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Ein Traum.

wird. Drei Jahre darnach sollte der Doctor, an dem jene
erste Versuchung spurlos vorübcrgegangen, einer zweiten unter-
liegen. Es war an sich eine ganz unbedeutende und gering-
fügige Veranlassung, welche den Keim zu Jahren unsäglicher
Zerrüttung und bitteren Leides in des Doctors Seele warf.

Er war eines Abends in die Trinkstube „zum güldenen
Löwen" eingetreten, wo eine Anzahl Bürger beim Biere über
des Tages Neuigkeiten und Ereignisse plauderten: vor allem !
Anderen beschäftigte zur Zeit die Gemüther der Tod und das
Testament eines Mannes, der zuvor ziemlich unbeachtet dahin-
gelebt hatte. Jochem Kunath, ein Mann, der einsam und
zurückgezogen, ohne Angehörige, in einem stattlichen Hause aus
der Brüdergasse gewohnt, war gestorben. Er hatte schon zu ;
Lebzeiten für einen nicht unvermögenden Mann gegolten; erst
jetzt aber, da in seinem letzten Willen alle Kirchen und milden
Stiftungen der Stadt mit ahnsehnlichen Schenkungen bedacht
waren, erfuhr man, daß der Verstorbene ein geradezu reicher
Mann gewesen sei. Niemand wußte Näheres über sein Herkommen
und woher sein großes Vermögen stamme, und wenn es schon
früher allgemein hieß, er sei ein Goldmacher, so war nun die
Ueberzeugung unumstößlich, daß der Hingeschiedene Alchymist ge-
wesen und den Stein der Weisen besessen habe. Man erging
sich in Vcrmuthungen, ob wohl noch etwas von dem großen
Magisterium unter seinem Nachlaß aufgefunden werden möchte,
und wem dann dasselbe zufallen würde. Von dem Alchymistcn
ging das Gespräch bald zu der Kunst selbst über, die er so
glücklich ausgeübt, und die plaudernde Gesellschaft redete hin und
her über diese verborgene herrliche Wissenschaft. Mehrere be-
dauerten, daß dieselbe so gar kostspielig zu betreiben, denn erst
müsse man die Bücher haben, die dazu Anleitung geben, und
die seien gar theuer; ein Laboratorium herzustellen koste auch
nicht wenig, und dann habe man es immer noch nicht an allen
fünf Fingern, und habe Mancher gar lange laborirt und sei
nicht zum Ziele gekommen; Anderen freilich sei es wieder ge-
glückt, und es wußten Alle von Dem oder Jenem zu erzählen,
der den Stein der Weisen gesunden haben solle, und wie dann
der Besitzer des großen Geheimnisses für all sein Leben ein
glücklicher Mann sei. Damals ging Doctor Schaufler in un-
ruhigen Gedanken aus dem Kreise der Plaudernden nach Hause.
Hatte er doch Alles, was die Anderen sich wünschten; jene
Bücher, welche die geheime Kunst lehrten, standen unbeachtet
und unbenützt daheim; Platz zu eincin Laboratorium war vor-
handen . . . Sollte er cs nicht einmal versuchen? War's nicht
ein Wink der gütigen Vorsehung, die ihn ohne sein Zuthun in
den Besitz jener vielbegchrten Bücher gesetzt? Ja, es wäre
geradezu Sünde, wollte er die Hand nicht ergreifen, die sich
ihm entgegenstrcckte- Wie würden dann all seine Verhältnisse
sich angenehmer gestalten, und wie ganz anders konnte er dann
für die Seinen sorgen!

Noch am selben Abend holte er die verstaubten, bei Seite
gestellten Bücher herbei. Er hatte sich in das unheilvolle Netz
verflogen, wie die Fliege in der lauernden Spinne Gewebe;
noch hing er nur lose darin, ein kräftiger Entschluß konnte ihn
frei machen, aber er wußte nicht, daß er gefangen sei, er

meinte — und noch lange Zeit darnach währte diese Täuschung
fort — er spiele mit jener Versuchung, und wußte nicht, daß sie,
siegesgewiß, mit ihm spiele; und langsam, unmerklich ninspann
ihn das Unheil mit feinen, aber unzerrcißlichen Fäden. Anfangs
stießen den eifrig Lesenden die unverständlichen, widerspruchs-
vollen Worte jener Schriften nicht wenig ab, — was sollte, was
konnte er damit beginnen? Doch „ein vollkommener Widerspruch
bleibt gleich geheimnißvoll für Kluge, wie für Thoren" und
„immer glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, es müsse
sich dabei doch auch was denken lassen." So währte es denn
nicht lange, bis der Doctor die Räthsel gelöst zu haben meinte,
die ihm aus dem Wust verworrener Worte entgegen schauten;
er meinte die Beschaffenheit der prima materia auf's bestimmteste
errathen zu haben. Run ward ein Ofen erbaut, das Digeriren,
Destilliren, Kochen und Schmelzen begann. Der erste Versuch
zeigte, wie der für ganz sicher gehaltene Weg ein Irrweg ge-
wesen , aber schon hatte sich ihm ein neues Verständniß aus-
gethan; jetzt war es gewiß das richtige. Und leise spann und
webte das Unheil immer fester, immer enger seine Fäden um
den Armen, und jedes neue Mißlingen machte ihn nur um
so begieriger; immer beharrlicher, immer länger saß er in dem
düsteren Laboratorium, unwillig ward jede Störung äbgewiesen;
was that es, daß mit versiegender ärztlicher Praxis Verarmung
und Mangel zu ihm eintraten, der nächste Augenblick konnte ja
Alles hunderttausendfältig einbringen; schon war nichts mehr
auf der Erde, was ihn noch berührte, außer seinen alchymistischcn
Arbeiten. Er starb Allem ab, nur dem zähen Warten und
Harren nicht auf das, was nächstens kommen konnte und mußte,
und doch niemals kam.

Der Doctor war von seinem Spaziergang bald wieder
zurückgekehrt. Es litt ihn längere Zeit nicht draußen, all sein
Begehren war nun einmal einzig dort in seinem Laboratorium.
Als er (tiefe Dämmerung lag bereits in den engen Gassen)
eben in sein Haus eintreten wollte, schlug eine schüchterne Stimme
an sein Ohr: „Ist Er der Herr Doctor Schaufler?"

Der Angeredete blickte, aus seinem Hinträumen aufgeschreckt,
nach der Stimme hin und gewahrte ein dürftig gekleidetes
Mädchen, das jene Frage wiederholte. Er nickte bejahend, und
das Mägdlein fuhr darauf schüchtern fort: „Will der Herr
Doctor nicht einmal zu meiner Mutter kommen? Wir wohnen
in der kleinen Fischergasse) die Mutter hat gestern einen Mann
in's Haus genommen, der ohne Herberge war, und über Nacht
ist der Mann krank geworden und redet nun wunderlich Zeug
durcheinander; die Mutter sagt, es wäre Fieber."

Mit einem verwunderten, fast bestürzten Lächeln vernahm
der Doctor diese Aufforderung; cs dünkte ihm sonderbar, daß
Jemand nach ihm verlange; er war dicß längst nicht mehr ge-
wohnt; auch zog es ihn mächtig nach seinem Laboratorium.
Als er aber eben das Kind abweisen wollte mit dem Bescheid:
er habe keine Zeit, bedachte er, wie die kleine Fischcrgassc ja
nicht weit, und die Entwicklung der Masse oben auf dem Ofen
sich noch nicht sogleich vollziehen dürfte, wie er also den Besuch
schon unternehmen könne. Daß derselbe kein einträglicher sein
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