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Ein Traum.

„Aber, mein Gott!" fragte schüchtern Frau Günther,
„sieht es denn der Herr Doctor gar nicht ein?"

Die Kranke seufzte tief auf. „Er weiß nichts, er sicht
nichts! Er denkt nur an seine Arbeiten drüben!"

„Aber vielleicht . . . kann's ihm ja doch glücken . . . daß
er..." Frau Günther wußte nicht, mit welchem Ausdruck
sie das Gelingen der wunderlichen Arbeiten des Doctors be-
zeichnen sollte.

„Ja, es kann ihm glücken, er kann finden, was er sucht,
dann sind wir (er sagt's so) über alle Sorgen hinweg, reich
und gesund. Er meint, es müsse so kommen. Das ist cs ja,
was ihn tröstet, und womit er auch mich lange getröstet hat,
das läßt ihn ruhig Zusehen, wie Alles über uns zusammen-
bricht . . . aber . . . drei Jahre sind's .nun her, daß er sucht
und sucht, und wenn er es in der langen Zeit nicht gefunden
. . . jetzt sind unsre Tage gezählt. Wir haben nichts mehr.
Sie werden uns hinausweisen aus dem Hause, er muß von
seineni Ofen und uns bleibt nichts übrig, als zu verhungern!"
Tiefer sank nach schwerem Seufzer das Haupt der Müden
hinab auf die angstvoll bewegte Brust. Frau Günther aber
saß schweigend und blickte in sorgenvollem rathlosem Mitleiden
vor sich hin. „Sie hat uns, Frau Günther, nur in unserm
Elend und Unglück gesehen," begann die Kranke von neuem.
„Es war nicht immer so. Zwölf Jahre, zwölf glückliche Jahre
sind zuvor gewesen; es war eine Zeit, da war es schön, zu
leben, und ich meinte, es sollte immer so sein. Wenn er
Abends heimkam, und die Kinder waren um ihn her, wie er
da mit ihnen plauderte, mit ihnen spielte; man fühlte es, er
war froh, daheim zu sein! Ach Gott! Und nun wissen sie
kaum, daß sie einen Vater haben! Da kam es dann, ich weiß
selbst nicht wie. Es war so gefahrlos, so glückverheißend, wie
er sich drüben den Ofen bauen ließ. Er sagte mir lachend,
er wolle es auch einmal versuchen, ob er das große Geheimniß
nicht erfassen könne; es wäre ja schon so Manchem geglückt,
warum nicht auch ihm! Was Andere erst mühsam erlernen
müßten, habe er als Medicus schon- voraus. Damals redete
er noch mit mir von all den Dingen, und was dann, wenn
er es erlangt haben würde, für herrliche Zeilen kommen sollten.
Wir haben da mit einander von den Tagen geträumt, die dann
anfgehen würden. Ach, ich wußte und ahnte ja nicht, wie das !
enden würde! Nach und nach aber, da es immer nicht glücken
wollte, und er immer länger und länger drüben saß, er nicht
mehr zu uns herüber kam, und wenn Kranke nach ihm fragten
' oder schickten, er keine Zeit hatte, und ich sagen mußt', er
! wäre nicht daheim, bis endlich die Kranken wegblieben und
. Niemand mehr nach ihm fragte, und ihm's recht war, daß ihn
Niemand mehr störte in seinen Arbeiten . . . und endlich auch
j für uns keine Zeit mehr hatte und kein Auge, und einzig j
; und allein bei seinem Ofen drüben saß ... ach, da ward es
mir gar bang um's Herz, und ich merkte, daß ein schwer und
bös Unheil über uns heraufgezogen. Damals aber tröstete er
meine Angst und Sorge doch noch zuweilen durch ein kurzes
Wort und einen freundlichen Blick: „Es wird Alles gut,

