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Wie es einem ehrliche

„aber wir könnten leicht etwas schreiben, was nicht recht
wäre, und dann wäre gar der Teufel los!"

„Geh doch, Schwager," rief Anna, „du wirst mir's
Schreiben lernen! Hab' ich nicht immer in der Schule die
schönsten und besten Briefe geschrieben?"

„Nun denn in Gottes Namen!" rief Georg, „wegen
eines kleinen höflichen Briefes kann er mir auch nicht den
Kopf abreißen!"

Nach vielen Entwürfen, Verbesserungen und Vorschlägen
kam endlich folgendes Schreiben zu Stande.

Gnädiger Herr Richter!

Sie wollen mich vierundzwanzig Stunden lang einsperren.
Allein ich bin ganz unschuldig; der Beschluß ist also ungerecht
und falsch. Daß die Regierung ihn bestätigt hat, daran sind
Sie alleinig Schuld, weil Sie nicht alle Zeugen, z. B. meinen
Vater und meinen Bruder vernommen haben. Wenn Sie
wüßten, wie die Strafe meinem Vater zu Herzen geht, so
würden Sie mich nicht einsperren. Denn unser guter Name
geht dadurch verloren. Sperren Sie mich also nicht ein, oder
j doch nicht so lange, denn ich kann ja während der Zeit nichts
; verdienen. Biele Grüße von meinem Vater und Bruder.

Georg Maier, Maurergeselle.

Wir haben im Eingänge von Maria, der Doppelwaise und
Freundin Anna's gesprochen. Sie war aber noch mehr, sie
war immer der tröstende und beruhigende Genius der Familie,
und für allen Schmerz hatte ihr sanftes liebevolles Gemüth
ein erheiterndes Wort. Georg liebte sie längst im Stillen,
und auf der Hochzeit seines Bruders hatte er sich fest vorge-
nommen, ihr seine Neigung zu gestehen. Da störte die unselige
Rauferei den weiteren Fortgang des fröhlichen Festes und Georg
mußte seine Erklärung bis auf günstigere Zeit verschieben.

Maria hatte kaum von der Absicht der Beiden vernommen,
als sie sich auch erbot, den Brief selbst aufs Aint zu tragen,
und sie entfernte sich nach kurzem Aufenthalte eilig, um keine
Zeit zu verlieren, da es schon gegen Abend ging.

IV.

Sechs Tage waren vorüber, seitdem die Regierungs-Ent-
schließung Georg bekannt gemacht worden war. Vor Ablauf
des achten Tages stellte sich Georg auf dem Amte.

Bei seinem Eintritt empfing ihn sogleich der Richter:
„So bist du da, du impertinenter Kerl? — Wie kannst du
dich unterstehen, mir einen so impertinenten Brief zu schreiben?
— Wart — dich will ich mores lehren! — Eigentlich sollte
ich dir dafür den Buckel vollhauen lassen, aber —"

„Der Brief ist nicht impertinent und enthält blos die
reine Wahrheit. Ich werde unschuldig gestraft," entgegnete
Georg mit niedergeschlagenen Augen.

„Tu bleibst also dabei?" frug ihn lauernd der Richter.

„Ja, der Beschluß ist ungerecht!" wiederholte Georg.

Der Richter ging, ohne etwas zu erwidern, einige Mal
im Zimmer aus und nieder und diktirte dann folgendes Protokoll:
„Nachdem Georg Maier zur Erstehung seiner Strafe vor
! Amt erschienen, stellte man ihn wegen seines impertinenten,

n Manne gehen kann!

zwei Tage vorher dem verurtheilenden Commissär überschick-
ten Briefes zu Rede. Da er nun den Inhalt desselben
wiederholte und dem Commissär Ungerechtigkeit rc. vorwarf,
Letzterer sich solche Ausdrücke in Beisein eines zahlreichen
Publikums aber nicht gefallen lassen kann, so geht vorliegendes
Protokoll an den Gerichtsvorstand zur weiteren Verfügung."

Georg wurde nun zu dem Gerichtsvorstand geführt, welcher
nach Durchlesung des Protokolles ihn vor der Hand zur Er-
stehung der ausgesprochenen Strafe in Arrest bringen ließ.

Nach Ablauf einer Stunde holte ihn der Gerichtsdiener
ab, und führte ihn über den Hof in die Holzlege, wo ein
Herr mit silbernen Augengläsern ihn erwartete, und bedeutete,
sich zu entkleiden.

Auf Georgs Frage, warum, brüllte der Gerichtsdiener:
„Herunter mit dem Rock!" und riß ihn am Aermel.

„Zieh dich nur ganz ans," sprach mit sanfter Stimme der
Gerichtsarzt, „ich muß dich untersuchen. Fehlt dir etwas?"

„Ich war nie krank," erwiderte Georg, der auf des Arztes
freundliche Worte sich entkleidete, worauf dieser sich schnell
entfernte. Auf das Geheiß des Gerichtsdieners zog sich
Georg wieder an und wurde in sein Gefängniß zurückgebracht.

Kaum hatte er hier eine halbe Stunde lang über den
sonderbaren Vorfall nachgedacht, als der Gerichtsdiener ihn
wieder in das Zimmer des Vorstandes führte, welcher ihm
Folgendes verkündete:

„Wegen deines ungebührlichen Benehmens vor Gericht
wirst du nach eingeholtem Parere des Herrn Gerichtsarztes
mit sechs Ruthenhieben bestraft."

„Ich soll Schläge bekommen?" schrie Georg entsetzt —
„was habe ich gethan? Ich bin unschuldig! — Ich lasse mich
nicht schlagen! — Welche Schande!" schluchzte er in heiße
Thränen ausbrechend und sein Gesicht mit den Händen verhüllend.

„Marsch mit ihm!« gebot der Vorstand.

„Ich bitte Sie um Gotteswillen!" rief Georg, ihm zu
Füßen fallend, „nur die Schande thun Sie mir nicht an!
— O mein unglücklicher Vater!" Der Vorstand wandte sich
ab, der Büttel packte den Armen am Kragen und führte ihn
wieder in die Holzlege, wohin der Aktuar folgte und ihm
* seinen Rücken zu entblößen befahl.

Georg legte mit der Resignation der Verztveiflung
seine Oberkleider ab, ließ sich ruhig mittelst Riemen auf eine
Bank binden und der Büttel gab ihm den ersten Hieb.

Georg blutete, aber er schwieg. Tiefaufathmend bei
jedem Hiebe setzte er Verachtung der Grausamkeit, Kraft der
Rohheit entgegen!

Zornglühend im Innern — todtenbleich auf dem Gesichte
kehrte er in seine Keuche zurück. Oben lächelte zuftieden der
Commissär über die glückliche Ehrenrettung — unter ihm
im dunklen Gewölbe stierte Georg vor sich hin! — Wußte
er wohl, daß Thräne auf Thräne nieder zum feuchtkalten
Steinboden fiel? Gewiß nicht — die Welt außer ihm ver-
schwand vor dem entsetzlichen Zustande seines Innern!

So saß er unbeweglich, die Augen, rothunterlaufen, auf
eine Stelle geheftet. — Es ward Nacht — er bemerkte es
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