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Ein unheimlicher Nachtdienst,

bemerkt zu haben. — Was sollte ich thnn in meiner Todes-
angst?! Den Posten verlassen war ein schweres Vergehen
und wäre unter allen Umständen strenge bestraft worden.
Aber sollte der arme Freund dort anderthalb Stunden liegen?
j Und war vielleicht noch Leben in ihm? Konnte er nicht noch
gerettet werden? — „Das kann, das darf nicht sein", schrie
ich laut und feuerte mein Gewehr in der Richtung nach dem
Wachthause ab. In demselben Augenblicke blitzte und knallte
es auch von allen übrigen Posten herüber nnd die Mann-
schaft in dem Wachthause trat heraus. — Wir sahen einen
Mann zum nächsten Posten laufen und tviedcr zurück eilen.
Gleich darauf trat eine Patrouille an nnd ging direkt ans
das Magazin zu, wo Emil gestanden. Dort angekommen,
hielt die Gruppe mehrere Minuten bei der Leiche; einige schie-
nen zerstreut nmhcrlicgende Gegenstände aufzulesen nnd end-
lich bewegte sich der Hanfe znsammengedrängt langsam dem
Wachthause zu — sic trugen den nuglücklichc» Freund dahin!

Meine Feder vermag es nicht, den Zustand zu be-
schreiben, in Ivelchem ich mich befand. Meine Kniee wankten,
meine Stirne war mit eiskaltem Schweiß bedeckt — ich
zitterte und mein Gewehr erschien mir eine Zentnerlast. —
Dazu die Hitze, die Einsamkeit — und dort drüben immer
das Haus, den Platz, wo er gestanden, immer vor Augen!

— Dann die Ungewißheit, ob er todt sei oder vielleicht doch
noch lebe — o, es waren Höllenqualen! —

Endlich! Endlich kam die Ablösung daher! „Er ist
todt," sagten sie, nnd >vas noch mehr Alles geredet ivnrde,
davon verstand ich nichts, weil ich weder sah noch hörte.

— Mechanisch marschirte ich zwischen den Andern, In der
Wachtstnbe lag er ans einer Bank, mit seinem Mantel zngc-
dcckt. Man tvollte mir den Todten zeigen, aber ich wandte
mein Gesicht ab — ich fürchtete ohnmächtig zu werden bei
dem Anblick. —

Ein Mann war in die Stadt an die Oranicnburger-
Thorwache geschickt ivorden nnd nach zivei Stunden kam ein

Sanitätswagen mit einem Hauptmann nebst Auditor. Der
Fall wurde protokollirt und die Leiche nach Berlin gefahren. —
Es war Nacht geworden, ein Gewitter zog herauf; schwere
Tropfen fielen, nnd die Mannschaft saß schweigend in der
dumpfen schwülen Wachtstnbe, Da ruft uns der Unteroffizier
zusammen und erklärt uns, daß durch den Abgang von zwei
Mann (ein Mann war als Zeuge auf das Auditoriat mit-
genommen worden) die Posten anders cingetheilt und das
Magazin „drüben" während der Nacht wieder besetzt werden
müsse. — Er wolle nicht gerade den Einen oder den Andern
„kommandiren", weil es keine angenehme Commission sei,
wir sollten das unter uns selber ansmachen. —

Eine ziemliche Pause, in welcher wir einander schweigend
ansahen, trat ein, — Keiner schien große Lust zu haben, als
Freiwilliger vorzntreten nnd — wer konnte es wohl dem
Herzhaftesten verübeln? Das Schildwachstehen in der Nacht
an einsamen Orten ist kein angenehmes Geschäft, in der Nähe
eines Pulverhanscs aber und namentlich bei einem schweren
Gewitter, wo man die Blitze rechts nnd links in den Boden
fahren sicht nnd alle Augenblicke gewärtig sein muß, in die
Luft zu fliegen, da ist es wahrlich noch weniger amüsant.
Wenn nun aber gar noch ein Vorfall, wie der eben beschrie-
bene, sich dicht vor dem Schilderhanse zngetragen, dann kann
nur ein blasser Renommist behaupten, so etivas sei ihm gleich-
giltig. — Was blieb uns also übrig, als das Loos entscheiden
zu lassen! Es ivurde ans dem Wachtbnchc ein leeres Blatt
gerissen, Papicrstrcifen gemacht, kurze und lange. Jeder sollte
ziehen und die drei kürzesten hatten den Posten zu übernehmen.
Ich ivar der letzte und zog den kürzesten Streifen, der die
Stunde von 12 bis 1 Uhr Mitternacht bezeichnete! Mir
fuhr ein eigcnthümlichcs, früher noch nie gefühltes Kribbeln
durch den Körper nnd schon wollte ich rufen: „Ich kann
nicht!" Aber die Furcht ausgelacht zu werden, der Gedanke
an die Schande, als Soldat feig zu erscheinen, hielt mich
aufrecht. Ich nahm mein Schicksal mit möglichster Fassung
an und — versuchte zu lächeln! — Schlechte Witze' über
mein blasses Aussehen mußte ich allerdings hören und viel-
leicht grade von denen am meisten, die innerlich recht froh
waren, den kurzen Streifen nicht gezogen zu haben.

So kam Mitternacht heran, cs stürmte, blitzte, donnerte
nnd regnete, was vom Himmel herab konnte. — Aber der
Soldat hat sich darum nicht zu kümmern, er muß ans seinen
Posten! Die Patrouille zog aus, ein Mann mit der Laterne
voran — die Blitze zeigten uns den Weg. — Wir hatten
das Magazin erreicht, die Mannschaft wünschte mir lachend
„Biel Vergnügen" nnd zog ab, — Ich trat in das Schilder-
haus und meine Blicke folgten sehnsüchtig dem Laternenschcine,
bis er, die Iveite Runde vollendet, im Wachthause verschwand,
aus dessen Fenster ein schlvachcr Lichtpunkt zu mir herüber
leuchtete.

Rechts von mir mußte der Platz sein, wo Emil sein
Leben geendet, — Ein Blitz leuchtete auf — ich sah an der
Stelle einen schwarzen Fleck am Boden! Meine Glieder
schüttelten sich vor Frost nnd Nässe — ich fühlte mich krank,
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Ein unheimlicher Wachtdienst"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Diez, Wilhelm von
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Trauer <Motiv>
Freundschaft <Motiv>
Selbstmord <Motiv>
Liebeskummer <Motiv>
Leiche <Motiv>
Wachdienst <Motiv>
Gewehr
Karikatur
Einjährig-Freiwilligen-Dienst
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 48.1868, Nr. 1198, S. 202
 
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