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Der L

hatte überhaupt noch niemals von ihm Notiz genommen — aber bei
seinem Erwachen sollte er ein neues, bisher ungekanntes, ungeahntes
Gefühl kennen lernen, das Gefühl — sich bestohlen zu wissen.

Kaspar hatte sich im Laufe der Jahre ein schönes Ver-
mögen gesammelt; er kannte zwar die Zahl der Bankbillcte nicht,
die er von Zeit zu Zeit Päckchenweise, wie ihm die Buchhändler-
Honorare zuflossen, ans einander geschichtet, aber es hätte sich
schon verlohnt, ihnen, wenn sie nun einmal zur unrühmlichen,
das heißt, keine Zinsen tragenden Unthätigkeit verdammt waren,
ein Ruheplätzchen in einer einbruchsichern Kasse anzuweisen. Dem
war nicht so geschehen und daher das Malheur.

Der Wichsier, der täglich fünf Uhr Morgens die Schuhe
mit neuem Glanze versehen mußte, hat heute ein wahrhaft
glänzendes Geschäft gemacht. Die Kassenscheine in ihren bunten
Farben hatten ihm aus dem offenherzig dastehenden Schreine so
verlockend cntgcgengclächelt, daß er ganz berauscht war und in
der Eile, mit der er sich — und sie — entfernte, sogar die

Schuhe zu putzen vergessen, — er, der sonst so verlässig in
seinen Verrichtungen!

Kein Geld und schmutzige Schuhe! Wie vom Donner ge-
rührt saß Kaspar da, bald die Letzter» anstarrend, bald nach
dem geleerten Schrein trostlose Blicke werfend. Als er, ans
seiner Betäubung erwachend, sich anfraffte, um einem seiner
Verleger sein Weh' zu klagen, mochte der Pflichtvergessene Wichsier
einen bereits genug großen Vorsprung gewonnen haben, um nicht
von den alsbald in Bewegung gesetzten Armen und Beinen der
Gerechtigkeit erreicht zu werden.

Die Früchte jahrelanger Arbeit waren verloren. An diesen
> Gedanken hatte sich Kaspar nach und nach schon gewöhnt. Nun
machte ihm aber sein Freund und Gönner, der Buchhändler, um

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ihn künftig gegen solche unangenehme Fatalitäten geschützt zu wissen,
mit Heirathsprojecten den Kopf warm. Heirathen, heirathen!
Für Mädchen hatte unser Held bisher nicht einmal das ge-
setzlich normirte fünfprocentige Interesse verspürt. Die Sache
wurde ihm aber so plausibel gemacht, daß er schließlich doch fest
entschlossen war, zu heirathen. Der Buchhändler wurde mit
der angenehmen Mission betraut, ihm unter den Töchtern des
Landes eine Braut zu suchen. Da die allgütige und allweise
Natur die Einrichtung getroffen, daß es keinen Mangel gibt
an hcirathsfähigen Mädchen, so dauerte es nicht lange, und
Kaspar Herbst saß, mit der Würde eines Bräutigams bekleidet,
an der Seite einer niedlichen muntern Blondine, sic mit den
Eigenthümlichkeiten des Sanskrit und andern ähnlichen Galanterien
unterhaltend. Pünktlich jeden Abend besuchte Kaspar seine Braut,
und bei immer näher heranrückendcm Ziel nahm er mit Ver-
gnügen die immer eifriger betriebenen Vorkehrungen für die
Hochzeitsseierlichkcitcn wahr. Er hatte so große Zuneigung für
seine Braut gefaßt, daß er ihr beinahe auch eine Stunde des
Tages geopfert hätte; vor solcher Thorheit schützte ihn jedoch
sein glückliches Naturell. — Noch zwei Wochen sollte cs währen,
und er hatte den Hafen seines Glückes erreicht. Einstweilen
studirte er die Zend-Avesta, anstatt sich schicklicher mit dem „Glück
der Ehe" zu beschäftigen. Eben stellte er seine Betrachtungen
über das Zcndische Gerundium an, als ihn ein leises Klopfen
an der Thüre anfstörte. Sein Freund, der Buchhändler, trat
ein. Es war um die Zeit der mexikanischen Expedition, welche
eine verbesserte Ausgabe des mexikanischen Ollendorf nothwendig
machte, und Kaspar Herbst sollte sich nun an das Spanische
machen. Er nahm den.Auftrag an.

Nun mußte Fräulein Cornelie — meine Leser mögen
wenigstens den Taufnamen des glücklichen Bräutchens des
großen Linguisten erfahren — nun mußte sic freilich für einige
Zeit ans die angenehmen Abendstunden Verzicht leisten, die ihr
die Besuche ihres Bräutigams verschafften. Er versprach ihr
jedoch, sich mit seiner Arbeit zu beeilen. Nichtsdestoweniger
klagte sic ihm, als er sich nach einigen Tagen auf eine Minute
bei ihr blicken ließ, ihre Langeweile mit so beredten Worten,
daß er ans Abhilfe bedacht sein mußte. Zum Glück fiel ihm
der Buchhalter seines Verlegers, Herr Ferdinand Müller ein,
ein recht charmanter junger Mann, der ihm wohl den Gefallen
erweisen würde, in den Abendstunden seinem Bräutchcn durch an-
genehme Plaudereien die Zeit zu verkürzen. Er täuschte sich in
seiner Voraussetzung nicht, und nachdem dieses Geschäft ab-
gcthnn war, konnte er sich desto eifriger der Arbeit hingebe».

Wie eine Schnecke ihre Fühlhörner einzieht und sich in
ihrem Gehäuse vor der Außenwelt verbirgt, also schlüpfte der
Linguist in seine stille Zelle zwischen seine theuern Bücher, ans die
ihm ebenfalls theure Braut gänzlich vergessend. Und cs ward
Morgen und cs ward Abend, der siebente Tag. Die Arbeit
war beendigt, — da gedachte Kaspar seiner Verlobten. „Taucht
unter, ihr Gedanken!" rief er sich aber erschrocken zu, „noch sind
ja die Correcturen zu besorgen!"

Und noch einige Mal ward cs wieder Morgen und Abend,
bis Kaspar endlich die letzten Buchcolumnen zur Hand nahm.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Linguist"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Stiefel
Schuhputzer
Banknote
Karikatur
Buch <Motiv>
Schreibtisch
Diebstahl <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
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Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 66.1877, Nr. 1645, S. 34
 
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