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Vor hundert Jahren.
nach Muhberg veranstalten zu wollen. Die Einladung ward
also pünktlich zugesagt, in geheimer Sitzung aber noch be-
schlossen, erst zwei Stunden später als angesagt war, zu
erscheinen; auch tauchte die alsbald zum Beschluß erhobene
Ansicht auf, sich auf den vorgeschlagenen Gesammtchor, da
er zu unbedeutend sei, gar nicht einzulasscn und statt der
projektirten Specialchöre einige andere einzustudiren.
. Während man sich noch über die Wahl der letzteren
möglichst gütlich vergleichen wollte, begann die Lumpenglocke
zu läuten, worauf sich dann auch sämmtliche Harmonisteu
im Bewußtsein ihrer Bürgertugend und nach Rang und
Steuervcrhältniß, der Höchstbcsteucrte zuletzt, gegenseitig em-
pfahlen, begleitet von einem triumphirend höhnischen Blicke
des Di'. Laxantius unter getreulicher Beihilfe der schwarzen
Augen der Raum, die trotzdem, daß sie die beste Seele
Muhbcrgs war, eine höllische Freude über die bevorstehende
Blamage der Harmonie empfand, da sie den größten Theil
der ledigen Mitglieder ihrer Hcirathsscheuheit wegen gründ-
lich verachtete.
Laxantius und ich tranken aber noch auf das Wohl
des gesunden Menschenverstandes eine Flasche vom Besten,
worauf wir uns im Vorgefühle des genußreichen Festes „in
sichtlich gehobener Stimmung" trennten.
Cap. IV.
Der Festtag war angebrochen; es war ein herrlicher
Maisonntagsmorgen, das reine Blau des Himmels re. re.
— man lese die Beschreibung hierüber in irgend einem
Romane. —
Schon früh 5 Uhr ward Muhberg auf eine schauerliche
Weise an's irdische Dasein erinnert; die Janitscharen waren
ausgezogen, um jedem Sterblichen den Nutzen der Baumwolle
hinsichtlich der Ohren begreiflich zu machen. Bange vor den
folgenden Genüssen erhob ich mich, zunächst um die Vorbe-
reitungen zur Festfahrt zu beobachten; da war ein grauen-
haft Gerenn, Gcjohl, Gckcif und Geschimpf in jedem Hause;
meine Hausfrau, deren geringste Tugend, wie bei allen
Exemplaren dieser Classc von Staatsbürgerinnen, die Ge-
schwätzigkeit auch nicht war, erzählte mir athemlos, wie Frau
Lmaier sammt Töchter sich aufs bestimmteste weigern mitzu-
fahren, da Madame Dmaier gegen alle Verabredung einen
neuen Sommerhut sich habe kommen lassen; auch Frau
Amaier erklärte in gerechter Entrüstung eher sterben zu
wollen als zu ertragen, daß der eigene Wagen der Familie
Omaier ihrem gemictheten vorausfahre; in Folge dieser wich-
tigen Streitfragen schien sich die ganze Fahrt zerschlagen
zu wollen, da die resp. Ehemänner von den erbosten Wei-
bern mit dem Bruche des Hausfriedens bedroht wurden,
wenn sie dennoch mitgingen.
Da erschien Laxantius hoch zu Roß und mit ihm als
Festherold der erste Tenorist und Wurster Schunkenmaicr,
im Kostüme des XVI. Jahrhunderts. Diesem Reize konnte
Niemand mehr widerstehen; fort gings, zwar nicht „in saußen-
dem Galopp", denn die Harmonisten sind keine Reiter, aber
es ging doch Krähwinkel zu. Alö wir uus dem mit Blumen
und Fahnen überreich geschmückten Thore Krähwinkels
näherten, hatten wir das Unglück, daß unsere Rosse, die
noch selten derartige Feste hatten verherrlichen helfen, scheu-
ten, im Eifer des Durchgehenö den Festbogen umwarfen,
wie rasend auf den Festplatz stürzten und dort auS Versehen
ein paar Buden, sowie die Tribüne, auf der gerade der
Liederkranz von Munderkingen „Wir stehen fest und weichen
nicht" sangen, über den Haufen rannten.
Nachdem man sich gegenseitig aufgehoben, entschuldigt
und begrüßt hatte, wurde der Harmonie unter Versicherung
wie geschmeichelt man sich durch deren Gegenwart fühle,
wobei übrigens die Munderkinger sehr zweideutige Gesichter
machten, ihr Platz angewiesen.
