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Fries
phemic der Fremden angehört hatten. „Oho, denke doch,
daß wir auch Menschen sind! Wir essen den Lederkäse Mor-
gens, Mittags und Abends — essen ihn von Klein auf und
er hat noch keinem geschadet — conträr, wir sind alle
tüchtige Kerls dabei geworden. Was meint Ihr, Jungens!"
fuhr er fort, indem er sich nach seinen Landsleuten umsah
— „wird's nicht Jeder von Euch mit einem halben Dutzend
seiner Stadtherren aufnehmen können?"
„Das ist Tusch!" rief der Student, indem er aufsprang.
Der Lieutenant faßte mit martialischem Gesicht nach der
Seite, wo er sonst den Degen zu tragen pflegte, der Kauf-
mann aber fiel Beiden in den Arm.
„Um Gottcswillcn, meine Herren, sehen Sie alle die
drohenden Augen . . . lassen Sie uns keine Unvorsichtigkeit
begehen," flüsterte er, indem er den Studenten wieder auf
den Stuhl zog und zu den Insulanern gewendet, fügte er
mit erzwungenem Lächeln hinzu: „Beweißt uns, daß wir
Unrecht haben. — Ist Einer unter Euch, der dies Stück
Käse jetzt gleich vor unsren Augen aufessen kann, ohne
morgen krank zu sein, so . . ."
„So essen Sie ein Stück, das eben so groß ist!" fiel
ihm Peter Scholl in's Wort.
„Ausgezeichnet, die Wette gilt!" riefen der Lieutenant
und der Student, wie aus einem Munde.
Der Bedrohte sprang auf.
„Nein, meine Herren, nein, mein guter Mann, so geht
es nicht!" sagte er eifrig. „Aber wenn Sie's wie eine
Wette ansehen — auf zehn Thalcr soll es mir nicht an-
kommen." Und mit einem Blick auf das gewaltige Stück
Käse fügte er schaudernd hinzu: „Es ist unmöglich — das
kann Niemand essen!"
„Ein Friese kann's," sagte Peter Scholl mit unbe-
schreiblichem Selbstgefühl und plötzlich, als er sich umsah,
den rechten Kämpen auszuwählen, kam ihm ein Einfall, über
den er vor Vergnügen laut auflachen mußte. ■
„Upke, mein Junge," fuhr er fort, indem er ihm einen
derben Faustschlag versetzte, „geh' Du hin und gicb den Be-
weis, was ein guter Friescnmagen fertig bringt! Ich glaube,
daß Du zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen kannst."
„Will's versuchen," sagte der junge Mann,, lehnte die
Sense an den Zaun, stieg mit den langen Beinen ohne
Weiteres hinüber und rief, indem er an den Tisch trat:
„Ich halte die Wette, auf zehn Thalcr kommt's mir auch
nicht an!"
Dann schob er einen Stuhl an den Tisch, setzte sich
bedächtig nieder und betrachtete das Material, in dem er
arbeiten sollte.
Es war ein ungeheures Stück von jenem graugclbcn,
festen, ostfriesischen Käse, der nicht im Entferntesten, weder
durch Geruch noch Geschmack an die pikanten Eigenschaften
seiner Brüder in Holland, England und Frankreich erinnert;
der nicht eins der leichtsinnigen Fettaugen besitzt, mit denen
der Schwcizerkäsc in's Leben sieht; der sich gleich fern zu
halten weiß von der herausfordernden Härte des Schabziegers,
enprobe.
wie von der charakterlosen Weichheit des Strachino, und stolz
verschmäht, sich mit Salz oder Kümmel aufzuputzen — ein
Käse so einfach zäh und tüchtig, wie das Volk, das er nährt.
Upke war denn auch dem alten Freunde gegenüber seiner
Sache völlig gewiß. Ruhig zog er sein Klappmesser aus der
Tasche, rückte sich behaglich zurecht, sagte: „Nun soll's los-
gehen," und begann zu schneiden und zu essen, während ihm
aus den Reihen der Zuschauer Worte des Lobes und der
Ermuthigung zuflogen.
Immer dichter wurde das Gedränge in der Dorfgasse
längs des Zaunes, denn von Mund zu Muud, von Haus
zu Haus flog die Kunde: der Upke Teerling hat mit drei
fremden Herren gewettet; er will ihnen beweisen, daß der
Lederkäse, den sie verachten, einem Friesen nichts schadet —
und von allen Enden des Dorfes strömten Männer, Weiber
und Kinder herbei, die neue Großthat des Vielgepriesenen
mitanzusehen.
Er aber saß da, wie der verkleidete Thor im Hause
des Riesen und schnitt und aß immer fröhlicher darauf los,
denn am Ende der Zuschaucrreihe, halb versteckt hinter den
andern jungen Mädchen, hatte er einen wohlbekannten Helgo- j
ländcr Hut entdeckt, der ein paar wohlbekannte blaue Augen j
beschattete. Jetzt gab er den Beweis, den die Besitzerin dieser
Augen von ihm verlangt hatte!
„Nicht so schnell, mein Junge — langsame Fütterung
giebt gute Mast!" rief ihm Peter Scholl ein- über das j
anderem«! warnend zu — und dann, wenn wieder ein anschn- j
liches Stück Lederkäse verschwunden war und ein neues ab-
geschnittcn wurde, wendete sich der Alte dem Publikum zu. ,
„Ja, ja, der Upke Teerling wird's den Fremden schon
beweisen, was ein Friese fertig bringt," sagte er die Ton-
pfeife schwenkend, „der Upke Teerling kann's, der Upke
Teerling ist wie dazu gemacht!"
Für Upke kam dann zwar ein Moment, in dem er
meinte, es ginge nicht mehr, er müsse die Waffen strecken —
aber ein Blick auf die blauen Augen unter dem Helgoländer
Hut, auf die erwartungsvolle Menge und auf die spöttischen
Mienen der drei Herren, die ihre Cigarren rauchend um ihn
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Fries
phemic der Fremden angehört hatten. „Oho, denke doch,
daß wir auch Menschen sind! Wir essen den Lederkäse Mor-
gens, Mittags und Abends — essen ihn von Klein auf und
er hat noch keinem geschadet — conträr, wir sind alle
tüchtige Kerls dabei geworden. Was meint Ihr, Jungens!"
fuhr er fort, indem er sich nach seinen Landsleuten umsah
— „wird's nicht Jeder von Euch mit einem halben Dutzend
seiner Stadtherren aufnehmen können?"
„Das ist Tusch!" rief der Student, indem er aufsprang.
Der Lieutenant faßte mit martialischem Gesicht nach der
Seite, wo er sonst den Degen zu tragen pflegte, der Kauf-
mann aber fiel Beiden in den Arm.
„Um Gottcswillcn, meine Herren, sehen Sie alle die
drohenden Augen . . . lassen Sie uns keine Unvorsichtigkeit
begehen," flüsterte er, indem er den Studenten wieder auf
den Stuhl zog und zu den Insulanern gewendet, fügte er
mit erzwungenem Lächeln hinzu: „Beweißt uns, daß wir
Unrecht haben. — Ist Einer unter Euch, der dies Stück
Käse jetzt gleich vor unsren Augen aufessen kann, ohne
morgen krank zu sein, so . . ."
„So essen Sie ein Stück, das eben so groß ist!" fiel
ihm Peter Scholl in's Wort.
„Ausgezeichnet, die Wette gilt!" riefen der Lieutenant
und der Student, wie aus einem Munde.
Der Bedrohte sprang auf.
„Nein, meine Herren, nein, mein guter Mann, so geht
es nicht!" sagte er eifrig. „Aber wenn Sie's wie eine
Wette ansehen — auf zehn Thalcr soll es mir nicht an-
kommen." Und mit einem Blick auf das gewaltige Stück
Käse fügte er schaudernd hinzu: „Es ist unmöglich — das
kann Niemand essen!"
„Ein Friese kann's," sagte Peter Scholl mit unbe-
schreiblichem Selbstgefühl und plötzlich, als er sich umsah,
den rechten Kämpen auszuwählen, kam ihm ein Einfall, über
den er vor Vergnügen laut auflachen mußte. ■
„Upke, mein Junge," fuhr er fort, indem er ihm einen
derben Faustschlag versetzte, „geh' Du hin und gicb den Be-
weis, was ein guter Friescnmagen fertig bringt! Ich glaube,
daß Du zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen kannst."
„Will's versuchen," sagte der junge Mann,, lehnte die
Sense an den Zaun, stieg mit den langen Beinen ohne
Weiteres hinüber und rief, indem er an den Tisch trat:
„Ich halte die Wette, auf zehn Thalcr kommt's mir auch
nicht an!"
Dann schob er einen Stuhl an den Tisch, setzte sich
bedächtig nieder und betrachtete das Material, in dem er
arbeiten sollte.
Es war ein ungeheures Stück von jenem graugclbcn,
festen, ostfriesischen Käse, der nicht im Entferntesten, weder
durch Geruch noch Geschmack an die pikanten Eigenschaften
seiner Brüder in Holland, England und Frankreich erinnert;
der nicht eins der leichtsinnigen Fettaugen besitzt, mit denen
der Schwcizerkäsc in's Leben sieht; der sich gleich fern zu
halten weiß von der herausfordernden Härte des Schabziegers,
enprobe.
wie von der charakterlosen Weichheit des Strachino, und stolz
verschmäht, sich mit Salz oder Kümmel aufzuputzen — ein
Käse so einfach zäh und tüchtig, wie das Volk, das er nährt.
Upke war denn auch dem alten Freunde gegenüber seiner
Sache völlig gewiß. Ruhig zog er sein Klappmesser aus der
Tasche, rückte sich behaglich zurecht, sagte: „Nun soll's los-
gehen," und begann zu schneiden und zu essen, während ihm
aus den Reihen der Zuschauer Worte des Lobes und der
Ermuthigung zuflogen.
Immer dichter wurde das Gedränge in der Dorfgasse
längs des Zaunes, denn von Mund zu Muud, von Haus
zu Haus flog die Kunde: der Upke Teerling hat mit drei
fremden Herren gewettet; er will ihnen beweisen, daß der
Lederkäse, den sie verachten, einem Friesen nichts schadet —
und von allen Enden des Dorfes strömten Männer, Weiber
und Kinder herbei, die neue Großthat des Vielgepriesenen
mitanzusehen.
Er aber saß da, wie der verkleidete Thor im Hause
des Riesen und schnitt und aß immer fröhlicher darauf los,
denn am Ende der Zuschaucrreihe, halb versteckt hinter den
andern jungen Mädchen, hatte er einen wohlbekannten Helgo- j
ländcr Hut entdeckt, der ein paar wohlbekannte blaue Augen j
beschattete. Jetzt gab er den Beweis, den die Besitzerin dieser
Augen von ihm verlangt hatte!
„Nicht so schnell, mein Junge — langsame Fütterung
giebt gute Mast!" rief ihm Peter Scholl ein- über das j
anderem«! warnend zu — und dann, wenn wieder ein anschn- j
liches Stück Lederkäse verschwunden war und ein neues ab-
geschnittcn wurde, wendete sich der Alte dem Publikum zu. ,
„Ja, ja, der Upke Teerling wird's den Fremden schon
beweisen, was ein Friese fertig bringt," sagte er die Ton-
pfeife schwenkend, „der Upke Teerling kann's, der Upke
Teerling ist wie dazu gemacht!"
Für Upke kam dann zwar ein Moment, in dem er
meinte, es ginge nicht mehr, er müsse die Waffen strecken —
aber ein Blick auf die blauen Augen unter dem Helgoländer
Hut, auf die erwartungsvolle Menge und auf die spöttischen
Mienen der drei Herren, die ihre Cigarren rauchend um ihn
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Friesenprobe"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 44.1866, Nr. 1094, S. 203
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg