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Geschichten aus der Heimath.

die vier Dachlucken an den vier Breiten, mit einem Giebel
überbaut, daß sie beinahe aussahen wie vier Erker, dazu
hoch genug, um von da eine lustige Aussicht in die Weite
zu haben. Da fiel mein Blick auf den nächsten Weiden-
baum — ein starker Ast bog sich bis auf etliche Schuhe an
das Mauerwerk und das Fenstergesimse des zweiten Stockes.
Bald hatte ich die Scheu überwunden, die Beute meiner Moos-
jagd behutsam in die Kappe gepackt, und am Fuße der Weide
abgelegt, die ich sofort fröhlich erkletterte. Der Ast gab nach
und beugte sich näher an die Wand hin. Von da aus konnte
ich leicht die Stelle recognosziren, die ich so gerne betreten
hätte. Die vier Wände umschlosien einen einzigen Raum,
allem Anscheine nach mit Dielen belegt; der Sonnenschein lag
heimlich drinnen, und die Spatzen pfiffen so verlockend aus ihren
Schlupfwinkeln in der Mauer hervor, daß ich schnell entschlossen
nach dem Gesimse griff, und nach einem kühnen Sprunge mich
alsbald im Innern des gehcimnißvollen Thurmes befand. Als
ich mich auf die Bodendiele niedergelassen, löste sich unter
mir der Anwurf ab, und rumpelte mit ziemlichem Getöse in
die Tiefe. Ta wollte mir doch fast das Herz klopfen und
mir kam das verrätherische Fundament des Thurmes zu Sinne,
das noch zur Zeit nachgäbe und je tiefer und tiefer versänke.
Aber ich hatte mir alsbald die Ursache erklärt, und die Trag-
kraft des Bodens versucht. Es galt keine Gefahr, und ich
konnte mir ruhig das Gemach beschauen, in dem ich mich nun
befand. Am Fußboden befand sich ein Loch; da mußte wohl
ehedem eine Treppe aus dem untern Raume, der allem Anscheine
nach von derselben Beschaffenheit war, heraufgeführt haben.
Ein ähnliches Loch befand sich in der Decke, und ließ einen
Blick auf das Tachgebälke werfen. Ich hatte mich sattsam
umgesehen, und zu meinem großen Verdruß aber nichts weiter
Merkwürdiges entdeckt, etwa einen Streifen alten Lederwerkes
ausgenommen, das eben so gut weiland die Sohle eines Bauern-
stiefels als ein Panzerfutter sein konnte. So weit gingen
meine archäologischen Kenntnisse nicht, um mich deß vergewis-
sern zu können, und ich hätte schier die erstere Hypothese für die
wahrscheinlichere gehalten. Ter schlechte Erfolg meines Wag-
stückes ärgerte mich. Ich hatte mir eine höchst prosaische Auf-
klärung verschafft über die geheimnißreichen Räume, die diese
Wände umschließen sollten. So fühlte ich im Vorneherein, daß
der Thurm seinen eigenthümlichen räthselhaften Reiz für mich
verloren hatte. Das verdroß mich wieder, und ebenso klang
mir jetzt das Gepfeife der Spatzen wie ein förmliches Hohnge-
lächler über meine getäuschten Erwartungen. Bald hatte ich
mich wieder auf das Gesimse geschwungen; aber — jetzt begann
erst meine Roth in der Wirklichkeit. Der Zweig, der — meiner
Last nachgebend — bis an die Mauer gereicht hatte, war
zurückgeschnellt, und es war rein unmöglich, denselben vom
Fenster aus zu erreichen.

Was beginnen? An den Wänden hinablaufen, wie eine
Mauerschwalbe, konnte ich nicht. Ich versuchte durch das
Loch in die unteren Räume zu gelangen, aber — das ging
; doch fast vier bis fünf Klafter in die Tiefe. Der Sprung
wäre allzu gewagt gewesen, um so mehr, als etwa die Dielen

unten noch morscher hätten sein können, oder etwa gar durch
die Erschütterung der Thurm in seinem unheimlichen Geschäfte
des Versinkens gefördert worden wäre. Es war mir nach-
gerade bange zu Muthe, um so mehr, als ich lange vergeblich
vom Fenster aus die Ebene bestrich, um einen Vorübergehenden
zu erspähen. Tie Sonne und der Hunger gemahnten mich,
daß die Mittagszeit längst vorüber sein mußte. Es ward .
Nachmittag; es ging auf den Abend zu, und noch wollte
kein Erlöser des Weges vorbeiwandern. Ungeduld und Lange-
weile verzehrten mich. Einmal ries ich um Beistand; aber
die Scham schnürte mir die Kehle zusammen, und zudem
konnte meine Stimme unmöglich bis an'§ nächste Haus dringen.
Das war ein qualvoller Nachmittag.

Allbereits breitete der Abend seinen rosigen Glanz über
die endlose Ebene hin; es fing an zu dämmern, und der
Frost überkam mich von innen und außen. Endlich gewahrte
ich einige Jungen jenseits des Grabens. Ich schrie ihnen
aus vollem Halse zu. Diese mochten es aber für Gespenster-
ruf gehalten haben; denn sie schauten sich erschreckt um, und i
liefen dann spornstreichs zum Dorfe zurück. Da machte ich
mich denn gefaßt, die Nacht im Thurme zuzubringen. Ich
kauerte mich ttostlos in eine Ecke, und klapperte melodisch
mit den Zähnen vor Furcht und Kälte. Der geheimnißvolle
Raum, dem ich seine Räthsel abgelauscht zu haben glaubte,
übte nun Rache an mir, und in der Dämmerung kam es
mir vor, als sähe ich da und dort einen unheimlichen Schatten
vorirberstreichen. Aus dem untern Gaden klang es zuweilen
hörbar und vernehmlich wie ein Seufzer; der alte, blecherne
Hahn am Giebel knarrte im Winde, der nun schärfer zu
wehen begann, und das Tachgebälke stöhnte, daß es schien, !
als gäbe es der spuckhaften Gewalt nach, die den ganzen Bau
allmählich in das Moor drückte. Im Dorfe schlug es bereits
acht Uhr, und ich dachte mit einem Schauder an die heran-
nahende Geisterstunde. Endlich — hörte ich Stimmen in
der Nähe — ich rief zum Fenster hinaus — eine Leiter
ward angelegt — die Erlösung nahte, ehe ich das Schrecklichste, !
die Mitternachtsstunde, erleben mußte. Es war mein Vater
mit den Knechten. Ueber mein Ausbleiben in Angst versetzt —
hatte er allenthalben nach mir fragen lassen, und auf diese
Weise auch erfahren, wie die Jungen die Nachricht gebracht,

! daß drüben im versinkenden Thurme die Gespenster noch am
hellen Tage laut geworden seien. Sein erster Gedanke war,
ich sei im Moore verunglückt. Mein Hilferuf befreite ihn
jedoch von diesem Schrecken. Nicht genug, daß mich die Angst
im Thurme halb verzehrt hatte, so mußte ich mir nun auch
Scheltworte und Strafe gefallen lassen. Als ich aber heim-
gebracht worden, überfiel mich ein Fieber, ich ivard ernstlich
krank, und phantasirte Tage lang von allerlei Spuck- und Schreck-
gestalten. Erst nach vierzehn Tagen konnte ich wieder in's
Freie. Einer meiner ersten Gänge war zur schwarzen Life.
Sie mußte mir Aufschluß geben über die Geschichte des ver-
hängnißvollen Gebäudes.

Was ich von ihr und auf sonstige Weise hierüber er-
fahren habe, will ich hier zum Besten geben, ohne jedoch einen
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