Briefe aus St. Petersburg von Rentier D
und küßte höchst eigenhändig mei' Olgäle, indem er fragte,
„wie viel Zimmer wünschen Sie — Herr Bitterle?"
Ich sagte darauf: „ganz nach Ihrem werthen Belieben
und Einsicht" und schlug dabei mit dem Fuß hinten'naus, daß
ich bald meinem Carluscha (das ist russisch) meinthalbwegcn-
meiner d'Borderzähn' eing'schlagc hätt', wenn der znfälliger-
weis nit gerad' an einem ganz andern Ort g'standen wär.
— Wir begaben uns nun in ein paar sehr schöne Zim-
mer, wo der Herr Kaiser Befehle in russischer Sprache gab
und verschwunden ist, ehe ich ihm meinen huldreichsten Dank
abstatten konnte. — Jetzt sah' ich erst, daß der „freundliche
Herr" immer noch da stand, was mich meinthalbwegenmeiner
etwas in Verlegenheit setzte.
„Sie wünschen vielleicht?" — sagte ich fein.
„O! bitte recht sehr — was nich' is."
„Wie so" — sagt' ich — was nich' is?"
„O! bitte recht sehr — zwei Rubel bekomme ich ge-
wöhnlich für die Tour."
„Ah so! — jetzt Hab' ich's erst gemerkt."
„Hier, mein Freund, hier sind zwei Rubel, das ist nicht
zu viel. Sie haben's gut mit mir gemeint und wenn ich Ihnen
in etwas dienen kann, Bitterle ist da — ist jederzeit für Sie
da!" und mit diesen Worten entließ ich ihn gnädig und be-
gleitete ihn herablassend bis zur Thüre.
Aber nun hätten Sie, gcehrtestcr Herr Rotzwenik, sehen
sollen, was man alles aufgetragen hat — kalte und warme
Speisen, alle mögliche Getränke bis zum Schampanjer hinauf
. (was auf russisch Schampanski heißt), den sie aber auch Wittwe
1 Klicko nennen, was eine gute Nachahmung vom „Eßlinger" ist,
nur hat er den Fehler, daß er mehr in der Nase krippelt und
weniger süß ist.
Nun hätten Sie sehen sollen, wie wir es uns haben
meinthalbwegenmeiner schmecken lassen und hinter mir stand
immer ein Bedienter, im schwarzen Frack, weißem Halstuch
und weißbaumwollene Glasse-Handschuhe (Petschatke heißt das
auf russisch) an, die Salvete unterm Arm.
Meine Buben haben den Herrn Kaiser ein's um's andere
mal leben lassen und schrien „hurrah", daß die Fensterscheiben
klirrten. Sie müssen nämlich wissen, geehrtestcr Herr Rotz-
wenik, hurrah ist russisch und heißt auf deutsch „fifat." Und
so ging der erste Tag hin mit lauter Essen und Trinken.
Aber eben wollte ich mich mit Frau und Kinder in die
seidene Betten legen, da kommt nieinthalbwegenmeiner noch
einmal ein Diener (Tschulawek heißt des ans russisch), stellt
sich vor mich hin und sicht mich mit freundlichen aber respekt-
vollen Augen an.
Ich sagte ihm gleich ganz huldvoll und herablassend, daß
wir für heute nichts mehr bedürfen, im Gegcntheil — da
sagt' er, „er komme nicht deßwegen, das ist blos wegen der
Ordnung" und zieht, mit vielen Ausland, ein znsammengefal-
tencs Papier aus der Tasche. — Sollte vielleicht der Herr
Kaiser seine unbegrenzte Gnade gegen mich, als nächsten Ver-
wandten des hochgestellten Branntweinpächters Butterloff, so-
weit ausdehnen, daß er mir einen Orden oder sonstigen Titel
ionysius Bitterle aus Mnnderkingen rc. re. 83
in Gnade» zu verleihen geruhen sollte! — O, Herr Rotzwenik,
in diesem Moment fühlte ich mich groß —
„mit einem russischen Orden unter dem Arm, forderte
ich mein Jahrhundert in die Schranken!!"
Inmitten meiner Frau Gemahlin, umgeben von meinen
Kindern, öffnete ich das Schreiben — und, geehrtestcr Herr
Rotzwenik, denken Sie sich mein Erstaunen, da stand oben mit
großen Buchstaben:
„Nota"
verstehen Sic Nota — Nota über Essen und Trinken und
zwar für einen halben Tag — Summa Summarum fünf-
undzwanzig Rubel, ohne Trinkcld. — Nu, hören Sie, daß
ich an diesem ersten russischen Eindruck nicht gestorben bin,
das wundert mich heute »och. — Hat der Esel von einem
„freundlichen Herrn" uns in das Hotel Kaisser, mit zwei s
geführt und ich dachte — nun genug — natürlich behielt ich
soviel Geistesgegenwart, um mir in Gegenwart des Tschnlaweks
nichts merken zu lassen und ich sagte „gut" und gab ihm zu
gleicher Zeit einen Fußtritt ans den Hintern, worauf er sich
sehr freundlich und geschmeichelt umdrehte und mir gute Nacht
wünschte.
(Fortsetzung folgt.)
und küßte höchst eigenhändig mei' Olgäle, indem er fragte,
„wie viel Zimmer wünschen Sie — Herr Bitterle?"
