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Der Held als Wurstmacher.
Armen, eine weiße Schürze Nor der Brust, ein kokettes
Häubchen auf den blonden, hochaufgesteckten Zöpfen, in der
Küche beschäftigt und klapperte mit ihren rothen Pantöffelchen
und rauschte mit ihren frischen Perkalröcken hin und her —
als ein Lakai in glänzender Livroc eintrat und, sic für die
schmucke Köchin haltend, ihr herablassend in die Wange kniff.
Frau Martina wurde feuerrroth, applizirte dem Unverschämten
eine tüchtige Ohrfeige und rief: „Was untersteht Er sich. Er
dummer Mensch!" Der galante Lakai, der erst jetzt den Hut
abnahm, stammelte verlegen: „Wußte nicht, daß die Jungfer
so strenge ist; hier ist ein Billetdoux für Ihren Herrn, aber
Acht geben, daß Ihre Gnädige nichts von der Geschichte merkt."
Kaum hatte der Liebesbote ihre Wohnung verlassen, öffnete
Frau Martina mit Hilfe einer Haarnadel geschickt das duftige
Briefchen und las entsetzt die Einladung zu einem Rendezvous
für den Abend. Unterzeichnet waren die verrätherischen Zeilen
einfach mit „Eglantine", aber eine neunzackige Krone aus dem
Papier und Couvert deutete genügend die Stellung der Ab-
senderin an. Frau Martina klebte das Couvert vorsichtig
wieder zu und legte das Briefchen auf den Schreibtisch ihres
Mannes. Alexander Wranach kehrte zum Mittagessen nach
Hause zurück, eine Kamelie im Knopfloch, trillernd und tänzelnd.
Er ging in sein Zimmer und kam wieder heraus ohne das
geringste Zeichen von Ueberraschung oder Erregung.
„Ah!" dachte die kluge Frau, „er ist also an derlei
Confekt gewöhnt." Sic benahm sich wie sonst, gelassen und
freundlich. Sie sagte nichts, als ihr Gatte sich Abends, wie
er bemerkte, zu einein Collegen begab, um mit ihm eine neue
Rolle zu besprechen, aber sie schlüpfte wenige Minuten später
in ihren Pelz und eilte zu einer Freundin, der Sängerin
Winter. Hier erfuhr sie aus ihre dringende Frage das Uebrige,
>vas man ihr bisher verschwiegen hatte. Ohne in der nächsten
Zeit ihr Benehmen gegen den Verräther zu ändern, machte
Frau Martina einen schweren Kampf durch. Sie weinte einen
Tag, kränkte sich vier andere und begann am fünften auf
Rache zu sinnen. Da geschah cs am sechsten Tage, daß
Wranach Mittags mit einer neuen Rolle nach Hause kam.
„Ich weiß nicht, was unserem alten Direktor einfällt," rief
er, „das alte Stück vom alten Holtet „Lorbeerbaum und
Bettelstab" auf das Repertoir zu setzen. Habe die Rolle nie
gespielt, macht mir so viel Mühe, wie in einem ganz neuen
Stück, und wenn wir das Stück einmal gegeben haben, liegt
cs wieder zehn Jahre im Staube der Theaterbibliothek." —
„O! das Stück ist gut," erwiderte Frau Martina, „und die
Rolle des Heinrich sehr dankbar." — „Meinst Du?" —
„Gewiß," sagte sie, „Du mußt Dir eben Mühe geben, eine
Leistung liefern, die von sich reden macht und das Stück wird
zahlreiche Wiederholungen erleben." — „Hm! es ist eine
Scene da, wo er wahnsinnig wird," murmelte Wranach, in
der Rolle blätternd, „und den ganzen letzten Akt durch läuft
er als Narr herum, das kann hübsch werden, aber es wird
gut sein, einige Studien im Narrenhause zu machen." —
„Das ist ein prächtiger Gedanke, Wranach," rief die hübsche
Frau, vor Freude ertöthend, „auch ich möchte schon lange eine
Irrenanstalt sehen. Wir nehmen morgen einen Wagen, nach
dem Kaffee, und fahren zusammen hin. Kennst Du den
Direktor der Anstalt, den Doktor Andree?" Sie wußte, die
Spitzbübin, daß Wranach ihn nicht kannte, aber sie wollte
vollkommen sicher gehen. — „Ich kenne ihn nicht," sprach
der Don Juan, „aber das macht nichts. Wir fahren morgen
zu ihm." — „Abgemacht."