; Margarethe, Hab' nur noch ein wenig Geduld!" Endlich aber

; war auch das vorbei, und nun ist nichts mehr in seiner Seele,
als das, was er da drüben macht; seine Kinder ... er weiß
nichts von ihnen! Ob ich mich abängstige, er merkt cs nicht;
wenn ich ihn bitte, beschwöre ... er hört es, aber er vernimmt
es nicht! O, Frau Günther," fuhr die Klagende fort, „es
liegt auf mir wie Bergeslast, ich bin müde, sterbensmüde!
Wenn ich sterben sollte, ehe ich mit meiner Schwester gesprochen
der Kinder wegen, dann, Frau Günther, gehe Sie zu ihr, sage
Sie es ihr, daß ich ihr die Kinder anvertrauen wollte, bitte
Sie in meinem Namen, sie möge für die Verwaisten sorgen,
wie ich es, ihre arme Mutter, nicht gekonnt! "

„Um Gotteswillen! wie kann die Frau Doctorn denn so
reden! Das klingt ja, als ob . . ."

„Ich weiß nicht," unterbrach die Kranke die erschrockene
Nachbarin, „vielleicht währt es noch lange, aber mir ist so
sterbensweh zu Muthe, als müßte es einmal aus sein, ganz
schnell! Ach!" fuhr sie klagend fort, „er war schon über Jahr
und Tag Allem fremd geworden, als wäre nichts auf weiter
Welt, als sein Ofen und all die Dinge; am Christabend aber
war er doch vorm Jahr bei uns und hat sich gefreut mit den
Kindern. Heuer aber... ich habe den Kindern allein den
Baum geputzt, und das Wenige darunter gelegt, was ich
noch kaufen konnte, habe sie hereingerufen, und wie sie so
standen unterm lichterhellen Baum, da hält' ich sterben mögen
vor Schmerz und Weh, und weinen . . . weinen, wenn die
Augen noch Thränen hätten, denn der Vater war — drüben!
„Ich kann nicht, habe keine Zeit; es ist ein wichtiger Augen-
blick!" hatte er gesagt, da ich ihn bat, doch den Abend bei
uns zu sein. Und wie hatte er es gesagt! Wie Einer,
der gar nicht weiß, daß er Kinder hat! Ach, er weiß kaum,
daß wir da sind! Ich habe Alles verloren; vor mir, vor uns
Allen steht Schmach, Armuth und Elend, und jede Stunde treibt
uns rasch dem Entsetzlichen näher. Er wird's nicht empfinden;
wenn ich nicht mehr da bin, und für meine Kinder wird es
besser sein, wenn ich nicht mehr lebe. Sollte ich da nicht
wünschen, daß nur bald Alles vorüber wäre?"

Frau Günther schüttelte bekümmert den Kopf; sie wußte
nicht, wie sie hier trösten sollte, und so saßen beide Frauen
stumm neben einander, verzagt und in rathlosem Mitleide».

Da trat Doctor Schaufler in's Zimmer ein. Die Kranke
schaute auf und hastig zu ihm herüber; eine leise Röthe über-
flog die bleichen Wangen, es war die thörichtc Erwartung der
Hoffnung, die nun einmal nie stirbt, als müsse ein freund-
licher besorgter Blick, ein Blick, wie sie ihn in früheren Jahren
gekannt, ihr entgegenkommen. Aber enttäuscht senkte sich das
erwartungsvolle Auge — das war der alte geistesabwesende, zer-
streute Blick, der alsbald wahrnehmen ließ, wie des Eintretenden
Gemüth mit nichts anderem beschäftigt war, als mit dem, das
da kommen sollte, und doch immer nicht kam. „Ich will ein
wenig in's Freie, es geht jetzt gerade!" sagte der Doctor; aber
das klang so geistesabwesend, wie das Reden eines Menschen
aus tiefem Traume heraus. Er trat zu dem Verschlag, in
welchem Pelzrock, Perrüke und das dreieckige Hütlein hingen,
um sich zum Ausgehen auzukleiden. Er hatte schon den Stock
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