58 Mißverstanden.
„Ach, Herr Veilchenduft, es ist gar so kalt — lassen Sie
doch cinhcizen," sagt der Commis zu seinem Principal. —-
„Ach was, einheizen/' entgegnet dieser, „gehen Sie in die
Sonne und wärmen Sie sich!" — Blümle läßt sich das nicht
zweimal sagen, nimmt seinen Hut, geht in die „Sonne" und
Der Held als Wurstmacher.
(Schluß.)
„He! das wird mir zu toll!" schrie Wranach auf.
Der Direktor zog sich rasch zurück, schlug die Thüre zu
und schob den Riegel vor. Wranach sah sich in allem Ernste
festgehalten. „Das heißt denn doch den Spaß ein wenig zu
weit treiben," rief er, „machen Sie auf!" — Keine Ant-
wort. — „Ich will fort — ich will nach Hause," schrie
Wranach und begann an der Thüre zu rütteln, und da
sich Niemand meldete. Niemand Notiz von ihm nahm,
steigerte sich seine ohnmächtige Wuth bis zur Raserei. Er
schrie, fluchte und zerschlug Alles, was sich in der Zelle be-
fand. — „Der neue Kranke auf Nr. 41 tobt," meldete der
Wärter. — „Gut," sprach der Direktor, „unter die Douche
mit ihm." — Plötzlich stürzten vier Wärter herein, ergriffen
Wranach, überwältigten ihn trotz heftiger Gegenwehr, ent-
kleideten ihn und schleppten ihn unter die Douche. Vergebens
schrie er und rief die Polizei und die Gerichte um Hilfe;
unter den kalten Strahlen, die ihn von allen Seiten peitschten,
verging ihin der Athcm und endlich Hören und Sehen.
Er ergab sich in sein Schicksal, wurde zu Bette gebracht
und verhielt sich einige Zeit vollständig ruhig. Nachdem er
sich wieder angekleidet hatte, wurde ihm ein exquisites Diner
servirt und hierauf ließ man ihn neuerdings allein. Zum Gliick
hatte er die Rolle des „Heinrich" bei sich, zog sie aus der
Tasche und vertrieb sich mit dem Studium derselben die Zeit.
Der Held als Wurstmacher.
Als es dunkel wurde und man ihm Licht brachte, erschien
auch der Direktor. „Nun, wie befinden Sie sich, Herr
Melchior?" begann er. — „Aber ich bitte Sie, lieber Doktor,"
erwiderte der gefangene Held mit lächelnder Sanftmuth, „ich
verstehe nicht im mindesten, was Sie von mir wollen, ich bin
der Hofschauspieler Wranach." — „Ihre fixe Idee." —
„Hier ist die Rolle, die mir gestern —" — „Die Ihnen
der Theaterdiener gebracht hat," unterbrach ihn der Direktor,
„eben deßhalb sind Sie doch kein Hofschauspieler, Herr Melchior."
— „Bitte — Wranach." — „Nein, Melchior." — „Aber
ich bin ja nicht Melchior." — „Der Wurstmacher Melchior
sind Sie!" — „Hofschauspieler Wranach, sag' ich Ihnen!"
— „Sie werden schon wieder aufgeregt." — „Da soll man
ruhig bleiben!" — „Sie werden es lernen, Herr Melchior."
—• „In dreitausend Teufelsnamen —"
Der Direktor entfloh, die Thüre fiel zu und wurde fest
verschlossen. Zugleich erlosch das Licht. Am folgenden Morgen
betrat der Direktor die Zelle Wranach's gar nicht, sondern zeigte
sich nur an einen: kleinen Schicbfenster und kündigte ihin an,
er wolle es einmal mit dem Aushungern versuchen und ihn
einen ganzen Tag fasten lassen. Vergebens begann der arme
Held zu toben, vergebens bequcmte er sich später zu flehen und
die weitgehendsten Versprechungen zu machen — er bekam nichts
zu essen bis zum Abend und auch dann nur einen Teller Suppe
mit einem kleinen Stücke Weißbrod.
