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Mauerblümchen.

(Fortsetzung

In den Nebenräumen des Ballsaales. >va Bier und Tabak
stets eine erkleckliche Anzahl tanzberufencr Jünglinge zu ver-
sammeln Pflegt, fand ich in der That einige meiner Bekannten.
Ich pürschte mich kunstgerecht an. Dann fiel ich meuchlings
über einen derselben her. „Darf ich Sie einer Dame vor-
stellen. bester Doktor?" Er hielt sich beide Ohren zu. „Danke,
bin überreichlich dotirt." Ich neigte mich zu ihm herab. „Ein
bildhübsches und geradezu steinreiches Mädchen", flüsterte ich.
„ein Palais. Equipage und ein Landhaus." — Der Doktor
hob das Glas an den Mund und sah über den Rand des-
selben mißtrauisch nach mir. „Im vollsten Ernst!" betheuerte
ich. Er leerte bedächtig sein Glas, dann griff er nach Elaquc
und Handschuhen. „Gut!" sagte er. „Ihnen zu Liebe will
ich mich aufopfern. Stellen Sie mich der Dame vor." Ich
triumphirte; Einer saß fest auf der Leimruthe. „Schön, bester
Doktor, erwarten Sie mich gefälligst im Saale bei der ersten
Säule rechts."

Und flugs nahm ich ein zweites Opfer aufs Korn. „Ver-
ehrtester Rittmeister, ich werde Sie einer Dame vorstellen."
Er duckte sich, als hätte er eine Kugel über sich hinwegpfeifen
gehört. Aber ich ließ ihm nicht Zeit, sich lange zu besinnen.
„Ein geradezu steinreiches Mädel. Rittmeister!" flüsterte ich
ihm zu. „ein Palais. Equipage und ein Landhaus."
„Aeh!" näselte er. „aber steinalt und bucklig?" — „Im
Gegentheile. jung und bildhübsch." — „Ach. — als Ihr
guter Freund — sei's darum — reiten Sie mich der Dame
vor." — „Gut. Rittmeister! Erwarten Sie mich im Saale bei
der zweiten Säule rechts." Und mit einer wahren Mordbegier
stürzte ich mich auf ein drittes, ein viertes --° eine ganze
Reihe von Opfern. Die Marmorsäulen des Saales waren
nahezu vollzählig besetzt. Mit diabolischem Lächeln holte ich
mir nun Einen nach dem Anderen und führte sie alle meinem
Mauerblümchen zu.

Wie ihre Augen von Glück strahlten und wie Mama und
Papa mich bewundernd anstarrten! Besonders Letzterer, der
die Mühen solch' einer Jagd nach Tänzern selbst gekostet hatte,
betrachtete mich mit sprachlosem Erstaunen. „Unglaublich! Bloße
Geschicklichkeit!" hörte ich ihn murmeln.

In wenigen Augenblicken waren alle verfügbaren Tänze
meiner Kleinen vergeben und ich
zog mich mit der Bescheidenheit
und Würde eines Helden nach
meiner Marmorsäule zurück.

Eben flog Gabriele im Arme
des Rittmeisters an mir vorüber.
Kaum daß die zierlichen Füßchen
in den kleinen, weißen Ballschuhen
den Boden berührten. Und wie
dieser Rittmeister sich zärtlich zu
ihrem niedlichen blutrothen Ohr
herabncigte. um vermuthlich eine
ganze Cavalcade hochtrabender
Phrasen vom Start zu lassen.

und Schluß.)

Mich beschlich ein unbehagliches Gefühl. Da war nun
mein kleines Mauerblümchen wirklich zur glänzenden, viel um-
flatterten Rose geworden, und gerade ich. der sie hiezu gemacht,
empfand es wie einen Dornenstich, daß sic in ihrer Freude
auch nicht einen einzigen Blick für mich hatte. Bah. als ob
ich darauf gehofft hätte. Ich mußte lächeln. Was wohl der

arme Rittmeister für ein enttäuschtes Gesicht machen wird, wenn
sich'» dann zeigt, daß das „steinreiche Mädel" die Tochter
irgend eines sehr ehrsamen, aber durchaus nicht mit Glücks-
gütern gesegneten Pfahlbürgers ist!

Da kam Gabriele wieder an mir vorbei. Wie graziös
sic sich an ihren Tänzer anzuschmiegen wußte! Es lag eine
echt mädchenhafte Hingebung in ihrem ganzen Wesen. Ich
hätte doch nicht unterlassen sollen, auch für mich einen Tanz
auszubitten. Lächerlich! Es >var ja doch im Grunde genommen
die größte Wohlthat für mich, daß es mir gelungen, eine
so große Anzahl von Tänzern zu finden, so daß ich nicht
nöthig hätte, selbst einzuspringen. Wie denn, wenn mir dies
nicht geglückt. und ich jetzt genöthigt wäre, unausgesetzt mit
Gabriele zu tanzen! Wäre das nicht entsetzlich gewesen?
Sonderbar — ich empfand bei diesem Gedanken durchaus
nicht das erwartete Gruseln.

Der Rittmeister stand plötzlich cchauffirt und glückstrahlend
vor mir. „Aeh. besten Dank" — näselte er — „haben mir
wirklich einen großen Gefallen erwiesen, lieber Freund! Hütten
mir gleich sagen sollen, daß es die kleine Gabriele ist. der
Sie niich vorstellen wollen. Wäre ja ventre ä terre zu ihr
gerast. Ist eine der besten Partieen — alte Firma — große
Mitgift — äh - nochmals besten Dank. Sie edler Mensch!"
Er verschwand.

Mir aber >vard mit einem Male recht trüb zu Muthe.
ohne daß ich mir Rechenschaft darüber oblegen konnte, weßhalb!

Sollte ich mich etwa mit dem Gedanken getragen haben — ?

Unsinn! Solch' ein wetterharter Junggeselle. wie ich. und
sich ernstlich verlieben! Der Gedanke war einfach lächerlich,
und ich konnte gar nicht begreifen, wie mir solch' ein läppischer
Einfall überhaupt kommen konnte.

Wieder sah ich sinnend in das bunte Treiben der Tanzenden.
Wieder war mir, als bräche sich zu meinen Füßen der Wellen-
schlag des Meeres und als lauschte ich dem seltsamen, mono-
tonen Rauschen der Brandung. Und da lösten sich plötzlich
einzelne Töne los und klangen an mein Ohr. Sie erzählten
mir. wie kalt und still Tag um Tag meines Junggesellenlebens
dahinziehe und wie ich immerdar fremd und allein dastehen
mürbe in der Welt. Sie flüsterten geschwätzig von einem
linden Müdchenathem. der wie Frühlingshauch das starre Herz
zu lösen wisse und tausend Blüthen und eitel Sonnenlicht da-
rüber ausgieße.

Mühsam entriß ich mich endlich diesein Träumen bei offenen
Augen. Aber um meine Laune, sogar um meinen Glcichmnth
war es geschehen. Fast mechanisch schleuderte ich dem Ans-
gange des Saales zu und die breite, teppichbelegtc Treppe
hinab.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Mauerblümchen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Schlittgen, Hermann
Entstehungsdatum (normiert)
1885 - 1885
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 82.1885, Nr. 2069, S. 90
 
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