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Die Weissagung der Zigeunerin.
Zaun aus Baumzweigen, bietet einer zahlreichen Viehheerde
Aufenthalt.
Die Weissagung der alten Zigeunerin hatte sich bis
baher auf's bestimmteste erfüllt; es ging dem Müller und
seinen Leuten in der That gut. Freilich wohnten sie einsam
-im tiefen Urwald, und der Weg bis zur nächsten Niederlassung
mar noch länger, als vordem zum Städtchen, aber sie merkten
dies wenig. Ihre Heerden, ihre Felder boten ihnen Nahrung
vollauf, die kleine Schaar wuchs jährlich durch einige neue
kleine Ankömmlinge an, und für geistige Pflege war fast
besser gesorgt, als ehemals daheim. Der Caplan wohnte
mitten unter ihnen und unterrichtete die aufwachsende Jugend
im Lesen, Schreiben und Christenthum. Außerordentliche
Bedürfnisse kannten sie nicht, und je seltener die Gelegenheit
sich darbot, etwas außergewöhnliches: Putz und Schmucksachen
und dergleichen zu erwerben, um so erfreulicher war es, wenn
die Ankunft eines wandernden Krämers einmal Veranlassung
zu ungewöhnlichem Einkauf darbot. Wie lief dann Alt und
Jung zusammen, wie begehrlich schauten die Blicke nach den
ausgebreitcten Herrlichkeiten, den Ketten und Ringen, den
Messern, den Bildern, den bunten Kleidungsstücken, und was
Alles sonst noch der Kasten des Krämers enthielt. Da zog
dann manche Frau den Mann bei Seite, um ihm in eifrigen
Worten klar zu machen, wie jene Kette so billig sei, daß es
eine wahre Schande wäre, sie nicht eilends zu erstehen, da
zerrte hier ein Knabe Vater oder Mutter an dem einen Arm
und bat, man möge für ihn das Messer kaufen, während auf
der andern Seite ein Mädchen um den Ankauf von Bildern
oder anderem Spielzeug flehte. Die seltsamen wunderbar
wirkenden Medizinen in versiegelten Fläschchen wurden prüfend
beschaut und cs gab oft eine sehr gründliche Erwägung, ob
man nicht lieber statt der Kette oder des bunten Tüchleins
den Balsam kaufen solle, der jede Wunde über Nacht heile
und alle Fieber, Dysenterien und sonstige Gebreste auf's
schnellste und sicherste curire.
„Der Herr" kaufte auf Kosten der gemeinsamen Schulkasse
die nöthigen Federn, Bleistifte, Schiefertafeln und Schreibe-
bücher für seine Schüler, und mancher Krämer zog mit er-
leichtertem Kasten und schwererem Geldbeutel von dannen.
Den Ansiedlern aber diente noch lange der Tag da der
Kaufmann da war zur Zeitbestimmung.
Alle hatten sich längst an die neue Heimath gewöhnt.
Die Hitze des Sommers war erträglich, giftige Schlangen
und reißende Thiere, vor denen sie sich gefürchtet, waren so
gut wie gar nicht zu finden, die rothbraunen Indianer ließen
sich nur selten sehen und erschienen nur einzeln und als
friedliche Jäger. Freilich war der Schrecken nicht gering
gewesen, als die erste Rothhaut sich gezeigt. Welch ein Zu-
sammenlaufen, welches Schreien und Verkriechen der Kinder!
aber man beruhigte sich bald, als man wahrnahm, daß der
wunderbar aufgeputzte braune Mann- keineswegs die Absicht
hatte, die geängsiigten Kinder mit Haut und Haar zu
verspeisen, und daß sein ruhig gesprochenes „Jocharachqua!"
nur deu Wunsch nach etwas Brod oder sonst etwas Eßbarem
ausdrücke. Schlug auch Allen anfangs das Herz leichter,
wenn ein solcher ernster brauner Gast wieder glücklich ver-
schwunden war im Waldesdunkel, so gewöhnten sie sich nach
und nach dergestalt an diese je zuweilen auftauchende Er-
scheinung, daß schließlich selbst die Kinder in furchtloser Neu-
gier einen solchen Fremden umstanden und ihn anschauten.
Uebrigens war die kleine Schaar auch auf feindlichen Angriff
gefaßt. Jeder Mann besaß seine Flinte und wußte sie zu
gebrauchen, mau übte sich im Schießen und im Marschiren
in geschlossenen Reihen, die Jagd, die hier frei und ungestraft
von Allen geübt werden konnte in den endlosen wild- und
vogelreichen Wäldern hatte Jeden zu einem leidlichen Schützen
gebildet. Auch die sonstigen neuen Naturerscheinungen waren
den Ansiedlern alltäglich geworden; ein Opossum, anfangs
mit ecklem Schrecken betrachtet, war ihnen längst nicht wun-
derbarer, als vordem ein Reh oder ein Hase, der Trompeten-
ton des schwarzen singenden Schwanes erschreckte sie bereits
so wenig, wie ehemals das Krächzen der Krähen, oder das
Gekreisch der Dohlen. Ebenso waren ihnen die anfangs
fremdartigen Erscheinungen der üppigen Pflanzenwelt etwas
Gewöhnliches geworden.
So lebten die Ansiedler wohlgemuth und heiter Tag
für Tag, Jahr für Jahr dahin. Unser David sah bereits
eine große Schaar Kinder in seinem Hause, denn jedes neue
Jahr beschenkte ihn mit einem neuen Ankömmling. Schon
auf dem Schiffe war eine kleine Marie geboren, ein Johannes,
eine Anna erblickten in der neuen Heimath das Licht der
Welt, darauf war wieder ein Balthasar gefolgt und so fort.
Der Nazi war fröhlich herangewachsen, und daß er einmal
ein großer Maler werden solle, oder so etwas, war, nach-
dem bisher Alles so genau eingetroffen, was die alte Zigeu-
nerin prophezeiet, außer allem Zweifel. Das große Unheil,
das in später Zeit drohte, ängstigte freilich je zuweilen in
einsamen Stunden die Frau Anna, aber sei eine Gefahr auch
noch so gewiß, wenn sie nur noch in gehöriger Entfernung
steht, wird sie leicht getragen und oft vergessen. Steht doch Jeden:
die Gewißheit des Todes vor Augen, und Niemand bangt eher
vor jener Stunde, alö bis sie hart an das Krankenlager tritt.
Der Nazi also mußte ein Maler werden! Wie das
zugehen sollte in der abgelegenen Wildniß, das war freilich
nicht abzusehen, aber geschehen mußte es, dafür bürgte die
Prophezeiung. Nazi legte vor der Hand eine große Lust
an den Tag, alle Thore und Wände mit Kohle zu bemalen
mit allerlei abenteuerlichen Strichen, in denen die hoffende
Freude der Mutter schon die ersten grünen Spitzen einer-
künftigen reichen Ernte erblickte.
Als nun eines Tages wieder ein wandernder Krämer
zur entlegenen Niederlassung kam, kaufte David auf der
Mutter Fürsprache für den zukünftigen Apelleö ein Schreibe-
buch in schönem bunten Umschlag, so wie mehrere Bleistifte
und Rothstiftc, damit der Junge in diesem Buche der Kunst
obliegen möge, der sein künftiges Leben geweiht sein sollte,
und er fürder nicht mehr zum Acrger des Herrn Caplan
seine Schreibebücher ;u solchem Zweck mißbrauchen möchte.
Die Weissagung der Zigeunerin.
Zaun aus Baumzweigen, bietet einer zahlreichen Viehheerde
Aufenthalt.
Die Weissagung der alten Zigeunerin hatte sich bis
baher auf's bestimmteste erfüllt; es ging dem Müller und
seinen Leuten in der That gut. Freilich wohnten sie einsam
-im tiefen Urwald, und der Weg bis zur nächsten Niederlassung
mar noch länger, als vordem zum Städtchen, aber sie merkten
dies wenig. Ihre Heerden, ihre Felder boten ihnen Nahrung
vollauf, die kleine Schaar wuchs jährlich durch einige neue
kleine Ankömmlinge an, und für geistige Pflege war fast
besser gesorgt, als ehemals daheim. Der Caplan wohnte
mitten unter ihnen und unterrichtete die aufwachsende Jugend
im Lesen, Schreiben und Christenthum. Außerordentliche
Bedürfnisse kannten sie nicht, und je seltener die Gelegenheit
sich darbot, etwas außergewöhnliches: Putz und Schmucksachen
und dergleichen zu erwerben, um so erfreulicher war es, wenn
die Ankunft eines wandernden Krämers einmal Veranlassung
zu ungewöhnlichem Einkauf darbot. Wie lief dann Alt und
Jung zusammen, wie begehrlich schauten die Blicke nach den
ausgebreitcten Herrlichkeiten, den Ketten und Ringen, den
Messern, den Bildern, den bunten Kleidungsstücken, und was
Alles sonst noch der Kasten des Krämers enthielt. Da zog
dann manche Frau den Mann bei Seite, um ihm in eifrigen
Worten klar zu machen, wie jene Kette so billig sei, daß es
eine wahre Schande wäre, sie nicht eilends zu erstehen, da
zerrte hier ein Knabe Vater oder Mutter an dem einen Arm
und bat, man möge für ihn das Messer kaufen, während auf
der andern Seite ein Mädchen um den Ankauf von Bildern
oder anderem Spielzeug flehte. Die seltsamen wunderbar
wirkenden Medizinen in versiegelten Fläschchen wurden prüfend
beschaut und cs gab oft eine sehr gründliche Erwägung, ob
man nicht lieber statt der Kette oder des bunten Tüchleins
den Balsam kaufen solle, der jede Wunde über Nacht heile
und alle Fieber, Dysenterien und sonstige Gebreste auf's
schnellste und sicherste curire.
„Der Herr" kaufte auf Kosten der gemeinsamen Schulkasse
die nöthigen Federn, Bleistifte, Schiefertafeln und Schreibe-
bücher für seine Schüler, und mancher Krämer zog mit er-
leichtertem Kasten und schwererem Geldbeutel von dannen.
Den Ansiedlern aber diente noch lange der Tag da der
Kaufmann da war zur Zeitbestimmung.
Alle hatten sich längst an die neue Heimath gewöhnt.
Die Hitze des Sommers war erträglich, giftige Schlangen
und reißende Thiere, vor denen sie sich gefürchtet, waren so
gut wie gar nicht zu finden, die rothbraunen Indianer ließen
sich nur selten sehen und erschienen nur einzeln und als
friedliche Jäger. Freilich war der Schrecken nicht gering
gewesen, als die erste Rothhaut sich gezeigt. Welch ein Zu-
sammenlaufen, welches Schreien und Verkriechen der Kinder!
aber man beruhigte sich bald, als man wahrnahm, daß der
wunderbar aufgeputzte braune Mann- keineswegs die Absicht
hatte, die geängsiigten Kinder mit Haut und Haar zu
verspeisen, und daß sein ruhig gesprochenes „Jocharachqua!"
nur deu Wunsch nach etwas Brod oder sonst etwas Eßbarem
ausdrücke. Schlug auch Allen anfangs das Herz leichter,
wenn ein solcher ernster brauner Gast wieder glücklich ver-
schwunden war im Waldesdunkel, so gewöhnten sie sich nach
und nach dergestalt an diese je zuweilen auftauchende Er-
scheinung, daß schließlich selbst die Kinder in furchtloser Neu-
gier einen solchen Fremden umstanden und ihn anschauten.
Uebrigens war die kleine Schaar auch auf feindlichen Angriff
gefaßt. Jeder Mann besaß seine Flinte und wußte sie zu
gebrauchen, mau übte sich im Schießen und im Marschiren
in geschlossenen Reihen, die Jagd, die hier frei und ungestraft
von Allen geübt werden konnte in den endlosen wild- und
vogelreichen Wäldern hatte Jeden zu einem leidlichen Schützen
gebildet. Auch die sonstigen neuen Naturerscheinungen waren
den Ansiedlern alltäglich geworden; ein Opossum, anfangs
mit ecklem Schrecken betrachtet, war ihnen längst nicht wun-
derbarer, als vordem ein Reh oder ein Hase, der Trompeten-
ton des schwarzen singenden Schwanes erschreckte sie bereits
so wenig, wie ehemals das Krächzen der Krähen, oder das
Gekreisch der Dohlen. Ebenso waren ihnen die anfangs
fremdartigen Erscheinungen der üppigen Pflanzenwelt etwas
Gewöhnliches geworden.
So lebten die Ansiedler wohlgemuth und heiter Tag
für Tag, Jahr für Jahr dahin. Unser David sah bereits
eine große Schaar Kinder in seinem Hause, denn jedes neue
Jahr beschenkte ihn mit einem neuen Ankömmling. Schon
auf dem Schiffe war eine kleine Marie geboren, ein Johannes,
eine Anna erblickten in der neuen Heimath das Licht der
Welt, darauf war wieder ein Balthasar gefolgt und so fort.
Der Nazi war fröhlich herangewachsen, und daß er einmal
ein großer Maler werden solle, oder so etwas, war, nach-
dem bisher Alles so genau eingetroffen, was die alte Zigeu-
nerin prophezeiet, außer allem Zweifel. Das große Unheil,
das in später Zeit drohte, ängstigte freilich je zuweilen in
einsamen Stunden die Frau Anna, aber sei eine Gefahr auch
noch so gewiß, wenn sie nur noch in gehöriger Entfernung
steht, wird sie leicht getragen und oft vergessen. Steht doch Jeden:
die Gewißheit des Todes vor Augen, und Niemand bangt eher
vor jener Stunde, alö bis sie hart an das Krankenlager tritt.
Der Nazi also mußte ein Maler werden! Wie das
zugehen sollte in der abgelegenen Wildniß, das war freilich
nicht abzusehen, aber geschehen mußte es, dafür bürgte die
Prophezeiung. Nazi legte vor der Hand eine große Lust
an den Tag, alle Thore und Wände mit Kohle zu bemalen
mit allerlei abenteuerlichen Strichen, in denen die hoffende
Freude der Mutter schon die ersten grünen Spitzen einer-
künftigen reichen Ernte erblickte.
Als nun eines Tages wieder ein wandernder Krämer
zur entlegenen Niederlassung kam, kaufte David auf der
Mutter Fürsprache für den zukünftigen Apelleö ein Schreibe-
buch in schönem bunten Umschlag, so wie mehrere Bleistifte
und Rothstiftc, damit der Junge in diesem Buche der Kunst
obliegen möge, der sein künftiges Leben geweiht sein sollte,
und er fürder nicht mehr zum Acrger des Herrn Caplan
seine Schreibebücher ;u solchem Zweck mißbrauchen möchte.