Bald kam auch die Reihe zu singen an die Muhbcrger;
der Direktor Laxantius hatte aber angeblich einer umge-
worfenen Obstfrau den zerquetschten Arm zu verbinden,
einige andere Sänger waren in der Tiefe der Wirthshäuscr
bereits spurlos verschwunden, so daß der Gesang ein sehr
klägliches Ende genommen hätte, wenn nicht der geistes-
gegenwärtige Schunkenmaicr plötzlich in die Krähwinkler
Nationalhymne „Immer langsam voran" übergcgangen wäre.
Diese wurde nun auch im Chorus kräftig begleitet, nur die
malitiösen Munderkinger brummten etwas von „Taktlosig-
keit", was wir übrigens nicht zu verstehen geruhten.
Nach einer der Stärkung gewidmeten Pause bestieg der
Vorstand der Concordia, ein wissenschaftlich gebildeter Buch-
binder, die Rednerbühne und sprach Folgendes:
„Geliebte Freunde und Sangesbrüder!
Ein Ereigniß, ja ein Ereigniß, wie es, man darf cs
kühn sagen, wie cs in jetziger Zeit nicht täglich wiederkehrt,
ein solches Ercigniß ist die Ursache unseres heutigen gehobenen
Zusammenseins; heute vor beinahe 300 Jahren wurde Hans
Sachs geboren. —
Sie Alle, Jeder mit mir, fühlt was das heißt, am
Geburtstage eines solchen Mannes zu stehen, sie Alle wissen,
was dieser Mann für den Sang, für den Volksgesang, für
den deutschen Volksgesang gethan hat; noch jetzt lesen wir
seinen Namen in manchen Büchern. Aber! ich sage, er hat
nicht nur allein für die Kunst, für unsere Kunst des Ge-
sanges viel gethan, nein! er hätte noch mehr gethan, wenn
nicht der Radschuh der damaligen Verhältnisse so hemmend
in seinen Lauf eingcgriffen hätte, aber dennoch darum möch-
ten Sie mit mir das Gläslein ergreifen; ergreifen Sie also
das Gläslein und rufen Sie laut: Hans Sachs unser Vor-
bild lebe hoch, hoch, hoch und hoch."
Als sich der kannibalische Sturm der Begeisterung, die
dieser Rede gefolgt war, gelegt hatte, erhob sich der Vorstand
des umgeworfencn Munderkinger Liederkranzes und sprach
mit bewegter Stimme:
Vor hundert Jahren.
nach Muhberg veranstalten zu wollen. Die Einladung ward
also pünktlich zugesagt, in geheimer Sitzung aber noch be-
schlossen, erst zwei Stunden später als angesagt war, zu
erscheinen; auch tauchte die alsbald zum Beschluß erhobene
Ansicht auf, sich auf den vorgeschlagenen Gesammtchor, da
er zu unbedeutend sei, gar nicht einzulasscn und statt der
projektirten Specialchöre einige andere einzustudiren.
. Während man sich noch über die Wahl der letzteren
möglichst gütlich vergleichen wollte, begann die Lumpenglocke
zu läuten, worauf sich dann auch sämmtliche Harmonisteu
im Bewußtsein ihrer Bürgertugend und nach Rang und
Steuervcrhältniß, der Höchstbcsteucrte zuletzt, gegenseitig em-
pfahlen, begleitet von einem triumphirend höhnischen Blicke
des Di'. Laxantius unter getreulicher Beihilfe der schwarzen
Augen der Raum, die trotzdem, daß sie die beste Seele
Muhbcrgs war, eine höllische Freude über die bevorstehende
Blamage der Harmonie empfand, da sie den größten Theil
der ledigen Mitglieder ihrer Hcirathsscheuheit wegen gründ-
lich verachtete.
Laxantius und ich tranken aber noch auf das Wohl
des gesunden Menschenverstandes eine Flasche vom Besten,
worauf wir uns im Vorgefühle des genußreichen Festes „in
sichtlich gehobener Stimmung" trennten.
Cap. IV.
Der Festtag war angebrochen; es war ein herrlicher
Maisonntagsmorgen, das reine Blau des Himmels re. re.
— man lese die Beschreibung hierüber in irgend einem
Romane. —
Schon früh 5 Uhr ward Muhberg auf eine schauerliche
Weise an's irdische Dasein erinnert; die Janitscharen waren
ausgezogen, um jedem Sterblichen den Nutzen der Baumwolle
hinsichtlich der Ohren begreiflich zu machen. Bange vor den
folgenden Genüssen erhob ich mich, zunächst um die Vorbe-
reitungen zur Festfahrt zu beobachten; da war ein grauen-
haft Gerenn, Gcjohl, Gckcif und Geschimpf in jedem Hause;
meine Hausfrau, deren geringste Tugend, wie bei allen
Exemplaren dieser Classc von Staatsbürgerinnen, die Ge-
schwätzigkeit auch nicht war, erzählte mir athemlos, wie Frau
Lmaier sammt Töchter sich aufs bestimmteste weigern mitzu-
fahren, da Madame Dmaier gegen alle Verabredung einen
neuen Sommerhut sich habe kommen lassen; auch Frau
Amaier erklärte in gerechter Entrüstung eher sterben zu
wollen als zu ertragen, daß der eigene Wagen der Familie
Omaier ihrem gemictheten vorausfahre; in Folge dieser wich-
tigen Streitfragen schien sich die ganze Fahrt zerschlagen
zu wollen, da die resp. Ehemänner von den erbosten Wei-
bern mit dem Bruche des Hausfriedens bedroht wurden,
wenn sie dennoch mitgingen.
Da erschien Laxantius hoch zu Roß und mit ihm als
Festherold der erste Tenorist und Wurster Schunkenmaicr,
im Kostüme des XVI. Jahrhunderts. Diesem Reize konnte
Niemand mehr widerstehen; fort gings, zwar nicht „in saußen-
dem Galopp", denn die Harmonisten sind keine Reiter, aber
es ging doch Krähwinkel zu. Alö wir uus dem mit Blumen
und Fahnen überreich geschmückten Thore Krähwinkels
näherten, hatten wir das Unglück, daß unsere Rosse, die
noch selten derartige Feste hatten verherrlichen helfen, scheu-
ten, im Eifer des Durchgehenö den Festbogen umwarfen,
wie rasend auf den Festplatz stürzten und dort auS Versehen
ein paar Buden, sowie die Tribüne, auf der gerade der
Liederkranz von Munderkingen „Wir stehen fest und weichen
nicht" sangen, über den Haufen rannten.
Nachdem man sich gegenseitig aufgehoben, entschuldigt
und begrüßt hatte, wurde der Harmonie unter Versicherung
wie geschmeichelt man sich durch deren Gegenwart fühle,
wobei übrigens die Munderkinger sehr zweideutige Gesichter
machten, ihr Platz angewiesen.
Bald kam auch die Reihe zu singen an die Muhbcrger;
der Direktor Laxantius hatte aber angeblich einer umge-
worfenen Obstfrau den zerquetschten Arm zu verbinden,
einige andere Sänger waren in der Tiefe der Wirthshäuscr
bereits spurlos verschwunden, so daß der Gesang ein sehr
klägliches Ende genommen hätte, wenn nicht der geistes-
gegenwärtige Schunkenmaicr plötzlich in die Krähwinkler
Nationalhymne „Immer langsam voran" übergcgangen wäre.
Diese wurde nun auch im Chorus kräftig begleitet, nur die
malitiösen Munderkinger brummten etwas von „Taktlosig-
keit", was wir übrigens nicht zu verstehen geruhten.
Nach einer der Stärkung gewidmeten Pause bestieg der
Vorstand der Concordia, ein wissenschaftlich gebildeter Buch-
binder, die Rednerbühne und sprach Folgendes:
„Geliebte Freunde und Sangesbrüder!
Ein Ereigniß, ja ein Ereigniß, wie es, man darf cs
kühn sagen, wie cs in jetziger Zeit nicht täglich wiederkehrt,
ein solches Ercigniß ist die Ursache unseres heutigen gehobenen
Zusammenseins; heute vor beinahe 300 Jahren wurde Hans
Sachs geboren. —
Sie Alle, Jeder mit mir, fühlt was das heißt, am
Geburtstage eines solchen Mannes zu stehen, sie Alle wissen,
was dieser Mann für den Sang, für den Volksgesang, für
den deutschen Volksgesang gethan hat; noch jetzt lesen wir
seinen Namen in manchen Büchern. Aber! ich sage, er hat
nicht nur allein für die Kunst, für unsere Kunst des Ge-
sanges viel gethan, nein! er hätte noch mehr gethan, wenn
nicht der Radschuh der damaligen Verhältnisse so hemmend
in seinen Lauf eingcgriffen hätte, aber dennoch darum möch-
ten Sie mit mir das Gläslein ergreifen; ergreifen Sie also
das Gläslein und rufen Sie laut: Hans Sachs unser Vor-
bild lebe hoch, hoch, hoch und hoch."
Als sich der kannibalische Sturm der Begeisterung, die
dieser Rede gefolgt war, gelegt hatte, erhob sich der Vorstand
des umgeworfencn Munderkinger Liederkranzes und sprach
mit bewegter Stimme: