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Kurirt per Post.

Mehr denn drei Wochen waren seit jener Unterredung
vergangen und ich hatte dieselbe längst vergessen, als ich auf
der Expedition des Blattes zufällig Wenzel traf, welcher daselbst
die Theateranzeige abgab.

Als er mir seinen Gruß darbrachte, machte er ein so
trübseliges Gesicht und sprach in so kläglichem Ton, daß ich
ihn unwillkürlich näher betrachtete. Sein Aussehen war merk-
würdig verändert. Die weinrothe Farbe seines Gesichtes war
abgebleicht, die dicken Backen schlotterten förmlich und »in die
Augen lagen tiefe Ringe.

„Sind Sie krank, Wenzel?" fragte ich.

„Krank — nein — ja — weiß nicht", antwortete er.

Das Benehmen des Alten war so komisch, daß ich die
Thüre zur Redaktion öffnete und ihm zurief: „Kommen Sie
mal 'rein Wenzel, Sie haben was auf dem Herzen. Hat der
Direktor vielleicht wieder gehörig gewettert? Wie?"

Dabei machte ich, als wir allein waren, die Bewegung
des Trinkens.

„Nein, ach nein, Herr!" erwiderte er fast ängstlich, „nix
trinken mehr!"

„Wenzel —" rief ich, mit dem Finger drohend.

„Nein, nein, Herr! Gott weiß, seit acht Tagen kein'
Tropfen — kann Wein nicht mehr ansehen —".

„Desto besser," sagte ich erstaunt, „gratulire herzlich, Wenzel."

„O nix gratuliren," seufzte er, mit beiden Händen ab-
wehrend; „bin elender, geschlagener Mensch. Guter Ruf von
Wenzeslaus Dorostik ist für immer hin — alle Welt weiß,
daß er Säufer."

„Unsinn", sprach ich lachend, „wie kommen Sie denn
aus diese verrückte Idee?"

„Nix Idee — nix verrückt!" sprach er, „wollen Herr
Doktor selber sehen."

Dabei griff er in seine Seitentasche, holte aus der Tiefe
derselben ein Packet Briefe und legte dasselbe vor mich auf den
Tisch, mit einer Jammermiene darauf deutend.

Ich löste die Schnur, es waren etwa 20 Briefe, alle an
Herrn Primislaw Wenzeslaus Dorostik, Theaterdiener, Mainz,
gerichtet.

„Alle Wetter", rief ich, als ich flüchtig die Poststempel
und Freimarken überflogen hatte, „Sic haben ja eine weit-
ausgebreitete Correspoudenz. Cöln — Aachen — Düsseldorf
— Berlin — Mannheim — Stuttgart — München —
Wien — Paris — Aschaffenburg — London, ei, ei!"

„Schrecklich! schrecklich!" stöhnte Wenzel.

„Na, da bin ich doch gespannt", fuhr ich fort und öffnete
den ersten Brief.

Was war das? Ich starrte den Inhalt eine Weile an,
plötzlich ging mir ein Licht auf und im Geiste lachte mir das
fröhliche Spitzbubengesicht Heinrich Hackers entgegen.

Ich durchflog die Briefe einen nach dem andern und
Alles wurde mir klar. Der Inhalt war stets derselbe, eine
aus einer Zeitung geschnittene und auf den Briefbogen ge-
klebte Anzeige:

— UiirnlgMiche Mur der Trunksucht! —

Alle mit diesem Laster behafteten werden un-
entgeltlich durch eine rationelle Methode kurirt.

Man lege seine Wünsche vertrauensvoll unter
der Chiffre vr. I. kl. 100 bei der Expedition des
Blattes nieder.

NH. Die Kur findet mit oder ohne Wissen des Bc-
trefiendcn finit.

ffaufeiufc non Kliellm liegen nor.

Darunter stand, stets von anderer Hand geschrieben:
„Wünschen Sie mit oder ohne Ihr Wissen von
Ihrer Trunksucht geheilt zu werden?"

Ich mußte die Zähne nicht schlecht zusammcnbeißcn, um
nicht in ein Gelächter loszuplatzen.

Wenzel aber fragte im kläglichsten Tone: „Was sagen
der Herr Doktor dazu? Seit drei Wochen jeden Tag Brief
— es ist entsetzlich! Ganze Welt weiß, daß Wenzeslaus,
armer Teufel, zuweilen bissel getrunken."

„Dagegen gibt es nur ein Mittel, Wenzel," antwortete
ich so ernsthaft, wie möglich, „gar nicht mehr trinken. Wenn
Jedermann sieht, daß Sic stets nüchtern und zuverlässig sind,
so wird es keinen: Menschen mehr einfallen. Sie für einen
Säufer zu halten und Ihnen derlei Kuranerbieten zu machen."

„Hab' ich auch gleich gedacht, lieber Herr Doktor," rief
Wenzel eifrig, „habe seit acht Tagen ganz aufgehört mit Trinken!
O, füllt mir wohl bissel sehr schwer, aber bei großer Gott,
nicht einen Schluck mehr! Sollen sehen, Wenzel hält Wort,
hat festen Kopf! Aber, nix plaudern, guter Herr Doktor, nix
plaudern!"

„Schweigen wie das Grab!" rief ich pathetisch, und sicht-
lich erleichtert entfernte sich Primislaw Wenzeslaus Dorostik.

„Sehen Sie, daß meine Kur angeschlagen hat!" sprach
lachend Hacker, als ich ihm eine Stunde später das Resultat
seiner genialen Idee mittheilte. „Nicht wahr, ich habe meine
zahlreichen, auswärtigen Bekanntschaften gut verwcrthet? Aber
'er hat seine Briefe noch nicht alle. Es muß noch einer aus
Amerika, einer vom Cap der guten Hoffnung und einer aus
China eintreffen, wenn mein langer Freund Hansen noch in
Pecking residirt."

Und die Briefe kamen wirklich, wenn auch verspätet an,
und Wenzel trank in der That nicht mehr. Er hatte auch
hier seinen energischen Böhmakcnkopf bewährt, wie einst beim
Posaunenstudium im Kartoffclkeller.

Heinrich Hackers Patient ist nun zwar hinüber, allein, da
es noch viele an diesem Uebel leidende Menschenkinder gibt, so
empfehlen wir bestens diese Bereicherung der Wissenschaft durch
die Kur — nicht auf allopathischem und homöopathischem —
aber dafür auf postalischem Wege.
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