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66 Der Wucherer.

solides Kostgeld so schlecht versorgte Kind wieder eine schwarze
Brodrinde in den Händchen, und da es zu weinen begann und
das Geraubte wieder haben wollte, so fuhr es das gefühllose
Weib grob an, und schlug es heftig auf die zarte Wange.

Was, frage ich nun, würde die Mutter dieses armen Kindes
gedacht und empfunden haben, wenn ste hätte unsichtbare Zeugin
dieser Scene sein können? sie, die aus Liebe für ihr einziges
theures Kind sparte, ganze Nächte durchnähte und arbeitete, und
sich fast Alles versagte, worauf gebildete Leute gegründete An-
sprüche machen dürfen. Würde sie nicht den Glauben an die
ganze Menschheit verloren haben? O gewiß wäre das der Fall
gewesen, und so beschwerlich es ist, eine weite Reise mit einem
kleinen Kinde zu machen, so würde sich doch die getäuschte
Mutter dazu entschlosien, und nicht solchen Händen ihr Liebstes
mehr vertraut haben. So aber hatte sie leider keine Ahnung
von der grundlosen Schlechtigkeit jener Pflegältern und schickte
sich getrost und ohne Sorge zu ihrer Abreise an.

Eben räumte Ehrlich die Banknoten hinweg, als wieder
geläutet wurde. Wie zuvor, so öffnete er auch jetzt, und als
er mit einem bleichen, hohlwangigem jungen Weibe eintrat, zeigte
sein Gesicht keine Spur mehr von der^ früheren Freundlichkeit.
Er schnitt eine recht tviderliche häßliche Fratze, und die arme
Frau über die Achsel anredend, rief er: „Nun, wie ist's? bringt
man mir endlich mein Geld, oder glaubt man, daß ich noch
länger den gutmüthigen Narren spielen werde? O, ho! man
irrt sich. Ich lasse Euch das letzte Hemd ausziehen. Denn
wenn man weiß, daß man nicht bezahlen kann, so braucht man
einem auch keine Schulden aufzuhängen. Das sind schlechte
Streiche, das sind Lumpenstückchen!"

„Herr Ehrlich!" rief die bleiche Frau in trauriger Ent-
rüstung verletzt aus.

„Was beliebt?" fuhr sie da der gefühllose Geizhals roh
an. „Zahlt mich, zahlt mich, und stellt Euch daun beleidigt,
so oft es Euch beliebt. So lang' Ihr das aber nicht thut, so
müßt Ihr schon vergönnen, daß ich Euch mit Eurer Erlaubniß
eine Bagage nenne."

„O mein Gott, das ist hart," klagte die Arme, blickte nach
oben und faltete die Hände, als wolle sie sagen: Der Herr weiß
es, daß wir keine schlechten Leute sind. Mit sichtlicher Ueberwindung
wendete sic sich dann von dem Geizhalse zu deffen Weibe, die sie
bis jetzt nur mit verächtlichen Blicken, doch nicht mit Worten be-
leidigt hatte, und sagte: „Liebe Frau, seien Sie so gut und geben
Sie mir für zwölf Kreuzer Holz." Dabei legte sie ein halbes
Guldenstück auf den Tisch, und versicherte, daß wenn der liebe
Gott ihrem kranken Manne wieder aufhelfe, sie gewiffenhast die
vier noch schuldenden Gulden zurückerstatten werde.

„Nun, wo bleibt dann der Zins?" fuhr der dürre Mensch
plump heraus. „Nahm't Ihr nicht die vier Gulden auf zwei
Monate zu leihen, und waren damals nicht zwölf Kreuzer von
dem Gulden als Zins ausgemacht?"

„Ja, Sie haben recht, daran dachte ich nichts entgegnete
die arme Frau. „Ihr Guthaben macht sonach vier Gulden
acht und vierzig Kreuzer."

