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154

Meister Nikels böte Taae.

gehe jetzt noch einmal und schaue aus- ob der Meister Nikel >
auf dem Wege ist. Und wenn er aus dem Hause ist, dann !
geht Ihr einmal in das Haus hinein!"

„Nein, nein! Das ist zu gefährlich!"

„Ei, nicht doch! Ihr braucht ja nur einmal durch's Haus
zu gehen. Das Haus kennt Ihr ja — es ist drinnen noch Alles
so, wie vor Jahren! Redet Euch Jemand an, so schüttelt Ihr
nur den Kopf und sagt kurz: „Jetzt nicht! Hab' keine Zeit!"

's ist nur, daß sie Euch im Hause sehen, und wenn dann
der Meister heimkommt — da kann es eine schöne Verwirrung
geben. Und denkt doch, vielleicht könnt Ihr dabei Euer Kind,
die Regine, sehen!"

Mit diesen Worten eilte Goswin hinweg, kam aber bald
zurück und rief: „Jetzt ist er fort! Kommt! Ihr könnt es ruhig
wagen! So, nun versucht's nur!" rief der Rathsschreiber.

Sorge und Furcht hielten Baltin zurück, während das
Verlangen, die alten Räume des Vaterhauses wiederzusehen,
ihn vorwärts trieb. — Da stand es vor ihm, das alte
Haus, in dem er herangewachsen und — — — er trat
in die Hausflur ein. Alles, Alles noch wie ehemals: rechts
die Thüre zur Wohnstube; hier hatte er als Kind gespielt,
hier eine kurze Zeit als Hausherr geschaltet, von hier war er
geschieden nach hastigem Abschied von seinem bestürzten Weibe,
das er niemals Wiedersehen sollte; hier war ihm ein Kind ge-
boren worden, das er noch nie gesehen. „Mag's kommen,
wie es will!" murmelte er vor sich hin, „die alte Stube muß
ich sehen!" Er öffnete die Thüre. Da lag sie vor ihm, un-
verändert, die ganze Vergangenheit wehte ihm wehmuthsvoll
entgegen. Die Stube war leer — — — doch nein, da
drüben in der Ecke, hinter dem Rocken, saß ein Mägdlein — sie
spann nicht; den Arm auf das übergeschlagene Knie und den
Kopf in die Hand gestützt, saß sie in tiefem Hinsinnen — müssig
hing die Spindel herab.

Das- Mädchen hatte aufgeblickt bei seinem Eintritt — er
hatte in verweinte Augen geschaut; ruhig stützte die offenbar
Bekümmerte den Kopf wieder in die Hand, sie mußte keinen
Fremden in ihm erblicken. War das vielleicht sein Kind, die
Regine? Leise, mit unsicherer Stimme fragte er: „Was weinst
Du denn?"

„Nun, sollt' ich nicht weinen, Ohm? Habt Ihr ver-
gessen, wie Ihr mich soeben gescholten; daß Ihr mich unglück-
tich machen wollt für's ganze Leben mit dem Höhne — und
auch meinen armen Vater habt Ihr geschmäht uub gescholten!" i

Die Klagende hatte ihn Ohm genannt; das holdselige j

Mägdlein war also wirklich sein nie gesehenes Kind! und un- 1

glücklich wollte der Bruder dasselbe machen! Dazu hatte er

obendrein schlecht und verächtlich von ihm gesprochen — ein
heftiger Zorn stieg in seiner Brust auf. „Regine", begann er,
alle Zurückhaltung vergessend, „über Deinen Vater hat er . . .
habe ich . . . was hat er . . . was habe ich denn von ihm
gesagt?" — „Soll ich's etwa gar selbst wiederholen?" er-
widerte grollend die Weinende.

„Regine, armes, armes Kind!" fuhr Valtin fort. „Sei
ruhig, den Höhne nimmst Du nicht! und wenn er . . . wenn

ich wieder einmal über Deinen Vater rede . . . Siehst Du, !
Regine, Dein Vater war freilich ein thörichter Mensch! Beim ^
heiligen Andreas! das war er, und seine größte Thorheit war, j;
daß er seinem Bruder vertraute, der ihn mit schnöder Hinter-
list und bösen Ränken von Haus und Hof und Weib und !
Kind in die weite Welt hinausgetrieben hat! Merk' Dtr's,
Regine, wenn er . . . wenn ich wieder anfange von dem i
Höhne, da sage Du nur: Ohm, Ihr habt meinen Vater um j
Alles gebracht, um Heimath, Frau und Kind, habt ihn zum
Bettler und Landstreicher gemacht — wollt Ihr auch sein Kind,
wollt Ihr auch mich unglücklich machen? Das sag' ihm, —
ja das sag' ihm, Rcgine!"

Das Mägdlein war aufgesprungen; in sprachlosem Staunen
starrte es den Oheim an, der so wunderliche Worte redete.
Da überkam Valtin das Bewußtsein, wie er sich hatte hin-
rcißen lassen zu Worten, die für seine gegenivärtige Rolle
durchaus nicht paßten. Das mußte ihn ja vcrrathen! — Er
eilte auf die Thüre zu, er stieß sie auf und fühlte, wie er
dabei Jemand, der draußen stand, heftig zurückschob; er sah
mit einem hastigen Seitenblick irgend Jemand zurücktaumeln,
und hörte hinter sich eine gellende, keifende Stimme: „Mann, !
reitet Dich denn der leibhaftige Satan! Was ist denn das
für. . . " Aber schon war er aus dem Hause; mit hastigen
Schritten jagte er davon, und die keifende Stimme hinter ihm
verhallte. Athemlos kam er zu dem wartenden Rathsschreiber
zurück. — „Nun," fragte dieser, „wie war es? Wie ist es
gegangen?" Valtin schüttelte keuchend den Kopf. „Ich Hab'
mich ... es ist aus ... Ich Hab' mich vcrrathen!" „Dummes
Zeug!" rief Jener erschrocken, „wieso denn? Sind sie hinter II
Euch her?" — „Ich glaube nicht, aber..." — „Nur jetzt
fort! Geschwind, nach Hause!" Beide eilten durch dunkle,
einsame Seitengäßlein dem Hause zu, in welchem der Raths-
schreiber wohnte. Sie erreichten ungehindert und ungesehen !
dessen Wohnung. Jetzt mußte Valtin erzählen.

„Ei, ist das Alles!" rief erleichtert der besorgte Goswin. !
„Das ist nichts! das ist vielmehr vortrefflich! Ja wahrhaftig,"
fuhr er nach kurzem Ueberlegen vergnügt auf und schwang sieges- I
froh die Hand, „da habt Ihr mich auf einen Gedanken ge-
bracht . . . ! Morgen geh' ich zu Meister Nikel und schaue,
wie es bei ihm aussieht, ob es ihm nicht Angst und Sorge
gemacht, daß ein Gespenst seiner eigenen Person in der Stadt
herumgeht, und dann, wenn's so ist — und es muß so sein
— dann, Valtin, dann noch einmal, das letzte Mal. . . und
das soll uns rasch zum Ziele bringen! So, für heute ist's
genug." fuhr er in lustigem Uebermuth fort, „jetzt wollen wir
ausruh'n und uns etwas zu Gute kommen lassen, einen tüchtigen

Trunk ans das glückliche Gelingen meines Planes!"

* *

4-

Meister Nikel brach an dem Abend geraume Zeit vor der J
Bierglockc und um vieles früher als gewöhnlich auf, um nach
Hause zu gehen. Es ivar ihm unbehaglich zu Muthe geworden.
Der Streit zwischen ihm und den übrigen Gästen hatte sich I
mehrmals wiederholt; beide Theile beschuldigten einander, mit
einem albernen Spaß den andern Theil narren zu wollen.
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