Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Der Wucherer.

68

Wunsch: fort aus diesem Elende — o sterben, — vereint, zu-
sammen sterben.

Kein Wort störte diesen Moment, so hoffnungslos, so trau-
; rig, und doch so innig, so schön ! Und als jetzt an die Thüre
geklopft wurde, was jedoch die Familie, die ihr Unglück ohne
Hoffnungsschimmer einander in die Arme geworfen, nicht ver-
nahm, so stach das Gesicht der Person, die sich jetzt trag herein-
schob, um so häßlicher gegen die verklärten Züge der Mutter,
ihrer Kinder und des todtkranken Mannes ab.

Die Eintretende war Niemand anders als Madame Ehr-
; lief), die bei dem Hinblicke auf diese Gruppe und auf das Elend,
welches sich hier vor ihren Augen ausbreitete, verlegen stehen
blieb und mit ihren Schlüsieln klirrte, die an einem großen sil-
bernen Reifhacken an ihrer Hüfte hingen.

Erstaunt und befremdet erhob sich bei dem Ansichtigwerden
der Eintretenden das bleiche Weib, und mit cdelm Stolze sich
ihr gegenüberstellend, sprach sic:

„Madame, was können Sie nach dem, was zwischen uns
vorgefallen ist. hier noch zu suchen haben?"

„Ihre Verzeihung, gute Frau," jentgegnete die Gleiß-
nerin, der Angeredeten die Hand mit süßem Lächeln entgegen-
streckend. Die scheinhellige Anrede verfehlte auch den gewünsch-
ten Zweck nicht; denn wer verzeiht wohl lieber eine Beleidigung,
als der edle Arme, welcher in steter geistiger Correspondenz mit
Gott, seinem einzigen Tröste, steht.

Mit wehmüthigem Lächeln reichte die arme Getäuschte dem
schlechten Weibe versöhnend die Hand, und als nun diese in
chre Schürze griff, und fünf Guldenstücke und vier Sechser auf
den Tisch legte, schaute sie die bleiche Mutter mit steigender
Verwunderung fragend an.

Welche Wirkung dieses wenige Geld auf die arme Nachba-
rin hervorbrachte, das entging dem verschmitzten Weibe nicht,
und lächelnd sagte sie: „Seht, seit einiger Zeit haben wir ein

Kind in die Kost genommen, und zwar mehr aus Erbarmen, als
um des Kostgeldes willen, das monatlich nur in zwei Gulden
besteht. Leider werde ich aber nun von Tag zu Tage schwächer,
was man mir, wenn man mich so ansieht, wohl nicht glauben
wird. Aber lieber Gott, es ist doch so; denn ich kann wahrlich
gar keine Strapatzen mehr ertragen. Deßhalb haben wir, ich
und mein Mann, beschlossen. Ihnen das Kind zu übergeben, und
weil Sie gerade jetzt in Verlegenheit sind, das Kostgeld auf sechs
Monate sogleich voraus zu bezahlen, inclusive der fünf Gulden
sechs und dreißig Kreuzer, die Sie uns schulden. Sonach
treffen Sie noch sechs Gulden vier und zwanzig Kreu-
zer. Fünf Gulden vier und zwanzig Kreuzer liegen
nun baar hier, und unten vor Ihrer Thüre hält meine Magd
mit einem Karren, auf welchen ich um einen Gulden Holz
zählte. Sonach ist die Summe von zwölfGulden voll. Ihr
Schuldschein folgt hier zurück wie auch das halbe Gulden-
stückch e n." Dabei griff sie wieder in ihre Schürze und legte
die letzt grnonnten Gegenstände neben das vorhin aufgezählte
Geld hin. „Das Kind hat ein vollständiges Bettchen." schwatzte

| sie dann weiter; „auch ist der Kindszeug in so gutem Stande,
daß unter Jahr und Tag nichts nachgeschafft zu werden braucht.
Sonach haben Sie das Kind nur zu füttern, wobei ich bemerke,
daß es an rauhe und spärliche Kost gewöhnt ist. Es ist näm-
lich armer Eltern Kind, die es nicht verzärtelt wiffen wollen,
und ich zog es daher immer mit Wasier- und Milchsüppchen
auf. Süßigkeiten kennt es nicht, und gibt sich zufrieden, wenn
man es ihm, außer der einmal des Tages üblichen Mahlzeit, nur
an schwarzen Brodrindchen nicht fehlen läßt. Daraus mögen
Sie ersehen, daß so ein Kind leicht zu haben ist, und wenn
Sie einverstanden sind, so schließen wir den Handel und ich
schicke Ihnen in einer Stunde die nette Bescherung in's Haus." j

Die arme Frau glaubte zu träumen; denn so Plötzlich und
unvcrmuihet sich von einer drückenden Schuld befreit und im
Besitze von Holz und einigen Gulden zu sehen, das war mehr,
als sie in dem Augenblicke erwarten konnte, in welchem das
Verderben seinen gierigen Rachen öffnete, um sie sammt den
Ihren zu verschlingen. Den Gefühlen des Dankes wußte sie
keine Worte zu geben; doch ihr Blick, der gleich einem Son-
nenstrahle siegreich durch Thau und Nebel bricht, in Thränen
glänzend auf der Betrügerin haftete, redete die beredteste Sprache
— die Sprache eines tief empfindenden Herzens.

So hatte denn Madame Ehrlich ihren niederen Zweck erreicht,
und sich des ihr von der Mutter so warm und innig auf die
Seele gebundenen Kindes um einige Gulden entledigt, für deffen
Pflege sie auf die Dauer von sechs Monaten sechzig Gulden
erhalten. Innig vergniigt kehrte sie zu ihrem Manne zurück,
und nachdem sie ihm den vortheilhaften Ausgang der Unter-
redung mit der Nachbarin mitgetheilt hatte, trennte sie behende
an einem Ende das dicht mit Federn gefüllte Bettchen des
Kostkindes auf, und nachdem sie die Hälfte der Federn heraus-
genommen, nähte sie die aufgetrennte Stelle wieder zu und
schickte das geplünderte Bett, das Kindszeug und das Kostkind
zur Nachbarin hinuher.

In der Behausung der so schwer heimgesuchten Familie sah
es jetzt bald wohnlicher aus. Lustig flackerte ein Feuer in dem
ehevor so kalten Ofen auf, und man sah es an den behaglichen
■ Bewegungen der armen Kinder, wie wohl ihnen der Hauch der
Wärme thue. Am Feuer sott ein Pfund Rindfleisch für den
Kranken, der längst einer kräftigen Suppe bedurft hätte, und
der Geruch, der sich von einigen Wachholderbeeren in der Stube
verbreitete, durchzog lieblich die früher von eisiger Kälte be-
herrschten Räuine. Die Fenster, die der Rabe zertrümmert,
waren ivieder eingeglast, und das Eis schmolz allmählig von
den Scheiben.

Da kam nun das Kosttind an, und gleich einem Engel, der
in arger Noth Hülfe gebracht, schaarten sich die Kinder um den
neuen kleinen Hausgenossen, den ein behütender Schutzgeist
hieher in den Schooß der Armuth geführt, wo er bester auf-
! gehoben war als bei der wucherischen, reichen Familie Ehrlich.

(Fortsetzung folgt.)
Image description
There is no information available here for this page.

Temporarily hide column
 
Annotationen