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Meister Nikels böse Tage.

ins Kloster znm Pater Vincent, ich ließe ihn bitten, so bald
wie möglich herzukommen!"

Pater Vincent, der Lector im Kloster der Minderbrüder,
verstand den Leuten so vortrefflich zu Herzen zu reden, daß er als
geistlicher Berather einen ungemeinen Zulauf hatte; auch Meister
Nikels Beichtiger war er, und es erschien selbstverständlich, daß
der mit raschen Schritten dem Tode entgegen Eilende nach
geistlichem Zuspruch und Absolution verlange. Eines der Kinder
lief denn alsbald nach dem Kloster und kehrte mit der Nachricht
zurück: der Hochwürdige sei zur Zeit nicht da, aber sobald er
zurückkomme, werde man ihm die Botschaft ausrichten.

Etwa eine halbe Stunde daraus trat der Begehrte ein,
und begann, sobald er den Meister erblickte: „Ei, ei! Meister
Nikel! Ihr seht ja viel schlimmer aus als vorhin! Hat mein
Trost so wenig gefruchtet? Jst's Euch denn nicht leichter geworden,
seit Ihr Euch der schweren Schuld entlastet? Ich habe Eure Bitte
erfüllt und komme direct vom Herrn Bürgermeister!"

Meister Nikel schaute matt und erschöpft nach dem also
Redenden; er verstand kein Wort von dem Allem. Wahr-
scheinlich war wieder das Gespenst im Spiele. Er ging indessen
nicht darauf ein, sondern begann: „Ehrwürdiger Herr! ich
möchte beichten; es geht mit mir zu Ende, ich gehe doppelt
herum, und das... . — „Ich weiß, ich weiß!" erwiderte
der Pater. „Ihr habt es mir ja schon gesagt". — „Ich?
Ach, ehrwürdiger Herr! Ich bin seit gestern Abend nicht
ans dem Hause gekommen!" — Bestürzt schaute der Mönch
den Meister an: „Ihr wäret nicht bei mir . . . vor etwa zwei
Stunden? .... Heiliger Franziskus ... das ist ja . . . Geht
Ihr Leute. . . laßt mich ... ich muß mit dem Meister allein
reden!" — Frau und Kinder verließen die Stube.

„Und Ihr seid wirklich nicht drüben gewesen im Kloster?
Habt mit mir gesprochen?" fragte der Mönch nochmals dringend
und ängstlich. — Der Meister schüttelte den Kopf. „Ich weiß
schon", sagte er dann, „es ist eben wieder das Gespenst ge-
wesen!" — „Aber bei allen Heiligen! Da muß ich ja. . .
ich habe nach Eurem Begehren gethan, war beim Bürgermeister. .
und nun. . . aber hört nur!"

Und nun berichtete der Pater, wie der Meister vor etwa
zwei Stunden im Kloster gewesen, und ihm geklagt habe: daß er
doppelt gesehen lverde, wie dies seinen Tod bedeute und loic er
dann fortgefahren: es läge auf seiner Seele eine schwere Schuld
gegen seinen Bruder, wie er ihm erzählt, daß er denselben auf
hinterlistige Weise in das Elend getrieben, und lvie er ihn (den
Pater) dann dringend gebeten habe, an seiner Statt zum Herrn
Bürgermeister zu gehen, ihm Alles das mitzutheilen und ihn
zu bitten, er möge die Acht anfheben, die damals wider den
Bruder ausgesprochen. „Das Alles", fuhr der Pater fort,
„habt Ihr mir gesagt, oder der, den ich für Euch halten mußte,
und weil Ihr klagtet, Ihr würdet keine Ruhe finden, ehe dies
nicht geschehen, bin ich sogleich zum Bürgermeister hinübergeeilt
— aber nun. . . wenn Ihr wirklich ... da muß ich ja
stracks . . . !" — Meister Nikel aber hielt den Mönch, der nun
hastig aufstehen wollte, zurück, und sagte mit matter Stimme:
„Ehrwürden, bleibt nur! Ich Hab' Euch das Alles freilich nicht

gesagt, aber . . . wahr ists, und es mag so bleiben! Das Ge-
spenst hat gethan, was Ich gerne gethan hätte, aber ich konnte
es nicht über das Herz bringen! Heute Nacht in meiner Angst
Hab' ich manchesmal an den Baltin gedacht, und was ich an
ihm verübt. . . eigentlich bin ich's nicht gewesen, sondern die
Frau . . . aber zugelassen Hab' ich's! Nein, nein, es mag
gelten!" — „So ist's wirklich gewesen, wie der . . . wie das-
jenige, was ich für Euch halten mußte, ausgesagt?" fragte
tiefbewegt der Mönch. — „Ja, ja, es ist schon so!" Der
Meister erzählte dem tief ergriffenen Pater, wie er und sein
Bruder, des Vaters Gewerk gemeinsam betrieben, wie er und
sein Weib sich oft geärgert über des Valtin träge Sorglosigkeit.
„Damals (so fuhr er fort) hatten die Zünfte, besonders wir
Flemminge, mancherlei Besprechungen ivider den Rath. Es sollte
Alles geheim bleiben, aber meine Frau, die Hermengild, wußte
es mir doch herauszulocken; sie ist eben ein gar kluges Weib!
Sie meinte nun, das würde schlimm für uns ablanfen, und
drängte mich, ich sollte von solchen Dingen zurücktreten. Das
ging nicht an. Da redete sie mir zu, ich sollte Alles heimlich
anzeigen, ehe es ärger und böser würde, und ich ließ mich
überreden; und nun rückte sie auch damit heraus, daß wir bei
der Gelegenheit den Bruder wegschaffen könnten. Ich Hab's
wahrhaftig Anfangs nicht gewollt, endlich aber hat sie mich
auch dazu beredet, und dann hat sie es ausgeführt, so, wie
Ihr es ja schon wißt." — „Meister, das war eine schwere
Sünde", sagte der Pater, „und das Schlimmste ist, daß Ihr
sie so viele Jahre auf Eurer Seele getragen, ohne sie zu
beichten." — „Ach ja!" wehklagte der Zerknirschte. „Ich
hält' es wohl gern gethan . . . aber ... die Frau . . !"

Pater Vincent mußte nun all' die ernsten und trösten-
den Worte, die er bereits vorher (wie er nun gewahr
wurde) an das gespenstische Doppelwesen des Meisters ge-
richtet hatte, dem wirklichen Meister wiederholen. Er wurde
aber mitten in der Unterredung unterbrochen, da Frau Hermen-
gild den Kopf zur Thüre hereinsteckte mit der Nachricht, ein
Bote vom Herrn Bürgermeister sei da, der Meister solle so-
gleich zu ihm hinüberkommen!" — „Ja," fiel der Pater ein,
„als ich dem Herrn Bürgermeister berichtete, was Ihr mit
gestanden hattet, meinte dieser, Ihr müßtet ihm dies Alles
schon selbst bekräftigen." — „Um aller Heiligen willen", weh-
klagte der Meister, „ich kann nicht! Ich gehe nicht auf du'
Straße, dort geht das Gespenst um. Ehrwürden, seid barm-
herzig, geht zum Bürgermeister, sprecht für mich, daß er solches
nicht verlange." — Pater Vincent brach sogleich auf; in>
Vorübergehen aber rief er nüt warnend gehobenem Finget
der Frau Hermengild zu: „Ei, ei, Frau! Ihr habt Euren
Mann in schwere Schuld verstrickt."

Diese verlangte nun sofort zu wissen, was des Hoch"
würdigen Worte bedeuteten, und Meister Nikel, von ihr mit
Fragen bestürmt, mußte erzählen, was das Gespenst angerichtet,
und wie durch dasselbe die alten Geschichten zu Tage gekommen.
Frau Hermengild hörte dies Alles in stummer Bestürzung an.

Pater Vincent war indessen zum Bürgermeister zurückge-
kehrt und berichtete ihm die wunderbare Begebenheit. Der Bürger-
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