Grün des Laubholzes sich bunt zu färben be-
gann, war der befiederte Junker erwachsen, obschon noch nicht
so stark, wie seine Alten gewesen. Donatus setzte sich eines
Tages ihm auf den Rücken, blos um zu sehen, was er an-
fangen werde. Der Vogel war durchaus nicht ungeberdig, son-
dern trug seine Last eine Strecke weit, wie das Roß den
Reiter.
Das Spiel behagte dem kleinen Fant. Er wiederholte
es Tag für Tag, und der Vogel gewöhnte sich dergestalt da-
ran, daß er nicht im Geringsten ermüdet schien, nachdem er
seinen Reiter stundenlang umhergetragen, wobei er dem Drucke
der Schenkel, Waden und Fersen gehorchen lernte.
Das Jahr rückte vor. Die entfärbten Blätter waren
größtentheils von den Bäumen gefallen. Die Tage wurden
! trüb und feucht, oft regnerisch; die Nächte lang und kalt.
Das sommerliche Gewand des unfreiwilligen Einsiedlers ge-
nügte nicht mehr, auch wenn es nicht in Fetzen gegangen wäre.
Er hüllte sich in Lammfelle, die er mit Sehnen zusammcn-
*) Dic freundliche Leserin und der geneigte Leser mögen namentlich
an d icser Stelle nicht vergessen, daß cs der Vortrag des alten Freiherr» von
Aap ist, welcher hier wiederholt wird, und daß cs ihm nicht in den Sinn
! kommen konnte, seinen Söhne» noch besonders zu erklären, was sic so
gut verstanden, wie er selber. So die Eigennamen von Bergen u. s.w.,
so auch das Verfahren beim Abrichten eines Stoßvogels. Er beschränkte
sich auf dic Erzählung der Begebenheit selbst, und der Verfasser dieser
Aufzeichnung ist nicht berufen, eine Belehrung über dic Falkncrci hier
! cinzuschaltcn.
nestelte und band, so gut es eben gehen wollte. Das Brod
war aufgezehrt, der Vorrath von Rauchfleisch merklich geschwunden,
von Winterfutter für die Heerde muthmaßlich nicht genug vor-
handen, da Donatus im Spätsommer nicht an die zweite Mahd,
wie überhaupt nicht an den Winter gedacht hatte. Jetzt erst
fiel ihm ein, was er Alles versäumt habe, aber die Reue kam,
ihrer alten Gewohnheit nach, zu spät. Und die bittere Sorge
nagte um so unerbitterlicher an dem jungen Herzen, als sich die
endlosen Abende hindurch die schändlichste Langweile zu ihr
gesellte. Aber auch dießmal brachte das Uebermaß der Betrüb-
niß und Angst den Rückschlag. Nachdem Donatus einige Zeit
hindurch sich abgehärmt, kam ihm nach inbrünstigem Gebete
ein leuchtender Gedanke.
„Und wenn ich auch Brod und Salz und sonst genug
zu essen hätte", sagte er, „ich könnte doch nicht zeitlebens hier
bleiben. Ich muß um jeden Preis fort und wage den Hals
an die Freiheit. Habe ich nicht einen großen Borrath von
gegerbtem Leder, von Fellen, von Sehnen? Fehlt es mir an
Holz? Fürwahr, ich bin wohl ein rechter Tapps, daß ich noch
nicht daran gedacht habe, mir eine Hängeleiter zu verfertigen. !
Fünfzehn Klafter werden ausreichen und wären es auch zwanzig,
in vier Wochen bin ich damit fertig. Freilich wird bis dahin
Schnee gefallen sein und die Wege sperren. Ei nun, dann
warten wir den Frühling ab. Der eine Winter bringt mich
noch nicht um, sobald sich nur das Ende der Gefangenschaft
absehen läßt."
Donatus ging unverweilt an's Werk. Er spaltete kleines
Holz und machte es auf der Schnitzelbank zu Leitersprossen
zurecht, deren er nach seiner Berechnung ein halbes Hundert
bedürfte. Die hoffnungsreiche Arbeit diente zugleich dazu, ihm
den Abend zu verkürze», bis der Schlaf kam. Angenehm müde
und seelenvergnügt ging er zur Ruhe, schlummerte seit längerer
Zeit zum erstenmale wieder sanft und ohne böse Träume.
Munter wie ein Zeisig wachte er Morgens mit der späten
Sonne auf.
Es war ein heller Tag, so um St. Andreas herum.