Am nächsten Tage, gleich nach dem Frühstück, fuhr
Wranach mit seiner Frau in das Irrenhaus. Doktor Andree,
dem er sich vorstellte, nahm. ihn auf das Liebenswürdigste auf,
führte ihn in der Anstalt umher und erklärte sich mit Ver-
gnügen bereit, ihm alle Gelegenheit zu den von ihm beab-
sichtigten Studien zu geben. „Am besten wird es sein," ver-
setzte er zum Schlüsse, „wenn ich Ihnen eine Zelle anweise
und Sic unter meinen Kranken als Schicksalsgenosse erscheinen."
„Gewiß, ich werde mehr Zutrauen finden," sprach Wranach;
„für heute aber möchte ich Sie nur bitten, lieber Direktor,
mich für eine Viertelstunde in der ersten besten Zelle einzu-
sperren — das würde mich einmal für den Anfang in die richtige
Stimmung versetzen." — „Ein vortrefflicher Gedanke," rief
Frau Martina, „o! bitte, lieber Herr Doktor, thun Sie
meinem Manne doch den Gefallen." — „Sehr gern." —
Doktor Andree ließ eine Zelle öffnen und Wranach trat
in dieselbe. Kaum hatte er selbst hinter sich die Thüre ge-
schlossen, eilte seine Frau mit seltsamer Hast, den schweren
Riegel vorzuschieben. „Gottlob," rief sie, „daß Alles so gut
abgelaufen ist und wir ihn in sicherem Gewahrsam haben."
„Wie das?" fragte der Direktor erstaunt. — „Sehen
Sie denn nicht, daß mein Mann verrückt ist?" — „Herr
Wranach —?" — „ Glauben Sie doch nicht, daß der Mann,
den wir glücklich in jene Zelle eingesperrt haben, der Hof-
schauspieler Wranach ist," entgegnete Frau Martina, „mein
Gatte ist der Wurstmacher Melchior." — „Ah! und er hält
sich für den gefeierten Helden?" — „Gewiß," fuhr Frau
Martina fort; „mein Gatte, der sehr eitel ist, hat cs leider
nur zu oft gehört, daß er dem Helden Wranach ähnlich sicht;
auf diese Weise erwachte in ihm der Ehrgeiz, Wranach in
jeder Beziehung zu gleichen; er rasirte sich seinen schönen Bart,
trug dieselben Kleider wie Wranach, ahmte sein Wesen, seinen
Gang, sein Benehmen, seine Sprechweise nach, bis cs endlich
bei ihm zur fixen Idee wurde, Wranach zu sein. In meiner
Todesangst ging ich auf seine Einbildung ein und spielte end-
lich eine vollständige Komödie mit ihm,° die gottlob vollständig
gelang. Ich ließ ihm durch den Theaterdiener die Rolle des
„Heinrich" bringen, überredete ihn, zu derselben Studien im
Jrrenhause zu machen, und so wurde cs mir möglich, ihn
ohne Aufsehen hieher zu bringen und Ihren bewährten Händen
zu übergeben." — „Ich verstehe," gab der Direktor zur Ant-
wort, „und Sie können sich in allem Uebrigen ganz auf mich
verlassen." — „Sie müssen sich daraus gefaßt machen, Herr-
Direktor," fuhr Frau Martina fort, „daß er sehr heftig wird
— er hat ein cholerisches Temperament — und ihn dann
gleich sehr strenge behandeln. Ich habe ihn nur ans diese
Weise im Zaume halten können."
