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Ein unheimlicher Wachtdienst.

j 194

Keine Wachtstnbc ist ein angenehmer Aufenthalt; bei
j jedem Mangel an Bequemlichkeit duftet es dort nach Aller-
! Hand. Schuhwichse, Lederlack, Stiefelschmiere, Schmirgel,

! Kreidepulvcr und Baumöl, Kommißbrod und Kümmel wirken
i in wunderbarer Gemeinschaft, dazu die unvermeidliche Aus-
> dünstung so vieler schweißtriefender Männer in dem engen,

niederen Raume-es ist wahrlich Niemand zu verdain-

men, wenn er, von Haus ans an wohnlichere Lokalitäten ge-
wöhnt, solchen Aufenthalt unbehaglich findet. Und wenn nun
aber noch, wie hier, die glühende Sonne auf das unmittelbar
auf der Decke des Lokals ruhende Zinkdach mit einer Hitze
von 25 Grad nachwirkt, dann wird der Aufenthalt geradezu
unerträglich. — Rings um die Wachthütte kein Blatt, kein
Baum, kein Strauch, nur Sonne und weißer Sand! Das
Rauchen war hier in der Nähe vieler tausend Zentner Pulver
bei Lattenstrafe sowohl in als vor dem Wachthanse verboten.
Auf der Hinteren Seite des Gebäudes, wo der Dachsims einen
zwei Fuß breiten Schattenstreifen warf, stand eine Bank, auf
welche sich der Unterofficier der Länge nach gelagert hatte und
mit pommcrscher Brutalität Niemand znließ — selbst nicht
die dargebotene „Karline" konnte ihn zum Platzmachen be-
wegen. Was blieb also mir und meinem Freunde übrig,
als hinaus in die Sonne zu treten. Wir hatten die schweren
Czakos abgelegt und unsere weißen Taschentücher über den
Kopf gebunden zum Schutze gegen den Sonnenbrand, und
betrachteten so die schöne Gegend. Die Pulvermagazine
lagen, eine gute Viertelstunde von einander entfernt, in einem
großen Halbkreise, so daß man vom Wachthanse aus bei
hellem Wetter die verschiedenen Posten beobachten und ebenso
jeder Soldat von seinem Platze ans Wachthans und Maga-
zine übersehen konnte — die einzige Unterhaltung in dieser
Berliner Sahara! Jeder Posten hatte die Weisung, das ihm
anvertraute Magazin häufig zu umgehen und Niemand auf
50 Schritte zuznlassen, nöthigenfalls jeden Dawiderhandelnden
nach dreimaligem Anrufen niederzuschießen —- eine Maßregel,
die bei der Nähe der großen Stadt und der sehr zweifelhaften
Haltung des Berliner Vorstadt-Gesindels ganz am Platze
war. Das schweigsame Benehmen meines Freundes Emil,
sein krankes Aussehen war mir schon während des Marsches
ausgefallen. Einsilbigkeit war sonst nicht seine Sache und
die kleine Strapaze konnte ihn unmöglich so angegriffen haben.
Wir hatten zusammen ein sechswöchentliches Herbstmanöver
mitgemacht und wer die Eilmärsche von Sonnenauf- bis
Niedergang, die nächtlichen Bivouaks bei Sturm und Regen
ohne Zelte, wo man in der Frühe seinen Leichnam im feuchten
Erdreich wie durch ein Pettschaft abgedrückt sieht und dann
gleich beim Appell mit leerem Magen im Laufschritt viertel-
stnndlang über nasse Kartoffelfelder gejagt >vird — wer das
ausgehalten und dazu ein heiteres Gesicht und die faulsten
Kalauer Witze machen konnte, wie mein Freund Emil, dem
mußte mehr fehlen, als das bischen Ermüdung von dem
kleinen Marsche. — Ihm die Feldflasche reichend, frug ich
ihn, warum er gar so trübselig d'reinschaue? Er fuhr wie
aus einem Traume ans, sah mich mit nassen Angen an und

sagte, die Flasche zurückweisend: „Mir ist nicht wohl." Ich
ließ mich damit natürlich nicht abweisen, sondern drang iveiter
in ihn und endlich, nach langem Zögern, nachdem er mir
vorher wehmüthig die Hand gereicht, als ivollte er sich meiner
Discretion versichern, öffnete er die Uniform und reichte mir
einen Brief, — ich kannte die Handschrift, es war die seiner
Angebeteten. —

Emils Verhältniß zu dein Mädchen war mir bekannt.
Ich ivnßte, daß er bis zum Sterben in die einzige Tochter
seines Prinzipals, eines der ersten Buchhändler Berlins, ver-
liebt war, wußte, daß er Erhörnng gefunden und daß das
Endziel all seiner Wünsche der Besitz dieses sehr hübschen
Kindes Ivar. Er hoffte nach einjähriger Dienstzeit wieder in
seine alte Stelle eintreten zu können, hoffte ans die Zustim-
mung des Vaters, der ihm sehr gewogen schien und ihm für
seine freien Stunden wichtige Arbeiten übertrug; er hoffte
auf die Ausdauer und Treue der Geliebten, die sie ihm wohl
hundertmal in Briefen und Worten zugeschworen.

Emil >var nicht ganz ohne Vermögen. Er besaß min-
destens so viel, um sich später ein Bnchhändlergeschäft grün-
den zu können, war ein überaus fleißiger, kenntnißreicher
Mensch, dabei heiter, liebenswürdig, witzig und gntmüthig,
das Muster eines Berliners und nebenbei einer der schönsten
Freiwilligen von „Kaiser Alexander". Wenn man jung ist,
ist man mittheilungsfähig und bei aller Diskretion für die
Dame des Herzens iverden die Erfolge, die Schwächen und
Vorzüge derselben, selbst alle kleinen Differenzen mit ihr dem
erprobten Freunde ins Ohr geflüstert — natürlich unter dem
Siegel heiligster Verschwiegenheit. Wer hätte dergleichen nicht |
erfahren? So wußte ich denn auch von Emil, daß seine
Auserkorene ein klein wenig eitel sei. daß die Anfmerksam-
keiten eines reichen und hübschen Hnsarenofficiers, Albert von
M. . . , der im Hanse des Vaters wohnte, ihr nicht ganz
gleichgittig seien, daß Freund Emil schon einige Scenen deß-
halb niit ihr gehabt, daß er sogar mit dem Herrn Junker
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

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Titel/Objekt
"Ein unheimlicher Wachtdienst"
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Fliegende Blätter
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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Diez, Wilhelm von
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Brief <Motiv>
Traurigkeit
Wachdienst <Motiv>
Unglück
Karikatur
Einjährig-Freiwilligen-Dienst
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 48.1868, Nr. 1197, S. 194
 
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