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Ein Traum.

Weibes, — jetzt fühlte er es heiß und verzehrend — sein
Herz hing an ihr mit der brennenden unsäglichen Liebe einer
fruchtlosen vergeblichen Reue. Es war kein leiser Funken der
Hoffnung in seiner verzagenden Seele... das tvar der Tod!
... sic sollte ihm entrissen werden — und er hatte sic ge-
mordet in seiner Blindheit — sie sollte dahin scheiden, ohne
von seinen Lippen ein Wort der Reue, der früheren Liebe ver-
nommen zu haben. Sic starb, der entsetzliche Traum hatte es
ihm zu deutlich vorausgesagt! Er rang die Hände in qual-
voller Verzweiflung. „Ich mache dich ganz elend!" so klang
es durch seine Seele, und das Traumgespenst hatte wahr ge-
sprochen. Was hätte er nicht alles darum gegeben, hätte er
das entfliehende Leben zurückhalten können nur so lange noch,

! um der Sterbenden noch einmal seine Liebe, seine Reue zeigen,
um nur noch einmal einen freundlichen vergebenden Blick von
ihr zu empfangen.

Jetzt tönten durch die qualvolle Stille der Nacht die
Glockenschlägc drüben vom Thurmc her. Das Jahr war vor-
über, und ein neues war angebrochen. Jetzt verstummte in den
lichtstrahlenden Tanzsülen die Ballmusik, und die Tänzer wünsch-
ten sich ein glücklich Neujahr; die Masken auf den Straßen
riefen sich ein solches zu, und in allen Häusern, wo die Neu-
| jahrsgüste in munterer Gesellschaft vereinigt waren, wünschten
sich diese gegenseitig ein fröhlich Neujahr. Und hier in dem
stummen Schlafgemach war das neue Jahr cingezogen mit un-
säglichem Weh, mit eitler Reue und Verzweiflung. Da . . .
ein tiefer Seufzer geht durch die Stille, der Doctor horcht auf,
ein zweiter, tiefer Athemzug folgt, und der in Angst und Hoff- >
nung Bebende lauscht, über der Gattin Lager gebeugt, den l
immer kräftiger werdenden Athemzügen; er ergreift zitternd die '

Hand der schon verloren Geglaubten; kräftiger schlügt der Puls,
tiefer geht der ruhige Athcm der Kranken. Sie schlägt die
Augen ans und schaut umher. Aber ihr erstes Wort ist eine
schmerzliche Klage: „Noch nicht zu Ende? o Gott!" „Mar-

garethe !". flüsterte mit ersticktem Schluchzen der Doctor, „Du
lebst? O lebe, lebe! gehe nicht von mir, verlaß mich nicht!
Ich will Dich hüten, will Dich schützen und wachen über Dir . . .
ich will . . . will Alles thun, daß Du wieder froh wirst und
glücklich. . . nur bleibe bei mir und bei Deinen Kindern!"
Da zog über das blasse Antlitz der lichte Schimmer eines frohen
Erstaunens, und ein freudiges Hoffen blickte aus den müden
Augen. „Bist Du wieder mein?" flüsterte sie, „denkst Du
wieder an mich, an die Kinder? willst Du.... "

„Ja, Margarethe, ich will fürderhin an nichts denken, als
an Euch, will für Euch leben und will nichts — bei Gott! —
nichts mehr zu thun haben mit all Dem da drüben, das uns
Alle so unglücklich gemacht; ich will rastlos mich mühen und
nicht ruhen, bis cs wieder wird, wie cs einst gewesen. Nur
bleibe Du bei uns und gehe nicht hinweg!" Und nun stand
der Doctor herabgeneigt über das Bett und Beide flüsterten,
und es war Freude in ihrer Seele, und all' seine Worte
waren Worte der Reue und der Liebe und der Versicherung
besserer Tage, und des neuen Jahres erste Minuten waren für
Beide eines innigen Glückes voll.

Es war aber der Starrkrampf der Kranken nur eine jener
seltsamen ängstigenden, aber vorübergehenden Erscheinungen eines
gestörten Nervcnlebens gewesen, die den Unerfahrenen mit Schrecken
erfüllen. Des Doktors kundiger Blick würde, hätte ihn der furcht-
bare Traum nicht verstört, den Zustand wohl erkannt haben.

Noch eine Weile flüsterten die Glücklichen miteinander, dann
schlief sie sanft und ruhig ein, und die stillen tiefen Athenizüge
ließen gewahren, wie ein gesunder milder Schlummer die Er-
schöpfte kräftigte und stärkte. Leise schritt der Doctor auf und
nieder in dem stillen Gemach, und all' sein Athmen war ein
inbrünstig wortlos Dankgebet, und unaufhaltsam raunen Thräncn
der Freude aus seinen Augen.

Noch lag tiefe Nacht ans der schlafenden Erde, und die
Dämmerung des ersten Tages des Jahres war noch fern, als
Frau Günther leisen Schrittes in das Schlafgcmach eintrat.

„Sie lebt . . . und ich hoffe, sic wird leben!" flüsterte ihr
der Doctor zu, „da, sch'n Sic, wie sic ruhig schläft. Gott
sei Dank! Es ist aus mit all' den Dingen da drüben," fiel
der Doctor ein, „ich werde ein Anderer werden!"

Als der Tag angebrochen, als der Vater den erwachten
Kindern mit freudigem Blicke zugerufen, die Mutter lebe und
werde leben, als er sie, die verwundert in des Vaters An-
gesicht schauten, das so ganz anders war, wie all' die Tage
zuvor, innig an sein Herz gedrückt hatte, empfahl er der ge-
treuen Nachbarin die noch immer ruhig Schlummernde und ging
hinüber in das düstere, staubbedeckte Gemach, wo all' die wun-
derlichen Dinge umherlagcn. Er konnte es nun freilich nicht
unterlassen, noch einmal das Gemisch priifend zu beschauen, ans
l das er so große Hoffnungen gesetzt. Die Kohlen im Ofen
I waren verglüht, die Masse im Glase aber war unverändert
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Ein Traum"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Reue
Hilflosigkeit
Patientin
Krankenbett
Unheilbarkeit
Ehefrau <Motiv>
Karikatur
Arzt <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 66.1877, Nr. 1661, S. 162
 
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