Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
122

Ein Traum.

Stadt!) kaum mochte er irgendwo in ein wunderlicheres und
seltsameres Gemach hineinblickcn, als das war, welches er im
zweiten Stockwerk eines großen winkligen Hauses auf der Sporer-
gasse fand. Es war ein schmales Gelaß mit gewölbter Decke;
die früher weißgctünchten Wände waren fast schwarz von Rauch,
Ruß und Staub. Und was stand und lag nicht Alles wirr
durcheinander in dem unwirthlichcn Raume! Um den kleinen
eisernen Ofen herum, auf dessen Rost ein Kohlenfeuer glühte,
standen und lagen Schalen, Retorten, Gläser und Mörser; der
Blasebalg lehnte an einem mächtigen Folianten, dessen zerlcsenc
Blätter von vielfachem Gebrauche zeugte»; auf der Platte des
Ofens stand im Marienbade ein seltsam geformtes Gefäß,
dessen Inhalt langsam abdampfen sollte, und drüben auf dem
Holzgerüste an der Wand waren die verschiedensten Dinge auf-
gestapelt : Bücher in schweinsledernem Einband, Büchsen, Gläser
mit sonderbarem Inhalt, Päcklein mit Kräutern und anderer
Kram; in der Ecke drüben am Boden gewahrte man Knochen,
Haare, Eierschalen, gehacktes Blei und tausend andere Dinge.
Mitten in dem staub- und rußbedeckten Chaos saß auf einem
Holzschemel vor der Gluth im Ofen ein Mann, der, über die
welken, abgegriffenen Seiten eines. Buches auf seinem Schooße
hinwegschanend, starr und hinträumend hineinblickte in die aus-
und abzuckenden Flammchen auf dem Roste.

Der einsame Mann, wie er zusammengefallen und ver-
kommen vor dem Ofen saß, paßte in all das verkommene Wesen
hinein, als wäre er eigens angefertigt für das wunderliche
Gemach. Die pelzgefütterte Schaube, in die er gehüllt war,
zeigte hie und da Brandlöcher und war innen und außen
unsäglich abgegriffen und abgetragen, ebenso die Pelzschuhe und
die Mütze, die, zur Seite geschoben, auf dem Haupte ruhte.
Wie fahl und grau war sein Antlitz! Es war, als hätte sich in
all die Furchen und Runzeln desselben der graue Staub gehäuft,
der hier den ganzen Raum erfüllte und rings auf allen Simsen
und Vorsprüngen der Wand lag; in den Mienen des einsamen
Mannes aber war ein seltsam Gemisch schlaffer Ermüdung und
unruhvoller Spannung; rastlos irre und doch wieder so matt,
blickten die Augen umher — es war der Blick eines Menschen,
der unablässig auf etwas wartet und harrt, das jeden Augen-
blick kommen soll und kommen kann, und doch niemals kommt.

Jetzt schaut er auf das Buch, las — wer mag sagen, zum
wie vielten Male — die aufgeschlagene Seite, schüttelte den Kopf,
fuhr mit der magern Hand, die Mütze noch weiter zur Seite
schiebend, wie in sorgenvollem Sinnen und Grübeln durch
die kurzgcschorencn Haare des Hauptes, dann stand er auf,
legte das aufgeschlagene Buch mitten in das Wirrsal der
seltsamen Dinge um ihn her, rührte mit einem Stübchen den
Inhalt des Gefäßes im Marienbade um und schaute gespannt
die halbflüssigc Masse von allen Seiten prüfend an.

So hatte das vorige und vorvorige Jahr den Mann ge-
sehen, anfangs noch kräftig, rasch und heftig in allen Bewegungen,
heftig in den Ausbrüchen des Aergcrs und Unmuthes, wenn
Arbeit, Mühe und Sorge vieler Wochen sich wiederum als eitel
und vergeblich erwies, nach und nach immer müder, immer
dumpfer, selbst in der Verzweiflung der immer wiederholten

Enttäuschung, aber bei aller Ermüdung doch unablässig rastlos
harrend und wartend auf das, was niemals kam.