Der Held als Wurstmacher.
Armen, eine weiße Schürze Nor der Brust, ein kokettes
Häubchen auf den blonden, hochaufgesteckten Zöpfen, in der
Küche beschäftigt und klapperte mit ihren rothen Pantöffelchen
und rauschte mit ihren frischen Perkalröcken hin und her —
als ein Lakai in glänzender Livroc eintrat und, sic für die
schmucke Köchin haltend, ihr herablassend in die Wange kniff.
Frau Martina wurde feuerrroth, applizirte dem Unverschämten
eine tüchtige Ohrfeige und rief: „Was untersteht Er sich. Er
dummer Mensch!" Der galante Lakai, der erst jetzt den Hut
abnahm, stammelte verlegen: „Wußte nicht, daß die Jungfer
so strenge ist; hier ist ein Billetdoux für Ihren Herrn, aber
Acht geben, daß Ihre Gnädige nichts von der Geschichte merkt."
Kaum hatte der Liebesbote ihre Wohnung verlassen, öffnete
Frau Martina mit Hilfe einer Haarnadel geschickt das duftige
Briefchen und las entsetzt die Einladung zu einem Rendezvous
für den Abend. Unterzeichnet waren die verrätherischen Zeilen
einfach mit „Eglantine", aber eine neunzackige Krone aus dem
Papier und Couvert deutete genügend die Stellung der Ab-
senderin an. Frau Martina klebte das Couvert vorsichtig
wieder zu und legte das Briefchen auf den Schreibtisch ihres
Mannes. Alexander Wranach kehrte zum Mittagessen nach
Hause zurück, eine Kamelie im Knopfloch, trillernd und tänzelnd.
Er ging in sein Zimmer und kam wieder heraus ohne das
geringste Zeichen von Ueberraschung oder Erregung.
„Ah!" dachte die kluge Frau, „er ist also an derlei
Confekt gewöhnt." Sic benahm sich wie sonst, gelassen und
freundlich. Sie sagte nichts, als ihr Gatte sich Abends, wie
er bemerkte, zu einein Collegen begab, um mit ihm eine neue
Rolle zu besprechen, aber sie schlüpfte wenige Minuten später
in ihren Pelz und eilte zu einer Freundin, der Sängerin
Winter. Hier erfuhr sie aus ihre dringende Frage das Uebrige,
>vas man ihr bisher verschwiegen hatte. Ohne in der nächsten
Zeit ihr Benehmen gegen den Verräther zu ändern, machte
Frau Martina einen schweren Kampf durch. Sie weinte einen
Tag, kränkte sich vier andere und begann am fünften auf
Rache zu sinnen. Da geschah cs am sechsten Tage, daß
Wranach Mittags mit einer neuen Rolle nach Hause kam.
„Ich weiß nicht, was unserem alten Direktor einfällt," rief
er, „das alte Stück vom alten Holtet „Lorbeerbaum und
Bettelstab" auf das Repertoir zu setzen. Habe die Rolle nie
gespielt, macht mir so viel Mühe, wie in einem ganz neuen
Stück, und wenn wir das Stück einmal gegeben haben, liegt
cs wieder zehn Jahre im Staube der Theaterbibliothek." —
„O! das Stück ist gut," erwiderte Frau Martina, „und die
Rolle des Heinrich sehr dankbar." — „Meinst Du?" —
„Gewiß," sagte sie, „Du mußt Dir eben Mühe geben, eine
Leistung liefern, die von sich reden macht und das Stück wird
zahlreiche Wiederholungen erleben." — „Hm! es ist eine
Scene da, wo er wahnsinnig wird," murmelte Wranach, in
der Rolle blätternd, „und den ganzen letzten Akt durch läuft
er als Narr herum, das kann hübsch werden, aber es wird
gut sein, einige Studien im Narrenhause zu machen." —
„Das ist ein prächtiger Gedanke, Wranach," rief die hübsche
Frau, vor Freude ertöthend, „auch ich möchte schon lange eine
Irrenanstalt sehen. Wir nehmen morgen einen Wagen, nach
dem Kaffee, und fahren zusammen hin. Kennst Du den
Direktor der Anstalt, den Doktor Andree?" Sie wußte, die
Spitzbübin, daß Wranach ihn nicht kannte, aber sie wollte
vollkommen sicher gehen. — „Ich kenne ihn nicht," sprach
der Don Juan, „aber das macht nichts. Wir fahren morgen
zu ihm." — „Abgemacht."
