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Meister Nikel

fort, nachdem er seiner Frau in abgebrochenen Worten berichtet,
was ihm ans der Zunftstube begegnet. „Ich bin's nicht gewesen;
der hier war — das war mein Gespenst! Ach, ihr Heiligen im
Himmel! Frau, Du weißt, ivas das zu bedeuten hat, wenn
Einer doppelt herumgeht!" Die jetzt ernstlich besorgte Frau
suchte den Jammernden zu beruhigen; sie mahnte, bat, schalt —
aber es half Alles nichts. Meister Nikel sprach von seinem nahen
Tode, fing an, sein Haus zu bestellen, bestimmte, >oo und wie
viel Messen für ihn sollten gelesen werden, und als Frau Hermen-
gild die Stube verlassen wollte, um dem Kranken (denn krank
mußte der Mann geworden sein) aus ihrem Kräutervorrath einen
heilsamen Aufguß zu bereiten, hielt dieser sie krampfhaft am Rocke
fest und bat, flehte und befahl, sie müsse da bleiben, sie dürfe
ihn nicht allein lassen — das Gespenst könne wiederkommen.
Kurz, Frau Hermengild mußte, wollte sie ihrem Manne einen
Trank kochen, eines der Kinder Hereinrusen, daß es beim Vater
bleibe. „Nur nicht die Regine!" jammerte dieser, „bei der
ist das Gespenst schon einmal gewesen!"

Frau Hermengild meinte, eine Abkochung von Schreck-
krüutig möchte für den aufgeregten Mann das heilsamste sein. Der
Trank schien vor der Hand keine Wirkung zu thun. Vergebens
war alles Zureden, er möge zu Bette gehen — er wollte, er
konnte nicht allein sein; und nicht eher, als bis sich die Haus-
frau zur Ruhe begab, legte der Geängstigte sich nieder. —

In der Dunkelheit der Schlafkammer stiegen die Schrecken
der letzten Stunden noch um Vieles grauenhafter vor ihm

auf; von allen Seiten meinte der Schlaflose den Tod die

klappernden Knochenarme nach ihm sich ausstrecken zu sehen,

und die Lebenslust wehrte sich in unsäglicher Angst gegen den
unwillkommenen Gast. Bebend wartete er auf die ersten An-
zeichen der tödtlichen Krankheit, die ihn hinwegraffen würde.
Er lag wie ans Dornen; die namenlose Angst und der heiße
Trank, den er hatte einnehmen müssen, steigerten die innere
Hitze immer mehr. Wie gern wäre er aufgestanden — aber
nein! um keinen Preis der Welt! Konnte nicht, wenn er

Licht machte, drüben in der Ecke das Gespenst stehen, oder
konnte er nicht, wenn er aufgestanden war, sich selbst in: Bette
liegen sehen!

"Als der frühzeitig anbrechende Tag die Schlafkammer
erhellte, brachte er nur neue Qual. In der Dunkelheit sah der
Angstgepeinigte wenigstens nichts; jetzt erwartete er in grenzen-
loser Furcht jeden Augenblick, es möchte sich die Kammerthüre
aufthun und das Gespenst hereintreten in seiner eigenen Gestalt.
Bebend zog er sich die Decke über den Kopf und lag, schweiß-
gebadet regungslos in unsäglicher Pein.

Endlich erwachte Frau Hermengild; sie war wohl be-
kümmert um ihren Mann, aber den festen Schlaf hatte ihr
die Sorge doch nicht rauben können. Sie stand auf, und
nun konnte auch der Meister wagen, das qualvolle Lager zu
verlassen; aber der neue Tag schaute ihn hoffnungslos und
entsetzlich an. — Alles Schelten und Ermahnen der Frau war
umsonst. Wie ernstlich sie auch dem Verzagten gebot, nun
von dem Unsinn zu schweigen und sich die Sache aus dem
Sinne zu schlagen, er redete von nichts anderem, als von seinem

s böse Tage.

nahen Tode, und gab hin und wieder letztwillige Anordnungen.
Auch jetzt mußte beständig Jemand um ihn sein; es war nicht
daran zu denken, daß er, wie sonst, in Haus und Gewerk zum
Rechten sah. Müssig hinbriitend und dazwischen wehklagend,
saß er wie Einer, dem das Todesurtheil gesprochen ist.

Da kam deb Rathsschrcibcr. Goswin hatte nach der
Morgensuppe zu seinem Gaste gesagt: „Nun geh' ich hinüber
zn Meister Nikel; will hören, was Euer Besuch auf der Zunst-
stube und im Hause für einen Eindruck gemacht haben wird!"

An einem Vorwand, den Meister aufzusuchen, fehlte es
Goswin nicht. Er hatte als Rathsschreiber stets Mancherlei zu
erfragen über Gewerbs- und Innungs-Angelegenheiten, und
hatte sich dabei von jeher an Meister Gerhold gewendet, und
dies um so lieber, da er ja noch außerdem die Hoffnung hatte,
möglicherweise dabei Regineu sehen zu können. Seit sich Meister
Höhne gemeldet, wurde Gosivin freilich möglichst kalt empfangen,
was diesen aber nicht abhielt, imnicr wieder zu dem Meister
zu kommen.

Mit einem „Guten Morgen, Meister!" trat der Raths-
schreiber ein, aber: „Heiliger Joseph! wie seht Ihr aus! seid ,
Ihr krank?" setzte er, den Meister erblickend, hinzu. — Ein
dumpfes Stöhnen war die Antwort. — „Aber sagt doch,
wie ist denn das so rasch gekommen?" fuhr der Raths-
schreiber fort. „Wir sind uns doch, als sie drüben in der
Brüderkirche die Terz läuteten, auf der Webergasse begegnet!"
Der Rathsschreiber erschrack nicht wenig über die Wirkung dieser
Worte, denn jählings fuhr der Meister auf und rief, die
Hände ringend: „Heiliger Andreas, da geht es denn richtig
wieder um! Nun Frau, glaubst Du's jetzt? Oh, ihr heiligen
Nothhelser alle!" — „Aber Meister, ich versteh' Euch nicht!
Was meint Ihr ...?"— „Oh! oh! Rathsschreiber," jammerte
dieser, „das ist ein Schreckniß! Ich wollte lieber. . . ! Das
ist das Aergste, was einem Menschen nur ividerfahren kann!
Ich gehe doppelt um! Hier sitz' ich in Todesangst, nnd während-
dessen geht mein eigen Gespenst auf den Gassen! Was das
zu bedeuten hat, weiß Jedermann! Und was kann dieses ent-
setzliche Gespenst nicht noch Alles anrichten!" fuhr er jammernd
fort, „was hat es nicht schon angerichtet? Es kann mich in
meinen letzten Tagen noch in Schmach und Schande, ja auf's
Rad bringen! Rathsschreiber, ich bitt' Euch, thut mir die
Liebe, geht zum Herrn Bürgermeister, ich ließe ihn um der
heiligen Mutter Gottes Willen bitten, er solle mir ein paar
Wächter hersetzen, ein paar vereidigte und geschworne Männer, !
die bei mir sind den ganzen Tag, und die darnach bezeugen
können, daß ich hier in der Stube gesessen und unschuldig bin
an all dem Unheil, was das Gespenst etwa draußen angerichtet
hat!" — „Aber Meister, was wollt Ihr ... ich verstehe Euch
gar nicht. . . ?"

„Werdet's schon hören, Rathsschreiber! Gestern war ich
auf der Zunftstube, ehe ich hinkam, und dann wieder hier irrt
Hause, während ich drüben war — nnd Hab' unverantwortlich '
Zeug geredet! Ach, was kann da noch Alles kommen! Das ist
schlimmer, als zehn Mal sterben!"

„Aber, Meister, das . . . das . .. ei, es wird ja nicht. .
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