Das Wetter hatte sich urplötzlich aufgchellt, wie des Knaben
Laune, vermuthlich aber ans ganz verschiedener Ursache. Do-
natus ging hinaus und da ihm der langvermißte Sonnenschein
gar so wohl gefiel, beschloß er, ein wenig auszureiten und
suchte den Vogel auf, um ihn mit einem rechtschaffenen Früh-
stücke zu bedenken und dann loszunesteln.
„Komm herab, Krummschnabel", sagte er, „wir wollen
einen wackeren Ritt machen, wie noch nie."
War's nicht, als ob der Vogel ihn verstehe? Mit seit-
wärts gedrehtem Kopfe schaute er aus einem seiner grellen
Angen nieder, bevor er znm Boden hüpfte. Donatus schwang
sich auf das mit Federn gesattelte Roß. Krummschnabel nahm
einen raschen Anlauf über de» Wicsenplan, ungestüm wie nie
zuvor als wollte er einen Satz machen.
„Brav Junker, so ist's recht", lachte Douat.
Das Lachen verging ihm in demselben Athemzuge. Mitten
im Laufe und ohne anzuhalten entfaltete der Vogel seine
Schwingen.
Donatus mit dcm Geicr.
Mit ebenso rascher als leiser Hand ergriff Donatus eine
Fessel, um sie festznknüpfen, Krummschnabel merkte nicht darauf.
Erst als die zweite Fessel befestigt war, fing er an, die Sache
übel zu empfinden. Jetzt aber war's zu spät. Donatus warf
ihm von rückwärts ein schon hcrgerichtetes Lederkäpplein über,
worauf er anfing ihn kunstgerecht zu wiegen, bis er ganz
stille saß, worauf der Knabe sich irgendwo in den Schatten legte,
um auszuschlafen und dann am Abend bei Fackellicht die eigent-
liche Abrichtuug des Gefieders zu beginnen.*)
Das Werk gedieh und belohnte reichlich die Entbehrung
des Schlafes, welche um seinetwillen Donatus sich auferlegte.
Wenn des Ortes Gelegenheit danach und der Vogel nicht zu
stark gewesen, er würde sicherlich einen wackeren Stößer gege-
j beu haben. Dem Riesen Romegas wäre er allenfalls handge-
recht geworden. Donatus hatte auch gar nicht im Sinn, ihn
j „werfen." Junker Krummschnabel sollte sein Spielgeselle
werden, wie es der gezähmte Rabe im väterlichen Hofe ge-
! wesen.
I Das gcrieth nach Wunsch und sogar über Erwarten.
! Krummschnabel wurde vertraut wie ein heimlicher Spatz, hörte auf
seinen Namen und folgte auf's Wort. Wenn er hie und da
nicht pünktlich gehorchen wollte, wurde er zur Strafe im Ringe
gewirbelt, bis ihm Hören und Sehen verging. Bei Nacht saß
er angefcsselt auf seinem Spreiß. Tagsüber hüpfte er mit zu-
; sammengebundeuen Flügeln frei umher, stets in des Gebieters
j Nähe. Einigemale hatte er sich unterstanden, ein Kitzlein oder
ein Lamm anzupacken, war aber durch Schläge belehrt worden,
j daß derlei für einen zahmen Vogel sich nicht zieme. Gewitzigt,
ließ er sich die Raubgelüste vergehen.
Als das Grün des Laubholzes sich bunt zu färben be-
gann, war der befiederte Junker erwachsen, obschon noch nicht
so stark, wie seine Alten gewesen. Donatus setzte sich eines
Tages ihm auf den Rücken, blos um zu sehen, was er an-
fangen werde. Der Vogel war durchaus nicht ungeberdig, son-
dern trug seine Last eine Strecke weit, wie das Roß den
Reiter.
Das Spiel behagte dem kleinen Fant. Er wiederholte
es Tag für Tag, und der Vogel gewöhnte sich dergestalt da-
ran, daß er nicht im Geringsten ermüdet schien, nachdem er
seinen Reiter stundenlang umhergetragen, wobei er dem Drucke
der Schenkel, Waden und Fersen gehorchen lernte.
Das Jahr rückte vor. Die entfärbten Blätter waren
größtentheils von den Bäumen gefallen. Die Tage wurden
! trüb und feucht, oft regnerisch; die Nächte lang und kalt.
Das sommerliche Gewand des unfreiwilligen Einsiedlers ge-
nügte nicht mehr, auch wenn es nicht in Fetzen gegangen wäre.
