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Die Weissagung
Nazi bediente sich jener Erlaubniß mit ungemeinem
Eifer und legte Proben einer wenigstens sehr vielseitigen
Richtung an den Tag. Genrestücke in niederländischer realisti-
scher Manier blieben aber seine Hauptstärke. Seite für Seite
entstand ein buntes Quodlibet sehr ursprünglicher Figuren
und kunstlose Unterschriften mußten oft der noch mangelnden
Ähnlichkeit zu Hilfe kommen. Alles bildete der Knabe nach,
den Vater, die Mutter, die Geschwister, das Haus, das Haus-
gcräth und allerlei Eßwaaren; alle die verschiedenen Vor-
kommenheiten des einfachen Lebens, die militärischen Uebungen
der jungen Leute, die Jagd, das Schlachten des Viehes und
tausend andere Dinge mußten ihm den Stofs liefern zu seinen
Bildern, und das Schreibcbuch füllte sich schnell mit den
verschiedenartigsten Scenen aus dem täglichen Leben an.
iltun aber sollte das friedliche, gleichförmige Dahinleben
der Ansiedler durch einen unerwarteten traurigen Vorfall auf
einige Zeit herb und schmerzlich gestört werden. Der Bach,
welcher, aus dunklem Walde hervorbrechend, die Mühle trieb,
setzte rauschend und schäumend seinen Weg fort zwischen
Wiesenflächcn hin, bis er sich von Neuem in des Waldes
tiefen Schatten verlor, die stille dunkle Einsamkeit suchend,
die ihm für eine kurze Strecke der Ansiedler Fleiß entzogen.
Nahe am Waldrandc bildete sein Gewässer einen kleinen aber
tiefen Teich, dessen Ufer mächtige Bäume beschatteten. Dieser
Teich, nicht allzuweit vom Dorfe entfernt, diente dem Vieh
in heißen Tagen zum erfrischenden Bade. Nazi, der in
mancherlei freien Künsten wohl erfahren war, hatte sich und
seinen Spielkameraden zur Ergötzung in den häufigen Frei-
stunden — denn mit Schulen war die kleine Kinderschaar
nicht eben sehr geplagt — aus Baumrinde eine kleine Flotte
ausgehöhlt und geschnitzt, die Schiffe mit Masten und Flaggen
versehen und ließ dieselbe, zur Lust aller dabei Betheiligten,
die Mhrt den Bach hinab machen. Eines Tages aber versah-
eS die kleine Gesellschaft, das Hauptschiff zur rechten Zeit
anzuhalten, und dasselbe trieb unaufhaltsam dem Walde zu.
Lachend und schreiend folgten Knaben und Mädchen dem
durchgegangenen Schiffe bis dasselbe, in die ruhigere Wasser-
fläche des Teiches getrieben, mitten auf demselben umhertricb.
Durch geschickte Steinwürfe suchten die Kinder daS Schifflein
dem Ufer zuzutreiben. Dies gelang Anfangs über Erwarten
gut, bis es, dem Ufer nahe, in den Zweigen eines mächtigen
Hickorybaumes hängen blieb, dessen Aeste sich bis- zum Wasser-
spiegel hinabneigten. Alle Versuche, durch erneute Stein-
würfe das gestrandete Schiff wieder flott zu machen, waren
vergeblich. Da erklärte Nazi, er werde das Schiff holen und
schickte sich an, an dem einen Ast des Baumes bis zum
Schifflcin zu klettern. Mehrere Kinder mahnten von solchem
Unternehmen ab und zeigten Furcht vor solchem Wagstück,
dies machte den kleinen Helden um so begieriger, seine Ge-
schicklichkeit und seinen Muth zu zeigen. Er schwang sich
auf den Ast und rutschte auf ihm hinaus über die Wasser-
fläche. Gespannt schauten die klebrigen zu, jetzt war er dem
der Zigeunerin.
Schifslein ganz nahe, triumphirend blickte er- auf die Zuschauer
am Ufer, jetzt beugte er sich hinab — da — brach ein Ast
oder entschlüpfte der jählings niederschnellende Zweig der Hand
des Knaben? — ein dumpfer Schall , das Wasser sprüht
hoch empor.
Die Kinder am Ufer erheben ein ängstliches Geschrei,
noch einmal kommt der Nazi herauf, greift mit deu Händen
angstvoll umher und verschwindet abermals. Unzählige Kreise
gehen über das Wasser hin und ruhig liegt dann wieder die
Fläche des Teiches, als wäre nichts geschehen. Weinend und
schreiend eilen die Kinder dem Dorfe zu. „Der Nazi, der
Nazi!" „in den Teich gefallen."' Da stürzt, was gerade an-
wesend war hastig jenem Teiche zu, bleich und keuchend Frau
Anna unter den klebrigen. Den Müller, der weiter entfernt
beschäftigt war,. erreicht endlich die Schreckcnskunde, er stürzt -
herbei und sieht, wie bereits die geschäftige Menge mit Stan-
gen und Haken die Tiefe des Teiches zu durchforschen bemüht j
ist. Lautlos arbeiten die Männer, starr steht die Mutter,
umringt von bestürzten Frauen, ängstlich schauen die Kinder |
zu. Stunden gehen hin. Da wird endlich die kleine Leiche ;
heraufgezogen, das nasse Haar hängt schwer über das starre
Antlitz. Die Mutter stürzt herzu, sie preßt die triefende Leiche
an ihre Brust rmd trägt sie lautlos hastigen Schrittes nach !
dem Hause. Alle Versuche, das entflohene Leben zuruckzurnfcu,
sind vergeblich. Laut bricht nun der Schmerz hervor. Nie-
mand ist, der nicht mittrauerte mit den niedergeschmetterten
Eltern. Ein Sarg wird gezimmert und Nazis Leiche ciu-
gesenkt unter unzähligen Thränen.
Wie war cs so öde und still, so bang und gedrückt in
dein Hause des Müllers in diesen Tagen. Frau Anna ging
mit thräncugeschwollenen Augen nmher, David stumm und
verstört. Aber Tag an Tag geht dahin, die täglichen Ver-
richtungen und Arbeiten fordern ihr Recht, die Erinnerung
an den Verlorenen wird blässer, die tägliche Hanthierung,
anfangs nur wie im dumpfen Traume verrichtet, gewinnt
nach und nach wieder mehr Theilnahme. Längst haben die
anderen Kinder ihren Bruder vergessen, fein Spielzeug eignen
sich die Geschwister an, nur das Buch mit den Zeichnungen
hat die Mutter mit bitteren Thränen in einer Truhe ver-
borgen. So war der Nazi doch kein Maler geworden!
Später, als Frau Anna ruhiger deö Verlorenen gedachte,
als die Erinnerung mehr und mehr erblaßt, und der Schmerz
der Trennung überwunden war, da diente, bei aller Wchmnth,
mit der sie an daS Kind dachte, dieser Todesfall ihr doch auch
zu einer Art von Beruhigung. So hatte die alte Zigeunerin
doch nicht richtig prophezeiet, der Nazi war kein Maler
geworden, und wer weiß, ob sie sich' nicht ebenso geirrt hatte |
mit dem später drohenden Unheil. Sie blickte seitdem ruhiger !
in die Zukunft. Deö Nazi Bilderbuch aber ruhte unberührt -
in der Truhe.
Unsere Erzählung schreitet in mächtigen Sprüngen fort,
denn über drei Jahrhunderte hat sic sich auszubreiten, während
ihr der Raum nur eng zugemessen ist. Vierzig Jahre über-
fliegen wir. Die dainals Kinder waren, sind längst erwachsene
Die Weissagung
Nazi bediente sich jener Erlaubniß mit ungemeinem
Eifer und legte Proben einer wenigstens sehr vielseitigen
Richtung an den Tag. Genrestücke in niederländischer realisti-
scher Manier blieben aber seine Hauptstärke. Seite für Seite
entstand ein buntes Quodlibet sehr ursprünglicher Figuren
und kunstlose Unterschriften mußten oft der noch mangelnden
Ähnlichkeit zu Hilfe kommen. Alles bildete der Knabe nach,
den Vater, die Mutter, die Geschwister, das Haus, das Haus-
gcräth und allerlei Eßwaaren; alle die verschiedenen Vor-
kommenheiten des einfachen Lebens, die militärischen Uebungen
der jungen Leute, die Jagd, das Schlachten des Viehes und
tausend andere Dinge mußten ihm den Stofs liefern zu seinen
Bildern, und das Schreibcbuch füllte sich schnell mit den
verschiedenartigsten Scenen aus dem täglichen Leben an.
iltun aber sollte das friedliche, gleichförmige Dahinleben
der Ansiedler durch einen unerwarteten traurigen Vorfall auf
einige Zeit herb und schmerzlich gestört werden. Der Bach,
welcher, aus dunklem Walde hervorbrechend, die Mühle trieb,
setzte rauschend und schäumend seinen Weg fort zwischen
Wiesenflächcn hin, bis er sich von Neuem in des Waldes
tiefen Schatten verlor, die stille dunkle Einsamkeit suchend,
die ihm für eine kurze Strecke der Ansiedler Fleiß entzogen.
Nahe am Waldrandc bildete sein Gewässer einen kleinen aber
tiefen Teich, dessen Ufer mächtige Bäume beschatteten. Dieser
Teich, nicht allzuweit vom Dorfe entfernt, diente dem Vieh
in heißen Tagen zum erfrischenden Bade. Nazi, der in
mancherlei freien Künsten wohl erfahren war, hatte sich und
seinen Spielkameraden zur Ergötzung in den häufigen Frei-
stunden — denn mit Schulen war die kleine Kinderschaar
nicht eben sehr geplagt — aus Baumrinde eine kleine Flotte
ausgehöhlt und geschnitzt, die Schiffe mit Masten und Flaggen
versehen und ließ dieselbe, zur Lust aller dabei Betheiligten,
die Mhrt den Bach hinab machen. Eines Tages aber versah-
eS die kleine Gesellschaft, das Hauptschiff zur rechten Zeit
anzuhalten, und dasselbe trieb unaufhaltsam dem Walde zu.
Lachend und schreiend folgten Knaben und Mädchen dem
durchgegangenen Schiffe bis dasselbe, in die ruhigere Wasser-
fläche des Teiches getrieben, mitten auf demselben umhertricb.
Durch geschickte Steinwürfe suchten die Kinder daS Schifflein
dem Ufer zuzutreiben. Dies gelang Anfangs über Erwarten
gut, bis es, dem Ufer nahe, in den Zweigen eines mächtigen
Hickorybaumes hängen blieb, dessen Aeste sich bis- zum Wasser-
spiegel hinabneigten. Alle Versuche, durch erneute Stein-
würfe das gestrandete Schiff wieder flott zu machen, waren
vergeblich. Da erklärte Nazi, er werde das Schiff holen und
schickte sich an, an dem einen Ast des Baumes bis zum
Schifflcin zu klettern. Mehrere Kinder mahnten von solchem
Unternehmen ab und zeigten Furcht vor solchem Wagstück,
dies machte den kleinen Helden um so begieriger, seine Ge-
schicklichkeit und seinen Muth zu zeigen. Er schwang sich
auf den Ast und rutschte auf ihm hinaus über die Wasser-
fläche. Gespannt schauten die klebrigen zu, jetzt war er dem
der Zigeunerin.
Schifslein ganz nahe, triumphirend blickte er- auf die Zuschauer
am Ufer, jetzt beugte er sich hinab — da — brach ein Ast
oder entschlüpfte der jählings niederschnellende Zweig der Hand
des Knaben? — ein dumpfer Schall , das Wasser sprüht
hoch empor.
Die Kinder am Ufer erheben ein ängstliches Geschrei,
noch einmal kommt der Nazi herauf, greift mit deu Händen
angstvoll umher und verschwindet abermals. Unzählige Kreise
gehen über das Wasser hin und ruhig liegt dann wieder die
Fläche des Teiches, als wäre nichts geschehen. Weinend und
schreiend eilen die Kinder dem Dorfe zu. „Der Nazi, der
Nazi!" „in den Teich gefallen."' Da stürzt, was gerade an-
wesend war hastig jenem Teiche zu, bleich und keuchend Frau
Anna unter den klebrigen. Den Müller, der weiter entfernt
beschäftigt war,. erreicht endlich die Schreckcnskunde, er stürzt -
herbei und sieht, wie bereits die geschäftige Menge mit Stan-
gen und Haken die Tiefe des Teiches zu durchforschen bemüht j
ist. Lautlos arbeiten die Männer, starr steht die Mutter,
umringt von bestürzten Frauen, ängstlich schauen die Kinder |
zu. Stunden gehen hin. Da wird endlich die kleine Leiche ;
heraufgezogen, das nasse Haar hängt schwer über das starre
Antlitz. Die Mutter stürzt herzu, sie preßt die triefende Leiche
an ihre Brust rmd trägt sie lautlos hastigen Schrittes nach !
dem Hause. Alle Versuche, das entflohene Leben zuruckzurnfcu,
sind vergeblich. Laut bricht nun der Schmerz hervor. Nie-
mand ist, der nicht mittrauerte mit den niedergeschmetterten
Eltern. Ein Sarg wird gezimmert und Nazis Leiche ciu-
gesenkt unter unzähligen Thränen.
Wie war cs so öde und still, so bang und gedrückt in
dein Hause des Müllers in diesen Tagen. Frau Anna ging
mit thräncugeschwollenen Augen nmher, David stumm und
verstört. Aber Tag an Tag geht dahin, die täglichen Ver-
richtungen und Arbeiten fordern ihr Recht, die Erinnerung
an den Verlorenen wird blässer, die tägliche Hanthierung,
anfangs nur wie im dumpfen Traume verrichtet, gewinnt
nach und nach wieder mehr Theilnahme. Längst haben die
anderen Kinder ihren Bruder vergessen, fein Spielzeug eignen
sich die Geschwister an, nur das Buch mit den Zeichnungen
hat die Mutter mit bitteren Thränen in einer Truhe ver-
borgen. So war der Nazi doch kein Maler geworden!
Später, als Frau Anna ruhiger deö Verlorenen gedachte,
als die Erinnerung mehr und mehr erblaßt, und der Schmerz
der Trennung überwunden war, da diente, bei aller Wchmnth,
mit der sie an daS Kind dachte, dieser Todesfall ihr doch auch
zu einer Art von Beruhigung. So hatte die alte Zigeunerin
doch nicht richtig prophezeiet, der Nazi war kein Maler
geworden, und wer weiß, ob sie sich' nicht ebenso geirrt hatte |
mit dem später drohenden Unheil. Sie blickte seitdem ruhiger !
in die Zukunft. Deö Nazi Bilderbuch aber ruhte unberührt -
in der Truhe.
Unsere Erzählung schreitet in mächtigen Sprüngen fort,
denn über drei Jahrhunderte hat sic sich auszubreiten, während
ihr der Raum nur eng zugemessen ist. Vierzig Jahre über-
fliegen wir. Die dainals Kinder waren, sind längst erwachsene