Am nächsten Tage schien er denn auch vollständig besänftigt
und benahm sich äußerst freundlich und ergeben, sowohl den
Wärtern als dem Direktor gegenüber. Der Letztere hoffte ihn
nun eher von seiner fixen Idee abzubringen und begann mit
vieler Güte in Blick und Ton: „Glauben Sie noch immer,
daß Sic der Held Alexander Wranach sind?" — „Wenn Sie
nichts dagegen haben —"
„Wohh muß ich etwas dagegen haben," erwiderte der
Direktor, „da Sie Herr Melchior und ein Wurstmacher sind."
— „Ich? ein Wurstmacher — cs ist ja komisch!" — Wranach
begann herzlich zu lachen. — „Ich wiederhole Ihnen, daß
Sie Herr Melchior sind." — „Nein, Direktor — Alexander
Wranach." — „Der Wurstmacher Melchior!" — „Der Hof-
schauspieler Wranach!" Wieder wurden Beide hitzig. — „Aber
Sie werden mir doch zugcben, daß Ihre Frau Sic kennt?" —
„Gewiß, aber ich verstehe nicht" — „Nun, Ihre Frau hat Sie
mir als den Wurstmacher Melchior übergeben." — „Meine
Frau? Ach, das ist schändlich," schrie Wranach auf, „also ein
förmliches Complot, und auch Sie sind bei demselben, schämen
Sic sich, Sic —" „Nur Ruhe!" — „Ruhe? Sie gebieten
mir Ruhe, mir, den Sie hier wider alles Recht fcsthalten und
wie einen Ihrer Narren behandeln, Sic —" Wranach sprang
plötzlich auf den Direktor los und faßte ihn tm der Kehle.
Mit Mühe brachten ihn die Wärter los. „Er tobt, rasch die
Zwangsjacke angelegt", befahl der Direktor. Trotz allem Fluchen,
Sträuben, Abwehren, stak Wranach zwei Minuten später richtig
in der Zwangsjacke und cs kam nun, im Gefühle seiner Ohn-
macht, eine Art Todesangst über ihn.
„Jetzt die Douche," ordnete der Direktor au. — „Nein,
„Ach, Herr Veilchenduft, es ist gar so kalt — lassen Sie
doch cinhcizen," sagt der Commis zu seinem Principal. —-
„Ach was, einheizen/' entgegnet dieser, „gehen Sie in die
Sonne und wärmen Sie sich!" — Blümle läßt sich das nicht
zweimal sagen, nimmt seinen Hut, geht in die „Sonne" und
Der Held als Wurstmacher.
(Schluß.)
„He! das wird mir zu toll!" schrie Wranach auf.
Der Direktor zog sich rasch zurück, schlug die Thüre zu
und schob den Riegel vor. Wranach sah sich in allem Ernste
festgehalten. „Das heißt denn doch den Spaß ein wenig zu
weit treiben," rief er, „machen Sie auf!" — Keine Ant-
wort. — „Ich will fort — ich will nach Hause," schrie
Wranach und begann an der Thüre zu rütteln, und da
sich Niemand meldete. Niemand Notiz von ihm nahm,
steigerte sich seine ohnmächtige Wuth bis zur Raserei. Er
schrie, fluchte und zerschlug Alles, was sich in der Zelle be-
fand. — „Der neue Kranke auf Nr. 41 tobt," meldete der
Wärter. — „Gut," sprach der Direktor, „unter die Douche
mit ihm." — Plötzlich stürzten vier Wärter herein, ergriffen
Wranach, überwältigten ihn trotz heftiger Gegenwehr, ent-
kleideten ihn und schleppten ihn unter die Douche. Vergebens
schrie er und rief die Polizei und die Gerichte um Hilfe;
unter den kalten Strahlen, die ihn von allen Seiten peitschten,
verging ihin der Athcm und endlich Hören und Sehen.
Er ergab sich in sein Schicksal, wurde zu Bette gebracht
und verhielt sich einige Zeit vollständig ruhig. Nachdem er
sich wieder angekleidet hatte, wurde ihm ein exquisites Diner
servirt und hierauf ließ man ihn neuerdings allein. Zum Gliick
hatte er die Rolle des „Heinrich" bei sich, zog sie aus der
Tasche und vertrieb sich mit dem Studium derselben die Zeit.
Der Held als Wurstmacher.
Als es dunkel wurde und man ihm Licht brachte, erschien
auch der Direktor. „Nun, wie befinden Sie sich, Herr
Melchior?" begann er. — „Aber ich bitte Sie, lieber Doktor,"
erwiderte der gefangene Held mit lächelnder Sanftmuth, „ich
verstehe nicht im mindesten, was Sie von mir wollen, ich bin
der Hofschauspieler Wranach." — „Ihre fixe Idee." —
„Hier ist die Rolle, die mir gestern —" — „Die Ihnen
der Theaterdiener gebracht hat," unterbrach ihn der Direktor,
„eben deßhalb sind Sie doch kein Hofschauspieler, Herr Melchior."
— „Bitte — Wranach." — „Nein, Melchior." — „Aber
ich bin ja nicht Melchior." — „Der Wurstmacher Melchior
sind Sie!" — „Hofschauspieler Wranach, sag' ich Ihnen!"
— „Sie werden schon wieder aufgeregt." — „Da soll man
ruhig bleiben!" — „Sie werden es lernen, Herr Melchior."
—• „In dreitausend Teufelsnamen —"
Der Direktor entfloh, die Thüre fiel zu und wurde fest
verschlossen. Zugleich erlosch das Licht. Am folgenden Morgen
betrat der Direktor die Zelle Wranach's gar nicht, sondern zeigte
sich nur an einen: kleinen Schicbfenster und kündigte ihin an,
er wolle es einmal mit dem Aushungern versuchen und ihn
einen ganzen Tag fasten lassen. Vergebens begann der arme
Held zu toben, vergebens bequcmte er sich später zu flehen und
die weitgehendsten Versprechungen zu machen — er bekam nichts
zu essen bis zum Abend und auch dann nur einen Teller Suppe
mit einem kleinen Stücke Weißbrod.
Am nächsten Tage schien er denn auch vollständig besänftigt
und benahm sich äußerst freundlich und ergeben, sowohl den
Wärtern als dem Direktor gegenüber. Der Letztere hoffte ihn
nun eher von seiner fixen Idee abzubringen und begann mit
vieler Güte in Blick und Ton: „Glauben Sie noch immer,
daß Sic der Held Alexander Wranach sind?" — „Wenn Sie
nichts dagegen haben —"
„Wohh muß ich etwas dagegen haben," erwiderte der
Direktor, „da Sie Herr Melchior und ein Wurstmacher sind."
— „Ich? ein Wurstmacher — cs ist ja komisch!" — Wranach
begann herzlich zu lachen. — „Ich wiederhole Ihnen, daß
Sie Herr Melchior sind." — „Nein, Direktor — Alexander
Wranach." — „Der Wurstmacher Melchior!" — „Der Hof-
schauspieler Wranach!" Wieder wurden Beide hitzig. — „Aber
Sie werden mir doch zugcben, daß Ihre Frau Sic kennt?" —
„Gewiß, aber ich verstehe nicht" — „Nun, Ihre Frau hat Sie
mir als den Wurstmacher Melchior übergeben." — „Meine
Frau? Ach, das ist schändlich," schrie Wranach auf, „also ein
förmliches Complot, und auch Sie sind bei demselben, schämen
Sic sich, Sic —" „Nur Ruhe!" — „Ruhe? Sie gebieten
mir Ruhe, mir, den Sie hier wider alles Recht fcsthalten und
wie einen Ihrer Narren behandeln, Sic —" Wranach sprang
plötzlich auf den Direktor los und faßte ihn tm der Kehle.
Mit Mühe brachten ihn die Wärter los. „Er tobt, rasch die
Zwangsjacke angelegt", befahl der Direktor. Trotz allem Fluchen,
Sträuben, Abwehren, stak Wranach zwei Minuten später richtig
in der Zwangsjacke und cs kam nun, im Gefühle seiner Ohn-
macht, eine Art Todesangst über ihn.
„Jetzt die Douche," ordnete der Direktor au. — „Nein,
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Mißverstanden"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
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Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
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Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
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Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
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Fliegende Blätter, 73.1880, Nr. 1830, S. 58
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Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg