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202

In her Weihnacht.

Schachtel, in welcher die Erinnerungspfänder den Jahresschlaf
schliefen, stand schon auf seinem Arbeitstisch; so öffnete er die-
selbe denn mit einer Art von Andacht und begann.Stück für
Stück zu befestigen. Zuerst den Stern und darunter den Christ-
cngcl, der in seinem Kronreif von Rauschgold und dem wunder-
baren Federschurz eigentlich mehr einem Indianerhäuptling, als
einem Sendboten des Himmels glich; ihnen folgten lange Ketten
von Gold- und Silberpapier, geflochtene Körbchen mit längst
hohl gewordenen'Nüssen darin und endlich viele blasse Zeug-
blumen an Stielen von Draht.

Hiemit war die Hauptarbeit gethan; es kam nun, ehe
der gelbe Wachsstock in seine zwölf Enden zerschnitten wurde,
das Kaffcestündchen mit dem festlichen Mohnstriezel — denn
ohne Mohnstriezel und die Aussicht auf Karpfen in Bier zum
Abendbrod, hätte der Geheime keine Weihnachtsstimmung ge-
funden. Frau Hanna saß, als ihr liebes Alterchen (wie sie
ihn jetzt schon zu nennen Pflegte) in's Wohnzimmer trat, auf
dem Sopha hinter der Kaffeemaschine und mußte in tiefe Ge-
danken versunken sein — sic überhörte das Oeffnen der Thüre.
Einen Augenblick blieb der Rath stehen und faltete unwillkür-
lich seine Hände; war es ein stilles Gebet, daß Alles so
bleiben möchte — noch lange, lange? oder dachte er nichts
Bestimmtes, war ihm nur unendlich wohl? Vielleicht war es
Beides zugleich.

Als die Räthin aufsah, streckte sie ihm die Hand ent-
gegen und sagte, ihre Gedanken gleichsam fortsetzend: „Nun
putzen Berthold's auch, Marie wird natürlich längst fertig sein!"

— „Ja!" bestätigte er, sich ein wenig schwerfällig niederlassend;
„sic ist Bater's Tochter — bin auch fertig." — „Du!"
lächelte Frau Hanna mit leiser Geringschätzung, indem sic ihm
eine Tasse Kaffee reichte. — „Du!" machte ihr der Rath nach,
„als ob ich nichts gethan hätte! Den Baum geholt, an dem
Körbchen war Mancherlei zerrissen —" — „Ich scherze doch
nur, Alterchen!" begütigte sie.

Bei Alterchen hätte es aber dessen gar nicht bedurft; er
hatte die beiden Mohnstriezel einer genaueren Besichtigung unter-
worfen und sagte mit leichtem Spitzen des Mundes: „Sic
scheinen ganz delicat!" — „Ich hoffe! Der eine ist hier
vielleicht ein bischen braun, das liebst Du ja aber?" —
„Sehr!" schmunzelte der Rath, indem er ein Messer ergriff.
„Seit ich Deine Augen gesehen!" — „Aber Alterchen!" —
„Du willst auch von dem braunen?" — „Gewiß!" — Und
so ließen cs sich Geheimraths eine ganze Weile schmecken, ohne
daß viel dabei gesprochen ward. Als die Gnädige ihr drittes
Täßchcn geleert — der Geheime trank blos zwei, aber von
der Art Großvatertassen, worauf „Für den Hausherrn" steht

— überfiel sie wieder ihre weiche Stimmung, und sie lehnte
sich mit einem Seufzer in die Ecke zurück. „Wir hätten doch
zu Marie gehen sollen!" — „Du wolltest ja nicht!" — „Wer
konnte wissen, daß es so milde blieb!" — „Ach, die paar
Meilen!" — „Du weißt, wie ich mich im vorigen Jahre er-
kältet habe! Ja, hätten sie einen ordentlichen Bcrdcckwagen

— aber das offene Wägelchen! Und die Bahnfahrt vorher!
Da wird man erst heiß, dann hinaus in die Luft — nein.

nein! Es ist so schon besser." — „Und wir sind ja zu
Zweien! Denke an den nun so einsamen Assessor drüben!"

Geheimraths drückten sich die Hände, und wäre es nicht
bereits Dunkel gewesen, so hätte man die Augen der alten Frau
feucht werden sehen. Sie wurden das von jeher leicht, diese
guten Augen.

Der Rath erhob sich nun und sagte, nach seinem Zimmer
gehend: „Laß' nur abräumcn, ich schneide noch die Lichter,
dann bringe ich den Baum."

Trotzdem Frau Hanna genickt hatte, dauerte es noch eine
ganze Weile, bis sie Rosel hereinrief; sie hielt eben gern ihre
Dämmerstunde, besonders an Erinnerungstagen. Das wußte
der Gatte, und so kam er denn erst, seinen Schatz auf's vor-
sichtigste tragend, als über den runden Tisch die weiße Damast-
decke gebreitet war. Nur ein schon geknicktes Aestchen streifte
ab und eine Nuß fiel heraus, sonst blieb Alles, trotz der ein
wenig engen Thüre, unversehrt an seinem Platze, selbst die
Lichter hielten sich gerade. Die Räthin stellte die beiden Teller
mit Süßigkeiten auf, legte auch die von den Kindern und Groß-
kindern gekommenen Geschenke an Jedes Platz und fügte ihre
Ueberraschung für Alterchen, diesmal eine schwarze Sammtweste,
bei, dann ging sie einen Augenblick hinaus, um diesem Gelegen-
heit zu geben, seine Ueberraschung hinzulegen, die unabänderlich
in fünf blanken Thalern — trotz der Markzeit — bestand. Ehe
sie wieder hereintrat, war das Verstecken der Summe auch ge-
lungen und es brannten sogar schon die oberen Lichter.

Während der Geheime die letzten anzündete, klingelte _ die
Räthin dreimal. Dieses Zeichen erlaubte Rosel — ebenfalls
mit feuchten Augen — hereinzutreten, das Bäumchen gebührend
anznstaunen mtb mit mehrfachem Handkuß und sich immer
steigernder Rührung die für sic aufgebauten Gaben in Empfang
zu nehmen. Als sie das Zimmer verlassen hatte, begann erst
die Weihnacht der beiden Alten.

Hand in Hand standen sie vor dem mit ihnen alt ge-
wordenen Tische und blickten bald sich bewegt an, bald in
die knisternden Flammen der Lichter, oder hoben diesen, jenen
Gegenstand gleichsam liebkosend in die Höhe. Gesprochen wurde
auch jetzt wenig; so sah er auf die von der Enkelin gemachte
Kammtasche und sagte nur „Lotte!" Sic spielte mit einem
Buchzeichen und dachte sogar blos „Unser Fritzl!" Dann
setzten sie sich auf's Sopha, versuchten aber gegen ihre sonstige
Gewohnheit von keiner der Süßigkeiten — die Räthin mußte
nochmals die Briefe von Sohn und Tochter vorlesen. Dabei
traten ihnen die Geliebten wieder so recht nahe vor die Seele
und es wurde ihnen tief Langsam um's Herz. Eins der Kinder
wenigstens war doch immer um sie gewesen, oder sie bei ihnen
— wie verlassen sie sich chcutc vorkamen!

Die Lichter waren zur Hälfte niedergcbrannt, das eine
oder andere hatte bereits nach den Aestchen um sich gezüngclt,
der würzige Duft glimmernder Tannennadeln füllte das Zimmer;
nun hörten sic auch Rosel die Treppe hinabgehen, wohl um
ihre Geschenke unten zu zeigen — sie waren wirklich ganz
allein. Ihren Kopf an des Gatten Schulter lehnend, sah Frau
Hanna unverwandt zu dem blinkenden Sterne über dem Christ-
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