Ich sagte darauf: „ganz nach Ihrem werthen Belieben
und Einsicht" und schlug dabei mit dem Fuß hinten'naus, daß
ich bald meinem Carluscha (das ist russisch) meinthalbwegcn-
meiner d'Borderzähn' eing'schlagc hätt', wenn der znfälliger-
weis nit gerad' an einem ganz andern Ort g'standen wär.
— Wir begaben uns nun in ein paar sehr schöne Zim-
mer, wo der Herr Kaiser Befehle in russischer Sprache gab
und verschwunden ist, ehe ich ihm meinen huldreichsten Dank
abstatten konnte. — Jetzt sah' ich erst, daß der „freundliche
Herr" immer noch da stand, was mich meinthalbwegenmeiner
etwas in Verlegenheit setzte.
„Sie wünschen vielleicht?" — sagte ich fein.
„O! bitte recht sehr — was nich' is."
„Wie so" — sagt' ich — was nich' is?"
„O! bitte recht sehr — zwei Rubel bekomme ich ge-
wöhnlich für die Tour."
„Ah so! — jetzt Hab' ich's erst gemerkt."
„Hier, mein Freund, hier sind zwei Rubel, das ist nicht
zu viel. Sie haben's gut mit mir gemeint und wenn ich Ihnen
in etwas dienen kann, Bitterle ist da — ist jederzeit für Sie
da!" und mit diesen Worten entließ ich ihn gnädig und be-
gleitete ihn herablassend bis zur Thüre.
Aber nun hätten Sie, gcehrtestcr Herr Rotzwenik, sehen
sollen, was man alles aufgetragen hat — kalte und warme
Speisen, alle mögliche Getränke bis zum Schampanjer hinauf
. (was auf russisch Schampanski heißt), den sie aber auch Wittwe
1 Klicko nennen, was eine gute Nachahmung vom „Eßlinger" ist,
nur hat er den Fehler, daß er mehr in der Nase krippelt und
weniger süß ist.
Nun hätten Sie sehen sollen, wie wir es uns haben
meinthalbwegenmeiner schmecken lassen und hinter mir stand
immer ein Bedienter, im schwarzen Frack, weißem Halstuch
und weißbaumwollene Glasse-Handschuhe (Petschatke heißt das
auf russisch) an, die Salvete unterm Arm.
Meine Buben haben den Herrn Kaiser ein's um's andere
mal leben lassen und schrien „hurrah", daß die Fensterscheiben
klirrten. Sie müssen nämlich wissen, geehrtestcr Herr Rotz-
wenik, hurrah ist russisch und heißt auf deutsch „fifat." Und
so ging der erste Tag hin mit lauter Essen und Trinken.
Aber eben wollte ich mich mit Frau und Kinder in die
seidene Betten legen, da kommt nieinthalbwegenmeiner noch
einmal ein Diener (Tschulawek heißt des ans russisch), stellt
sich vor mich hin und sicht mich mit freundlichen aber respekt-
vollen Augen an.
Ich sagte ihm gleich ganz huldvoll und herablassend, daß
wir für heute nichts mehr bedürfen, im Gegcntheil — da
sagt' er, „er komme nicht deßwegen, das ist blos wegen der
Ordnung" und zieht, mit vielen Ausland, ein znsammengefal-
tencs Papier aus der Tasche. — Sollte vielleicht der Herr
Kaiser seine unbegrenzte Gnade gegen mich, als nächsten Ver-
wandten des hochgestellten Branntweinpächters Butterloff, so-
weit ausdehnen, daß er mir einen Orden oder sonstigen Titel
ionysius Bitterle aus Mnnderkingen rc. re. 83
in Gnade» zu verleihen geruhen sollte! — O, Herr Rotzwenik,
in diesem Moment fühlte ich mich groß —
„mit einem russischen Orden unter dem Arm, forderte
ich mein Jahrhundert in die Schranken!!"
Inmitten meiner Frau Gemahlin, umgeben von meinen
Kindern, öffnete ich das Schreiben — und, geehrtestcr Herr
Rotzwenik, denken Sie sich mein Erstaunen, da stand oben mit
großen Buchstaben:
„Nota"
verstehen Sic Nota — Nota über Essen und Trinken und
zwar für einen halben Tag — Summa Summarum fünf-
undzwanzig Rubel, ohne Trinkcld. — Nu, hören Sie, daß
ich an diesem ersten russischen Eindruck nicht gestorben bin,
das wundert mich heute »och. — Hat der Esel von einem
„freundlichen Herrn" uns in das Hotel Kaisser, mit zwei s
geführt und ich dachte — nun genug — natürlich behielt ich
soviel Geistesgegenwart, um mir in Gegenwart des Tschnlaweks
nichts merken zu lassen und ich sagte „gut" und gab ihm zu
gleicher Zeit einen Fußtritt ans den Hintern, worauf er sich
sehr freundlich und geschmeichelt umdrehte und mir gute Nacht
wünschte.
(Fortsetzung folgt.)
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Briefe aus St. Petersburg von Rentier Dionysius Bitterle aus Munderkingen an der Donau an seinen Vetter im Schwabenland"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 35.1861, Nr. 845, S. 83
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg