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131

Das Lu

— wenn Du ihnen drei-, vier- — ja zehntausend Thaler
dafür bötest, sicherlich gingen sie mit Freuden den Handel ein
und Du — aber es war ja nicht möglich. Geld kann alle
Genüsse des Lebens kaufen, aber nicht das Leben selber,
wo gäbe cs auch sonst einen kranken reichen Mann und
einen gesunden Armen! nein, er war verdammt, sein Leiden
selber zu ertragen und keine Schätze der Welt konnten ihn
davon befreien — wenn auch die vvrgeschriebcne Kur Nichts
nutzte. —

„Trichinen!" stöhnte er dabei vor sich hin — „ cs ist
unglaublich — fabelhaft — Tausende von Jahren steht die
Welt schon und wer hat je in seinem ganzen Leben oder in
irgend einem anderen Jahrhundert etwas von solchen Bestien
gehört und wie viel Millionen Schweine sind in der Zeit ver-
zehrt worden. Moses war aber gescheidt; der hat seinen
Juden das Fleisch gleich verboten, der muß auch gewußt
haben wcßhalb, ob der sie nicht schon damals entdeckt hat!

aber anstatt nachher das Maul aufznthun und zu sagen
so und so — hütet Euch vor dem Fleisch, cs sind kleine
Bccster darin, kommt er mit seinem verfluchten Geheimniß
und seiner Wichtigthucrci — mit seinem: Gehorcht nur meinen
Befehlen, Ihr braucht gar nicht zu wissen wcßhalb. Daß
Dich der —“

Der Geheime Regierungsrath war ganz im Geheimen,
denn ihm gegenüber saß ebenfalls eine Geheime Commcrzien-
räthin im Coupg erster Classe — wüthend auf sich, auf die
ganze Welt und besonders auf Moses — gewiß der Un-
schuldigste von Allen an seinem Leiden, und als sie endlich
in Gotha anlangtcn und ein sehr hübsch frisirter Kellner ihm
durch das Wagenfenster einen Teller mit Würstchen präsen-
tirte, und die Geheime Commerzienräthin ihm entsetzt zurief:
„Essen Sie um Gottes Willen keine davon; cs sind Trichinen
darin!" gab es ihm ordentlich einen Stich in's Herz.

Es sind Trichinen darin — Du lieber Gott, er hatte
selber mehr als die kleine Wurst und wenn er sie auch im
Stillen trug, in diesem Augenblick fühlte er jede einzelne sich
bewegen und drängen und bohren.

Luft! er verging fast in dem engen Coupo »nd den
Kellner mit seinem Teller, ans welchem ganz friedlich Würste,
Malzbonbons und Apfelsinen lagen, bei Seite drängend,
stürmte er an die Kasse, um sich ein Billet nach Fröttstett
zu lösen und von da mit der Pferdebahn weiter zu gehen.

Abends spät langte er endlich in Reinhardtsbrunn an
und wurde — nachdem er seinen Brief abgegeben hatte,
weiter nach Tambach dirigirt und der Förster dort angewiesen,
den Herrn am nächsten Tag zu einem bestimmten und nicht
mehr benutzten Pirschhaus zu bringen, wozu er ihm auch den
Schlüssel übergeben konnte.

Der Geheime Regierungsrath begann jetzt seine Kur,
zuerst mit einem entsetzlich dünnen Kaffee und trockenem Wciß-
brod, dann wandcrte er in Begleitung eines Forstgehilfen, der
aus dem wunderlichen Menschen gar nicht klug werden konnte,
in die Berge hinein, bis sie das allerdings versteckt genug
gelegene Pirschhaus erreichten. Der junge Forstmann, der

ftbad.

selber im Wald zu thun hatte, versprach in etwa drei oder
vier Stunden wieder vorzukommen und ihn abzuholen, damit
er sich nicht am ersten Tag und in dem fremden Wald ver-
irre, denn auf dem Rückweg sehe so ein Platz immer ganz
anders ans, als auf dem Hinweg und ließ ihn dann allein.

Eine bessere Gelegenheit, um eine ähnliche Procednr vor-
zunehmcn, wie sie der Geheime Negierungsrath beabsichtigte,
hätte sich freilich ans der ganzen Welt nicht finden können.
Das kleine Bretterhäuschen war versteckt in den Wald hincin-
gebant, auf einer schmalen Lichtung, die, wenn das Auge
derselben thalwärts folgte, einen ganz reizenden Fernblick über
das weite, wie mit einem blauen Duft übcrgossene Land ge-
währte. Und der würzige Harzgeruch hier oben, das Zwitschern
der Vögel, das zuweilen nur durch den heiseren Schrei eines
Raubvogels unterbrochen wurde — und diese Einsamkeit. !
Hier allerdings hatte er keine Störung zu befürchten, denn !
ohne des jungen Forstmanns Führung würde er sich nie
allein hier heranfgefundcn haben. Auch der lange Marsch
hatte ihn wohl erschöpft, aber that ihm doch gut und er ging
jetzt vor allen Dingen daran, das Terrain selber ein wenig
zu sondiren.

Das Pirschhaus bestand nur ans vier einfachen Bretter- !
wänden, mit einem guten Dach und einem kleinen, eisernen
Ofen darin, um an rauhen Tagen den Ort behaglicher zu
machen. Gespaltenes Holz lag ebenfalls in Vorrath darin.
Sonst stand noch dort eine Bettstelle aus weißem Holz mit
einer reinlichen Sccgrasmatratze und einer wollenen Decke
darauf, auch ein Wasserkrug und ein Glas, wie ein paar
irdene Töpfe, falls einmal Einer der Forstbeamten gcnöthigt
wäre, dort oben ein paar Tage zuzubringen.

Der Geheime Regierungsrath benutzte aber von alle dem I
Nichts als das Bett; er war müde geworden und streckte sich
jetzt behaglich darauf 'ans, um ein wenig zu ruhen.

Sonderbar — zu Hause hatte er eine Stahlfeder- und
darüber eine Roßhaarmatratze und die weichsten Kissen, und
doch war ihm sein Lager immer zu hart gewesen und hier
auf der festgestopften Seegrasmatratze lag sich's so merkwür-
dig bequem. Aber seine Gedanken ließen ihn nicht ruhen:
Ein Luftbad — eS war das Außerordentlichste, von dem er
je gehört, und Trichinen, die kaum durch Siedehitze gctödtct
werden konnten — und selbst darüber war man noch in
Zweifel — sollten umkommen, wenn er über Tag eine Stunde
nackt im Wald hernmlicf? Er hätte doch noch eigentlich einen
anderen Arzt fragen sollen, denn er begriff die Möglichkeit
nicht — aber die verfluchten Harpunen. Und wenn ihm das
Alles nun Nichts half? Wenn er kränker nach Hause znrück-
kehrtc als er gekommen und dann seinen Tod — den furcht-
barsten Tod, den sich ein Mensch denken oder ausmalen kann,
rettungslos vor Augen sah? Aber Doktor Asmuö hatte mit
solcher Zuversicht von seiner Kur gesprochen — von Amerika
waren überhaupt schon so merkwürdige Entdeckungen hcrüber-
gekommen — der Versuch mußte jedenfalls gemacht werden,
cs war ja auch seine letzte, verzweifelte Hoffnung.

Ucbrigenö befolgte er jetzt getreu die Anweisung des

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