Am nächsten Tage, gleich nach dem Frühstück, fuhr
Wranach mit seiner Frau in das Irrenhaus. Doktor Andree,
dem er sich vorstellte, nahm. ihn auf das Liebenswürdigste auf,
führte ihn in der Anstalt umher und erklärte sich mit Ver-
gnügen bereit, ihm alle Gelegenheit zu den von ihm beab-
sichtigten Studien zu geben. „Am besten wird es sein," ver-
setzte er zum Schlüsse, „wenn ich Ihnen eine Zelle anweise
und Sic unter meinen Kranken als Schicksalsgenosse erscheinen."
„Gewiß, ich werde mehr Zutrauen finden," sprach Wranach;
„für heute aber möchte ich Sie nur bitten, lieber Direktor,
mich für eine Viertelstunde in der ersten besten Zelle einzu-
sperren — das würde mich einmal für den Anfang in die richtige
Stimmung versetzen." — „Ein vortrefflicher Gedanke," rief
Frau Martina, „o! bitte, lieber Herr Doktor, thun Sie
meinem Manne doch den Gefallen." — „Sehr gern." —
Doktor Andree ließ eine Zelle öffnen und Wranach trat
in dieselbe. Kaum hatte er selbst hinter sich die Thüre ge-
schlossen, eilte seine Frau mit seltsamer Hast, den schweren
Riegel vorzuschieben. „Gottlob," rief sie, „daß Alles so gut
abgelaufen ist und wir ihn in sicherem Gewahrsam haben."
„Wie das?" fragte der Direktor erstaunt. — „Sehen
Sie denn nicht, daß mein Mann verrückt ist?" — „Herr
Wranach —?" — „ Glauben Sie doch nicht, daß der Mann,
den wir glücklich in jene Zelle eingesperrt haben, der Hof-
schauspieler Wranach ist," entgegnete Frau Martina, „mein
Gatte ist der Wurstmacher Melchior." — „Ah! und er hält
sich für den gefeierten Helden?" — „Gewiß," fuhr Frau
Martina fort; „mein Gatte, der sehr eitel ist, hat cs leider
nur zu oft gehört, daß er dem Helden Wranach ähnlich sicht;
auf diese Weise erwachte in ihm der Ehrgeiz, Wranach in
jeder Beziehung zu gleichen; er rasirte sich seinen schönen Bart,
trug dieselben Kleider wie Wranach, ahmte sein Wesen, seinen
Gang, sein Benehmen, seine Sprechweise nach, bis cs endlich
bei ihm zur fixen Idee wurde, Wranach zu sein. In meiner
Todesangst ging ich auf seine Einbildung ein und spielte end-
lich eine vollständige Komödie mit ihm,° die gottlob vollständig
gelang. Ich ließ ihm durch den Theaterdiener die Rolle des
„Heinrich" bringen, überredete ihn, zu derselben Studien im
Jrrenhause zu machen, und so wurde cs mir möglich, ihn
ohne Aufsehen hieher zu bringen und Ihren bewährten Händen
zu übergeben." — „Ich verstehe," gab der Direktor zur Ant-
wort, „und Sie können sich in allem Uebrigen ganz auf mich
verlassen." — „Sie müssen sich daraus gefaßt machen, Herr-
Direktor," fuhr Frau Martina fort, „daß er sehr heftig wird
— er hat ein cholerisches Temperament — und ihn dann
gleich sehr strenge behandeln. Ich habe ihn nur ans diese
Weise im Zaume halten können."