Er hüllte sich in Lammfelle, die er mit Sehnen zusammcn-
*) Dic freundliche Leserin und der geneigte Leser mögen namentlich
an d icser Stelle nicht vergessen, daß cs der Vortrag des alten Freiherr» von
Aap ist, welcher hier wiederholt wird, und daß cs ihm nicht in den Sinn
! kommen konnte, seinen Söhne» noch besonders zu erklären, was sic so
gut verstanden, wie er selber. So die Eigennamen von Bergen u. s.w.,
so auch das Verfahren beim Abrichten eines Stoßvogels. Er beschränkte
sich auf dic Erzählung der Begebenheit selbst, und der Verfasser dieser
Aufzeichnung ist nicht berufen, eine Belehrung über dic Falkncrci hier
! cinzuschaltcn.
nestelte und band, so gut es eben gehen wollte. Das Brod
war aufgezehrt, der Vorrath von Rauchfleisch merklich geschwunden,
von Winterfutter für die Heerde muthmaßlich nicht genug vor-
handen, da Donatus im Spätsommer nicht an die zweite Mahd,
wie überhaupt nicht an den Winter gedacht hatte. Jetzt erst
fiel ihm ein, was er Alles versäumt habe, aber die Reue kam,
ihrer alten Gewohnheit nach, zu spät. Und die bittere Sorge
nagte um so unerbitterlicher an dem jungen Herzen, als sich die
endlosen Abende hindurch die schändlichste Langweile zu ihr
gesellte. Aber auch dießmal brachte das Uebermaß der Betrüb-
niß und Angst den Rückschlag. Nachdem Donatus einige Zeit
hindurch sich abgehärmt, kam ihm nach inbrünstigem Gebete
ein leuchtender Gedanke.
„Und wenn ich auch Brod und Salz und sonst genug
zu essen hätte", sagte er, „ich könnte doch nicht zeitlebens hier
bleiben. Ich muß um jeden Preis fort und wage den Hals
an die Freiheit. Habe ich nicht einen großen Borrath von
gegerbtem Leder, von Fellen, von Sehnen? Fehlt es mir an
Holz? Fürwahr, ich bin wohl ein rechter Tapps, daß ich noch
nicht daran gedacht habe, mir eine Hängeleiter zu verfertigen. !
Fünfzehn Klafter werden ausreichen und wären es auch zwanzig,
in vier Wochen bin ich damit fertig. Freilich wird bis dahin
Schnee gefallen sein und die Wege sperren. Ei nun, dann
warten wir den Frühling ab. Der eine Winter bringt mich
noch nicht um, sobald sich nur das Ende der Gefangenschaft
absehen läßt."
Donatus ging unverweilt an's Werk. Er spaltete kleines
Holz und machte es auf der Schnitzelbank zu Leitersprossen
zurecht, deren er nach seiner Berechnung ein halbes Hundert
bedürfte. Die hoffnungsreiche Arbeit diente zugleich dazu, ihm
den Abend zu verkürze», bis der Schlaf kam. Angenehm müde
und seelenvergnügt ging er zur Ruhe, schlummerte seit längerer
Zeit zum erstenmale wieder sanft und ohne böse Träume.
Munter wie ein Zeisig wachte er Morgens mit der späten
Sonne auf.
Es war ein heller Tag, so um St. Andreas herum.
Das Wetter hatte sich urplötzlich aufgchellt, wie des Knaben
Laune, vermuthlich aber ans ganz verschiedener Ursache. Do-
natus ging hinaus und da ihm der langvermißte Sonnenschein
gar so wohl gefiel, beschloß er, ein wenig auszureiten und
suchte den Vogel auf, um ihn mit einem rechtschaffenen Früh-
stücke zu bedenken und dann loszunesteln.
„Komm herab, Krummschnabel", sagte er, „wir wollen
einen wackeren Ritt machen, wie noch nie."
War's nicht, als ob der Vogel ihn verstehe? Mit seit-
wärts gedrehtem Kopfe schaute er aus einem seiner grellen
Angen nieder, bevor er znm Boden hüpfte. Donatus schwang
sich auf das mit Federn gesattelte Roß. Krummschnabel nahm
einen raschen Anlauf über de» Wicsenplan, ungestüm wie nie
zuvor als wollte er einen Satz machen.
„Brav Junker, so ist's recht", lachte Douat.
Das Lachen verging ihm in demselben Athemzuge. Mitten
im Laufe und ohne anzuhalten entfaltete der Vogel seine
Schwingen.