„O nein!" schrie Ehrlich wieder grob. „Oder haben bei
Euch etwa zwei Monate hundertzwanzig Tage? Oder woll't
Ihr vielleicht gar läugnen, daß bereits vier Monate verflossen,
seit ich Euch das Geld geliehen?"

„Ach nein. Wer spricht von Läugnen?" fiel ihm die Un-
glückliche in's Wort. „Mein Unglück macht mich so verwirrt,
daß ich oft nicht recht weiß, was ich rede. Es ist aber auch
wahrlich kein Wunder; denn der Jammer und das Elend ist
bei uns auch all zu arg. Ihr Guthaben beträgt also —?"
fragte sie von Schmerz und Leidwesen verwirrt —

„Fünf Gulden sechs und dreißig Kreuzer," war
des Geldverleihers unverschämte Antwort, der jedesmal auf zwei
Monate zwölf Kreuzer vom Gulden berechnete.

„Ja, ja; Sie haben recht," nickte die Bemitleidenswerthe,
und Ehrlich setzte sich an den Schreibtisch und schrieb folgende
Zeilen auf ein Blatt Papier:

— Unterzeichnete bekennt von Herrn X. Ehrlich ein baäres
Darlehen von fünf Gulden sechs und dreißig Kreuzer
empfangen zu haben und verpflichtet sich — hier hielt er mit
dem Schreiben inne, und den Kopf halb über die Achsel wen-
dend, fragte er: „Nun, wann wollt Ihr bezahlen?"

„In z w e i Mo n a t e n," gab die Frau immer zerstreuter zurück.

— Binnen zwei Atonalen dieselben wieder zurück zu erstat-
ten. — Das schrieb Ehrlich noch auf das Blatt, reichte dann
der Armen die Feder und hieß sie lesen und unterschreiben.

Willig that sie es; denn was thut der Arme nicht in der
Noch? Wie groß war nun aber ihr Erstaunen und zugleich
ihr Schrecken, als jetzt Ehrlich das halbe Guldenstück, das sie
um Holz zu kaufen auf den Tisch gelegt, in die Tasche steckte
und dabei bemerkte, daß er sich für die noch folgenden zwei
Monate mit demselben begnügen wolle. Sonach verliere er
achtzehn Kreuzer und sie könne zufrieden sein.

„Ach mein Herr, Sie sollen diese achtzehn Kreuzer nicht
verlieren," fiel ihm ängstlich die Bedrängte in's Wort, „und
obendrein erzeigen Sie mir sogar noch einen Gefallen, wenn
Sie den semern Zins von acht und vierzig Kreuzern gefälligst
zu den fünf Gulden sechs und dreißig Kreuzern setzen wollen."

Ehrlich ging darauf nicht ein und meinte, cs sei ganz un-
nothwendig, den einmal von ihr Unterzeichneten Schein anders
zu schreiben. Auch sei es wahrlich nicht mehr zu früh, daß
er endlich ein Paar Sechser baares Geld von ihr erhalte.

Als nun die arme Frau sah, daß dieses herzlose Ungeheuer
gesonnen sei, Ernst zu machen, trat ihr der Angstschweiß in mäch-
tigen Tropfen auf die Stirne. „Herr, seien Sie nicht unmensch-
lich!" flehte sie mit bebender Stimme, „mein armer Mann liegt
schon seit mehreren Wochen, von Entbehrung und Gram er-
schöpft, schwer krank darnieder. Meine Kinder sehen vor Hunger
wie wandelnde Gespenster aus, und in unserer Stube ist es
so kalt, daß man bei jedem Athemzuge den Hauch gleich einer Rauch-
wolke sieht. Herr, geben Sie mir mein halbes Guldenstück!"

Ehrlich entgegnete kein Wort, und da die Flehende sah,
daß er bei ihrem herzzerreißenden Bitten ungerührt blieb, so
schrie sie, unfähig, ihre gerechte Entrüstung länger niederzu-
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