12
Thürmers
Mittel, den Himmel in's Herz aufzunehmen, und wo der waltet,
da wenden sich ab die Tämone der Verzweiflung und haben die
schrecken der Erde keine Macht mehr über den Menschen.
„Ich will hinauf," sagte er fest vor sich hin, „und den
Thürmer wecken. Gott wird es lenken, daß mir nichts Ueb-
les widerfährt und mir Zuflucht nicht versagt wird!" Er er-
hob sich und stieg die steile Treppe ivieder empor mit so kräf-
tigen Schritten, daß die Stufen knarrten. Dabei klirrten
seine Schlüssel von Zeit zu Zeit.
Das Alles hörte der alte Hinneriz gar wohl, und wie er
auch seit langen Jahren an die nächtliche Einsamkeit hoch
über den Häuptern der Menschen gewohnt war, überfiel ihn
doch jetzt ein großer Schrecken. Schon vorher hatte er das
Gehen und Tappen, das Schlüsselklirren, draus das leise
und drauf wieder das stärkere Klopfen vernommen. Wohl
hatte er sich gehütet, zu öffnen, vielmehr das Kreuz geschlagen
und gelauscht, und da das wieder hinabschritt, nichts Anderes
gemeint, als, der Thurm sei mit einemmale beschworen und
beschrieen, oder Hab' sich gar die Seele seines Wechselmannes,
des alten Merian eingestellt, der schon mehrere Tage schwer
krank gelegen, nun etwa das Zeitliche gesegnet habe und ihm
nun sein Valet sagen wolle. In Angst hatte er nun die
zwölfte Stunde nachschlagen lassen, die gefährliche Stunde,
in der sich die Gräber öffnen und die Grüfte, daß die Todten
zum Vorschein kommen. Da er also vernahm, wie es wieder
kam laut knarrend, klirrend und rasselnd, so kann sich Jeder
denken, wie es dem Thürmer zu Muth ward in damaliger
Zeit.
„Gott steh' mir bei!" lallte er, und sah, die Haare ge-
sträubt, auf die Thüre hinab mit starren Blicken, in der Lin-
ken fest das Holzkrucifix haltend, das er von der Wand ge-
nommen. Immer näher kam es, zuletzt blieb es vor der
Thüre stehen, und nun — klopfte es mit einemmale heftig.
„Gelobt sei Jesus Christus!" stammelte er, das Crucifiz
zitternd vor sich streckend. „Wer klopft da unten?"
„Ich bin's," kam es ihm entgegen — wohl erkannte Hein-
rich seine Stimme — „Eueres alten Freundes Sohn bin ich:
Heinrich. Die Liebe zum Vater mögt Ihr jetzt beweisen.
Macht auf, Ihr könnt mich von großem Leid erretten!"
Nun war es entschieden für den Thürmer. Das lockere
j Söhnlein seines Freundes war sicher im Taumel des Leicht-
sinns von der Welt geschieden ohne Reue und Buß'.
„Ich soll dir helfen, ich?" stammelte er. „Beten will
ich für dich, arme Seele, geh' von hinnen, beten will ich,
' daß der Herr dir deine Sünden vergibt!"
„Was Ihr sagt!" rief Heinrich. „Ihr denkt wohl, ich
> sei meine Seele, nein, ich bin's schon selber mit Fleisch und
! Blut!"
„Ihr seid es selber?" rief Hinneriz, freier athmend.
„Was wollt Ihr denn da oben um die späte Zeit?"
„Ei, eingesperrt haben's mich," antwortete Heinrich, „da
bin ich davon und kann nirgends sicher bleiben. So bin ich
zu Euch herauf gekommen!"
Töchterlein.
Jetzt kam der Thürmer wieder ganz zur Besinnung. Er
öffnete die Thüre. — „Ihr habt mir keinen kleinen Schrecken
eingejagt," sagte er, ihm in's Gesicht leuchtend.
Heinrich stieg hinauf, Hinneriz folgte. In Kurzen, war
Alles berichtet.
„Ja, was wollt Ihr aber weiters thun ?" fragte der Alte,
den Kopf schüttelnd — „da könnt Ihr doch nicht für immer
bleiben!"
„Laßt den Zorn nur verrauchen," sagte Heinrich, „dann
wird sich's schon wieder geben. Ihr geht dann zum Pater
Emmeranus, der seligen Mutter allerzeitigen Beichtherren,
der wird schon Mittel machen."
„Ta sieht man, was Ihr für ein leichtsinniger Geselle
seid," sprach Hinneriz. „Also wenig habt Ihr ihn ausge-
sucht, daß Ihr nicht wißt, wie er schon sechs Wochen unter
der Erde liegt?"
„Ist das möglich —?" sagte Heinrich wehmüthig. „Wie-
, der Einer fort, der mir gute Lehren gegeben hat."
„Todt ist er," sprach Hinneriz. „Und wenn ihn Euere
Mutter fragt, da wird er schlechten Bericht von Euch geben."
Heinrich ergriff die Hand des Alten. „Ich will ein an- '
: derer Mensch werden," sagte er, ihn fest und treu anschauend.
„Wär nicht mehr zu früh," entgegnete Hinneriz halb-
gläubig. „Ihr ungerathener Sohn so braver Eltern!" Er
setzte sich.
Heinrich wischte sich die Thränen aus den Augen. Der
Thürmer prüfte ihn mit ernsten Blicken.
„Wohlan denn," sagte er, „so bleibt bei mir, ich will
mein schlichtes Essen mit Euch theilen. Ich werd' Euch nicht
verrathen, der Mann auch nicht, so des Merian Stelle aus
Freundschaft versieht, und meine Tochter auch nicht, wenn sie
Mittags kömmt. Wird aber schon gesorgt, daß sie Euch nicht
zu sehen bekömmt, meine Elsbeth. Seht, das ist ein Kind
zu ihres Vaters Freud und wird einst eines Mannes Glück.
Eine solche Jungfrau wird Euch nie zu Theil werden, wo
immer Ihr anklopft an ehrenvester Leute Thüren, so lange
Ihr nichts seid und Euch bessert, da Ihr dem lieben Herr-
gott bis jetzt nur den Tag abgestohlen. Daß Ihr mir aber
mindestens da nicht faullenzt, dafür weiß ich ein trefflich
Mittel! Merians alter Freund mag immerhin da oben den
Wechselmann vorstellen, Ihr aber sollt seinen Dienst versehen,
nachschlagen lassen und lugen, ob's nirgends Feuer gibt.
Wollt Ihr oder wollt Ihr nicht?"
„Ja freilich will ich," rief Heinrich, dem die Worte von
der Elsbeth das Herz zerrissen. „Alles thu' ich, was Ihr
verlangt!" Er ging lebhaft auf Hinneriz zu, legte ihm die
Hände auf die Schultern und sah in Wehmuth auf ihn nieder.
„Alles, Alles!" wiederholte er leiser.
(Forffetzung folgt.)
Thürmers
Mittel, den Himmel in's Herz aufzunehmen, und wo der waltet,
da wenden sich ab die Tämone der Verzweiflung und haben die
schrecken der Erde keine Macht mehr über den Menschen.
„Ich will hinauf," sagte er fest vor sich hin, „und den
Thürmer wecken. Gott wird es lenken, daß mir nichts Ueb-
les widerfährt und mir Zuflucht nicht versagt wird!" Er er-
hob sich und stieg die steile Treppe ivieder empor mit so kräf-
tigen Schritten, daß die Stufen knarrten. Dabei klirrten
seine Schlüssel von Zeit zu Zeit.
Das Alles hörte der alte Hinneriz gar wohl, und wie er
auch seit langen Jahren an die nächtliche Einsamkeit hoch
über den Häuptern der Menschen gewohnt war, überfiel ihn
doch jetzt ein großer Schrecken. Schon vorher hatte er das
Gehen und Tappen, das Schlüsselklirren, draus das leise
und drauf wieder das stärkere Klopfen vernommen. Wohl
hatte er sich gehütet, zu öffnen, vielmehr das Kreuz geschlagen
und gelauscht, und da das wieder hinabschritt, nichts Anderes
gemeint, als, der Thurm sei mit einemmale beschworen und
beschrieen, oder Hab' sich gar die Seele seines Wechselmannes,
des alten Merian eingestellt, der schon mehrere Tage schwer
krank gelegen, nun etwa das Zeitliche gesegnet habe und ihm
nun sein Valet sagen wolle. In Angst hatte er nun die
zwölfte Stunde nachschlagen lassen, die gefährliche Stunde,
in der sich die Gräber öffnen und die Grüfte, daß die Todten
zum Vorschein kommen. Da er also vernahm, wie es wieder
kam laut knarrend, klirrend und rasselnd, so kann sich Jeder
denken, wie es dem Thürmer zu Muth ward in damaliger
Zeit.
„Gott steh' mir bei!" lallte er, und sah, die Haare ge-
sträubt, auf die Thüre hinab mit starren Blicken, in der Lin-
ken fest das Holzkrucifix haltend, das er von der Wand ge-
nommen. Immer näher kam es, zuletzt blieb es vor der
Thüre stehen, und nun — klopfte es mit einemmale heftig.
„Gelobt sei Jesus Christus!" stammelte er, das Crucifiz
zitternd vor sich streckend. „Wer klopft da unten?"
„Ich bin's," kam es ihm entgegen — wohl erkannte Hein-
rich seine Stimme — „Eueres alten Freundes Sohn bin ich:
Heinrich. Die Liebe zum Vater mögt Ihr jetzt beweisen.
Macht auf, Ihr könnt mich von großem Leid erretten!"
Nun war es entschieden für den Thürmer. Das lockere
j Söhnlein seines Freundes war sicher im Taumel des Leicht-
sinns von der Welt geschieden ohne Reue und Buß'.
„Ich soll dir helfen, ich?" stammelte er. „Beten will
ich für dich, arme Seele, geh' von hinnen, beten will ich,
' daß der Herr dir deine Sünden vergibt!"
„Was Ihr sagt!" rief Heinrich. „Ihr denkt wohl, ich
> sei meine Seele, nein, ich bin's schon selber mit Fleisch und
! Blut!"
„Ihr seid es selber?" rief Hinneriz, freier athmend.
„Was wollt Ihr denn da oben um die späte Zeit?"
„Ei, eingesperrt haben's mich," antwortete Heinrich, „da
bin ich davon und kann nirgends sicher bleiben. So bin ich
zu Euch herauf gekommen!"
Töchterlein.
Jetzt kam der Thürmer wieder ganz zur Besinnung. Er
öffnete die Thüre. — „Ihr habt mir keinen kleinen Schrecken
eingejagt," sagte er, ihm in's Gesicht leuchtend.
Heinrich stieg hinauf, Hinneriz folgte. In Kurzen, war
Alles berichtet.
„Ja, was wollt Ihr aber weiters thun ?" fragte der Alte,
den Kopf schüttelnd — „da könnt Ihr doch nicht für immer
bleiben!"
„Laßt den Zorn nur verrauchen," sagte Heinrich, „dann
wird sich's schon wieder geben. Ihr geht dann zum Pater
Emmeranus, der seligen Mutter allerzeitigen Beichtherren,
der wird schon Mittel machen."
„Ta sieht man, was Ihr für ein leichtsinniger Geselle
seid," sprach Hinneriz. „Also wenig habt Ihr ihn ausge-
sucht, daß Ihr nicht wißt, wie er schon sechs Wochen unter
der Erde liegt?"
„Ist das möglich —?" sagte Heinrich wehmüthig. „Wie-
, der Einer fort, der mir gute Lehren gegeben hat."
„Todt ist er," sprach Hinneriz. „Und wenn ihn Euere
Mutter fragt, da wird er schlechten Bericht von Euch geben."
Heinrich ergriff die Hand des Alten. „Ich will ein an- '
: derer Mensch werden," sagte er, ihn fest und treu anschauend.
„Wär nicht mehr zu früh," entgegnete Hinneriz halb-
gläubig. „Ihr ungerathener Sohn so braver Eltern!" Er
setzte sich.
Heinrich wischte sich die Thränen aus den Augen. Der
Thürmer prüfte ihn mit ernsten Blicken.
„Wohlan denn," sagte er, „so bleibt bei mir, ich will
mein schlichtes Essen mit Euch theilen. Ich werd' Euch nicht
verrathen, der Mann auch nicht, so des Merian Stelle aus
Freundschaft versieht, und meine Tochter auch nicht, wenn sie
Mittags kömmt. Wird aber schon gesorgt, daß sie Euch nicht
zu sehen bekömmt, meine Elsbeth. Seht, das ist ein Kind
zu ihres Vaters Freud und wird einst eines Mannes Glück.
Eine solche Jungfrau wird Euch nie zu Theil werden, wo
immer Ihr anklopft an ehrenvester Leute Thüren, so lange
Ihr nichts seid und Euch bessert, da Ihr dem lieben Herr-
gott bis jetzt nur den Tag abgestohlen. Daß Ihr mir aber
mindestens da nicht faullenzt, dafür weiß ich ein trefflich
Mittel! Merians alter Freund mag immerhin da oben den
Wechselmann vorstellen, Ihr aber sollt seinen Dienst versehen,
nachschlagen lassen und lugen, ob's nirgends Feuer gibt.
Wollt Ihr oder wollt Ihr nicht?"
„Ja freilich will ich," rief Heinrich, dem die Worte von
der Elsbeth das Herz zerrissen. „Alles thu' ich, was Ihr
verlangt!" Er ging lebhaft auf Hinneriz zu, legte ihm die
Hände auf die Schultern und sah in Wehmuth auf ihn nieder.
„Alles, Alles!" wiederholte er leiser.
(Forffetzung folgt.)