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Der Wildschütz.

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: dieser hier verborgen hielt. Verlegen schlug der starke schöne
Mann die Augen nieder, und den Stutzen bei Seite legend,
ergriff sein Weib seine Hände, blickte ihn traurig an, und sagte:
.Martin, du wirst uns noch recht unglücklich machen!'

.Ei, Herzensweib, du hast umsonst Bange!' lachte der
Wildschütz. Grubenmartin läßt sich nicht so mir nichts

dir nichts fangen.'

^ver Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht,'
sprach warnend das geängstigtc Weib, ^ch 6itt’ dich bei un-
serer lieben Frau: bleib zHauS; mir geht ein Unglück vor!'

.Alberne Faren,' lachte der Mann, gab ihr einen derben
Kuß und wollte gehen. In ungewöhnlicher Angst hielt fie ihn
zurück. .Hast du'S schon vergessen,' sprach fie, .waS dir der
Jagdgehilf durch unsern kleinen Zacke! sagen ließ, den der
Jägerfritz — so hieß man den ältesten Sohn deS Jägers —
verwichenen AbendS so erbärmlich schlug, als er mit dem
Kräuterbündel an seinem Hause vorüberging?'

.Er soll meinen Buben auch nicht umsonst geschlagen ha-
ben,' brummte der Wildschütz in den Bart, .und komm ich mit
ihm im WirthShauS z'sammen, so gib ich dem Grobian die
Ohrfeigen doppelt zurück. WaS der Gehülf mir wissen ließ,
lächert mich! denn wenn Jeder eine Büchs' in der Hand hat,
so kommt's d'rauf an, wer Herr wird. Schweig mir von dem
Großmaul!'

.Man sagt chm aber nach, er Hab' schon Manchen nieder-
g'schoffen.'

^vesto schlimmer für ihn,' meinte Martin, .denn die Leut'
nehmen alle ein schlechtes End. Wenn ich ihn hätt' todt-
schießen wollen, so hätt' ich ihm's oft schon thun können;
denn wir waren nicht selten gar nah bei einander. Doch da-
vor bewahr mich der liebe Gott!'

Die junge Mutter nahm nun alle Ucberredungskraft zu-
sammen, und stellte ihrem Manne vor, wie leicht er, angegriffen,
zum Mörder werden könnte. Auch entwarf fie ein lebendiges
Bild von ihrer Derzweistung und von dem Schmerze ihrer
Kinder, wenn er ein Mal zwischen Berg und Walv den Tov
fände. Mit Thränen in den Augen führte fie ihn an die
Wiege des Säuglings, und beschwor ihn, wenigstens nur heute
zu Hause zu bleiben, well fie eine namenlose Angst empfinde
und es chr so schwer wie Alpdruck auf dem Herzen laste.

So vieler Anhänglichkeit und Liebe konnte Martin nicht
widerstehen. Gerührt schloß er sein geliebtes Weib in die
Arme, küßte den Säugling, der eben im Schlare weinerlich
den Mund verzog, und versprach, wenn auch nicht immer, doch
für heute zu Hause zu bleiben. Bewegt öffnete er dann ein
Fenster, ließ fich aus einen Stuhl nieder und schaute hinaus
in die Mondnacht.

Auf dem Bette fitzend betrachtete chn seine Hausfrau; ihre
Hände waren im Schooßc gefaltet; fie betete leise, Gott der
Herr möge die gefährliche Leidenschaft in dem sonst so redlichen
Gemüthe chres ManneS ersticken.

Sterne und Mond wurden immer bleicher; in ruckweisen
Stößen dämmerte der Morgen herein, und über dem Walde
und den Alpenmatten stieg der Höhenrauch auf, der fich wäh-

rend eines heißen und trockenen Sommers oft, und besonders
im Gebirge zeigt.

Leidenschaftlich blickte Martin durch das Fenster, in die
erwachende Natur, wo fich allmählig mit der leisen Dämmerung
des Morgens das Leben zu regen begann. Triangelartig strichen
hoch in der Luft Wildenten vorüber. Martin verfolgte fie mit
dem geübten Auge, und kaum waren fie in der Ferne ver-
schwunden, so zogen zwei Reiher durch Morgendämmerung und
Mondschein nach einem, theilweise mit Schilf bewachsenen,
unfernen See hin.

Martins Augen wurden immer glänzender; von Begierde
zitternd, lauschte er dem Hellen Wachrelschlag und dem ein-
tönigen Ruf des Kukuk; als aber jetzt das Schallen eines
Rehbockes vom nahen Waldsaume her, gar laut und vernehm-
lich zu seinem Gehöre drang, so hielt er cs nicht länger aus.
So rasch wie Tell, als er aus den empörten Fluthen des Vier-
waldstädter-SeeS nach seinem Schießzeug griff und dem Zwing-
herrn Geßler entsprang, faßte auch Martin jetzt seinen Stutzen,
und stürzte zur Thüre hinaus, rufend: .ich kann nicht anders!'

„Martin! Martin! — O heilige Mutter Gottes, er hört
mich nicht!' rief ihm das Weib nach. Der Angstschrei, den
fie ausstieß, war so laut, daß der Säugling in der Wiege und
die Kinder, die in der Nebenkammer schliefen, erwachten. Die
kleinern weinten, Jakob ater eilte mit dem ältern Schwester-
chen in die Stube; fie liefen zu der Mutter hin, die an dem
geöffneten Fenster stand und hinab zum Mühlbach blickte, wo
zwischen schwankenden Silberweiden ihr Mann durch die Büsche
und durch das thaubefeuchtete Gras dem Walde zulief.

„Der Himmel ist voll Blut!' ries die geängstigte Mutter
unter einem heimlichen Grauen, über die östlichen Berge hin-
blickend, über die fich allgemach eine Purpurröthe ergoß, die
den nicht mehr fernen Aufgang der Sonne verkündete. Sie
faltete die Hände und betete mit ihren Kindern.

II.

Bergadler, Mäusegeier und Falken trieben hoch in den
Lüften, in Schwindelhöhen weite Kreise ziehend. Das Eichen-
buschwerk und die hochragenden finstern Tannen schienen fich
von einem Hintergründe von Rothkupfer abzuheben, indem die
eben ausgehende Sonne mit einem glühenden Widerscheine die
Berge und Wälder umgürtete.

Ties im Forste befand fich eine kleine von vielen grauen
und bemoosten Felsenblöcken durchsäte Lichtung, welche unter
einer unentwirrbaren Verrankung von Weiden, Ginster, Brom-
beersträuchen und wildem Geisblatt beinahe völlig versteckt war.
Das tiefe feierliche Schweigen wurde von den sehr fernen
Klängen eines Hornes unterbrochen, das ein munterer Postil-
lon auf der Landstraße blies.

Da knallte plötzlich ein Schuß, von Berg zu Berg wieder-
hallend, und etwa zehn Minuten darauf eilten der Jägerfritz
und der Gehülfe über die Lichtung. Beide hielten das gespannte
Gewehr in der Hand; plötzlich blieben fie stehen, wechselten
leise einige Worte und verschwanden dann in verschiedenen
Richtungen in den Büschen.
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