Die Alchymie, die verworrene, mystische, wildträumende
Mutter der besonnenen nüchternen Tochter, welche mit dem
arabischen Geschlechtswort all den Wust planlosen, gehcimniß-
vollcn Wesens ihrer Mutter abgestreift, und nun, als Chemie,
mit ebenso klarem, durchdringendem Blicke dahinschrcitet, wie
ihre Mutter, das Haupt voll wüster, toller Träume, im Dunkeln
hintaumelte, war es, die hier den einsamen Mann einem ruhigen
Leben unter bescheidenen auskömmlichen Verhältnissen entfremdet
und ihn und die Seinen unsäglich elend gemacht hatte.

Möglichst viel Geld und Gut möglichst rasch zu erwerben ist
ein gar alt Begehren des menschlichen Herzens und bewegte die
Gcmüther unsrer Urahnen kaum minder, wie heute die der Urenkel,
und der schmerzliche Seufzer: „Nach Golde drängt, am Golde
hängt doch Alles! Ach wir Armen!" stieg aus gar manchem Herzen !
auf — viele Jahrhunderte, bevor ihm Göthe jene Worte lieh. Aber
der Weg zum Ziele raschen, unermeßlichen Erwerbs war in den
früheren Jahrhunderten freilich ein ganz anderer, als heutzutage.
Seit die nüchterne, verständige Tochter der traumtrunkenen Alchymie ;
der Mutter das Sceptcr aus der Hand gerissen, sitzt der nach
vielem und rasch erworbenem Golde Begierige nicht mehr grübelnd
über den dunklen Worten der verworrenen Schriften, welche die
hermetische Weisheit zu lehren versprechen, kauert nicht mehr
unablässig vor der Gluth des Schmelzofens und mischt tausend
wunderliche Dinge durcheinander; er studirt heut, statt des
Basilius Valentinus dunklen Räthselworten, den viel verständ-
licheren, wenn auch- ebenso unberechenbaren Courszettel, als den
einzigen zulässigen Wegweiser zur neueren Goldmacherkunst. In
jenen früheren Jahrhunderten aber, da cs noch keine Courszettel,
keine Differenzgeschäfte und sonstige Börsenspekulationen gab,
da Niemand an der Möglichkeit zweifelte, den „Lapis philoso-
pliorum" oder das „große Magisterium" herzustellen, so Einer
nur so glücklich war, die rechte Materie zu finden, war deren,
welche der wunderlichen geheimen Kunst zum Opfer fielen, eine
nicht geringe Menge, wie es ja auch heutzutage nicht fehlt an
Opfern der neuen Goldmacherkunst, und ist nur der Unterschied,
daß die neue Alchymie ihre Opfer meistens rasch, einem Schlag-
flusse gleich, verdirbt, während die Alchymisten der früheren
Jahrhunderte dahinsiechten, wie die Opfer einer rettungslosen
Zehrkrankheit.

An Wegweisern fehlte es denen, die rastlos nach dem
großen Elixir suchten, wahrlich nicht; in mächtigen Folianten
boten zahlreiche Philosophen (welchen Namen jene wunderlichen
Träumer sich zulegtcn) den Verlangenden ihre Weisheit dar.
Nur Schade, daß die herrliche Kunst zugleich eine hermetische
war, eine gcheimnißvolle, die nur in Räthselwortcn mitgetheilt
werden konnte. Es war Alles beschrieben bis aufs Kleinste;
nur die Materie selbst, von der Alles äbhing, sic nannte
keiner jener Weisen, da gab es nur wunderliche Andeutungen
in dunklen Räthseln und unverständlichen Worten. — Nichts
desto weniger brüteten und grübelten aber gar Viele über
jenen dunklen Worten, und, legten, rastlos sinnend, bald so,
bald so, die inhaltlosen Worte aus von der „prima materia,
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen