1
Mau erb
Was sollte ich auch nach auf diesem Balle? Gabriele be-
durfte meiner nicht mehr, hatte meiner wohl längst vergessen.
Oder sollte ich mich ihr ausdrängen, um ihr ein Wort des
Dankes abzunöthigen?
Niemals! Sie war ja reich und verwöhnt und mein Nacken
war zu steif für das Joch eines Triumphwagens. Darum
war es das Klügste — ich ging.
Der große Wandspiegel am Treppenabsätze zeigte mein
Bild. Ich erschrack vor dem ernsten, beinahe finsteren Aus-
! drucke meines Gesichtes. Ernst? Vielleicht gar schwermüthig?
Das könnte mir gerade noch fehlen! Ich trat vor den Spiegel
hin und zwang mich zu einem Lächeln. Aber der Versuch
mißlang. Die Augen meines Gegenüber im Spiegel sahen
mich so seltsam an, daß mir das Lächeln auf den Lippen
erstarb. Forschend sah ich in diese Augen und was ich darinnen
plötzlich i» lapidarer Schrift aufflammcn sah — das ließ mich
tief auffeufzen. Verliebt! — Du hast es herrlich lveit
gebracht!
Da keuchte es über die Treppen herab aus mich zu. Es
war das kleine, runde Männchen, der Vater Gabrielens. Er
iaßte mich kategorisch am Arme. „Sic wollen fort? hin, das
wäre eine schöne Geschichte. Ich suche Sie seit einer Viertcl-
stnnde mie eine Stecknadel im ganzen Saale." Ich sah ihn
"staunt a,,. „Natürlich" — ries er — „der Cotillon, für
'^klchen Sie mit Gabriele cngagirt sind, beginnt ja gleich!"
»Der Eotillon?" Er zog mich ungeduldig die Treppen
hinauf. „Es versteht sich doch von selbst" — schnaubte er
hiebei — „paß Gabriele Ihnen, ihrem Retter, den besten Tanz
reservirte."
Eine Blntwelle schoß mir zu Kopfe, und einen Augenblick
lang mar ich im Zweifel, ob ich das Männchen vor mir um-
armen, oder in wilder Hast über den Hausen rennen sollte.
Dann aber fügte ich mich dem eisernen
Drucke, mit welchem der alte Herr meinen
Arm umspannt hielt und ließ mich willig
t>urch den Saal zerren.
Mein Mauerblümchen war förmlich
belagert von Tänzern. Aber sie schien
"ur halb auf die galanten oder witzigen
Bemerkungen dieser Herren zu achten.
Ähr Blick flog zerstreut, fast ivic suchend,
durch den Saal. Wenn sie nach mir aus-
blickte? Der Gedanke trieb mir erneut
das Blut in die Wangen. Da trafen
sich unsere Blicke. Mir zuckte es. wie
, ein Blitzstrahl, durch die Seele - denn
ich hatte mich nicht getäuscht - in
ihrem Auge hatte es freudig aufgeleuchtet.
Wie einen glücklich ergriffenen Spitz-
buben zerrte mich das runde Männchen
vor Gabriele. „Auf der Treppe Hab'
ich ihn noch erwischt", ries er trinm-
Phirend, „er wollte eben fort!"
ümchen. 91
Gabriele sah überrascht, fast erschrocken, zu mir aus. „Sie
wollten den Ball verlassen?" fragte sie leise, als sie meinen
Arm nahm, um zum Tanze anzulreten. „Ich wußte Sie ja
in guten Händen" — antwortete ich und deutete auf die Herren,
die sich nun eifrigst um die Mama bemühten. Gabriele senkte
das Köpfchen. „Sie hätten mir wehe gethan damit", — sagte
sie einfach. Mein Herz jubelte auf, als ivüre es eben aus
starrem Winterschlafe erwacht zu neuem, hoffnungsgrünen Leben.
Da brausten die Klänge der Musik durch den Saal, und
wie die Wellen der Brandung wogte cs über das glatte Parket.
Hüte Dich vor den Fluthen des Tanzes! Sie sind trügerisch
und unergründlich wie das Meer!
Aber ich sah unverwandt in das leuchtende Auge Gabrielens,
lauschte ihrer lvcichen Stimme und trank von dem Hauche ihres
Athems. Schlagt über mir zusammen, ihr Fluthen des Tanzes!
Es ist ein beseligendes Hochgefühl, in euch zu versinken!
* *
*
Ein Jahr ist verflossen. Aus dem Rahmen meines großen
Wandspiegels lacht mir die Welt, meine Welt entgegen. Da
stehe ich, der notorische Junggeselle von einst und in meinen
Händen — es ist kein trügerischer Reflex, sondern lebenswarme
Wahrheit — in meinen Händen zappelt ein lächerlich kleiner
Weltbürger und streckt die winzigen Händchen seinem Spiegel-
bildc entgegen. An meiner Schulter aber lehnt Gabriele, und
ihre Augen lächeln mich so glückselig an, wie damals, da ich •
das „Mauerblümchen" aus seinem Banne erlöste. Ich gedenke
fröhlich jener Ballnacht. Sie ließ mir aus den schäumenden
Fluthen des Tanzes ein Glück erstehen, wie ich es mir schöner
niemals erträumt hätte — ein Glück, das ich jetzt mit meinen
Armen umspänne: Weib und Kind.
Du hast cs herrlich lveit gebracht!
Ti. <5. ■Bnltifini.
12*
Mau erb
Was sollte ich auch nach auf diesem Balle? Gabriele be-
durfte meiner nicht mehr, hatte meiner wohl längst vergessen.
Oder sollte ich mich ihr ausdrängen, um ihr ein Wort des
Dankes abzunöthigen?
Niemals! Sie war ja reich und verwöhnt und mein Nacken
war zu steif für das Joch eines Triumphwagens. Darum
war es das Klügste — ich ging.
Der große Wandspiegel am Treppenabsätze zeigte mein
Bild. Ich erschrack vor dem ernsten, beinahe finsteren Aus-
! drucke meines Gesichtes. Ernst? Vielleicht gar schwermüthig?
Das könnte mir gerade noch fehlen! Ich trat vor den Spiegel
hin und zwang mich zu einem Lächeln. Aber der Versuch
mißlang. Die Augen meines Gegenüber im Spiegel sahen
mich so seltsam an, daß mir das Lächeln auf den Lippen
erstarb. Forschend sah ich in diese Augen und was ich darinnen
plötzlich i» lapidarer Schrift aufflammcn sah — das ließ mich
tief auffeufzen. Verliebt! — Du hast es herrlich lveit
gebracht!
Da keuchte es über die Treppen herab aus mich zu. Es
war das kleine, runde Männchen, der Vater Gabrielens. Er
iaßte mich kategorisch am Arme. „Sic wollen fort? hin, das
wäre eine schöne Geschichte. Ich suche Sie seit einer Viertcl-
stnnde mie eine Stecknadel im ganzen Saale." Ich sah ihn
"staunt a,,. „Natürlich" — ries er — „der Cotillon, für
'^klchen Sie mit Gabriele cngagirt sind, beginnt ja gleich!"
»Der Eotillon?" Er zog mich ungeduldig die Treppen
hinauf. „Es versteht sich doch von selbst" — schnaubte er
hiebei — „paß Gabriele Ihnen, ihrem Retter, den besten Tanz
reservirte."
Eine Blntwelle schoß mir zu Kopfe, und einen Augenblick
lang mar ich im Zweifel, ob ich das Männchen vor mir um-
armen, oder in wilder Hast über den Hausen rennen sollte.
Dann aber fügte ich mich dem eisernen
Drucke, mit welchem der alte Herr meinen
Arm umspannt hielt und ließ mich willig
t>urch den Saal zerren.
Mein Mauerblümchen war förmlich
belagert von Tänzern. Aber sie schien
"ur halb auf die galanten oder witzigen
Bemerkungen dieser Herren zu achten.
Ähr Blick flog zerstreut, fast ivic suchend,
durch den Saal. Wenn sie nach mir aus-
blickte? Der Gedanke trieb mir erneut
das Blut in die Wangen. Da trafen
sich unsere Blicke. Mir zuckte es. wie
, ein Blitzstrahl, durch die Seele - denn
ich hatte mich nicht getäuscht - in
ihrem Auge hatte es freudig aufgeleuchtet.
Wie einen glücklich ergriffenen Spitz-
buben zerrte mich das runde Männchen
vor Gabriele. „Auf der Treppe Hab'
ich ihn noch erwischt", ries er trinm-
Phirend, „er wollte eben fort!"
ümchen. 91
Gabriele sah überrascht, fast erschrocken, zu mir aus. „Sie
wollten den Ball verlassen?" fragte sie leise, als sie meinen
Arm nahm, um zum Tanze anzulreten. „Ich wußte Sie ja
in guten Händen" — antwortete ich und deutete auf die Herren,
die sich nun eifrigst um die Mama bemühten. Gabriele senkte
das Köpfchen. „Sie hätten mir wehe gethan damit", — sagte
sie einfach. Mein Herz jubelte auf, als ivüre es eben aus
starrem Winterschlafe erwacht zu neuem, hoffnungsgrünen Leben.
Da brausten die Klänge der Musik durch den Saal, und
wie die Wellen der Brandung wogte cs über das glatte Parket.
Hüte Dich vor den Fluthen des Tanzes! Sie sind trügerisch
und unergründlich wie das Meer!
Aber ich sah unverwandt in das leuchtende Auge Gabrielens,
lauschte ihrer lvcichen Stimme und trank von dem Hauche ihres
Athems. Schlagt über mir zusammen, ihr Fluthen des Tanzes!
Es ist ein beseligendes Hochgefühl, in euch zu versinken!
* *
*
Ein Jahr ist verflossen. Aus dem Rahmen meines großen
Wandspiegels lacht mir die Welt, meine Welt entgegen. Da
stehe ich, der notorische Junggeselle von einst und in meinen
Händen — es ist kein trügerischer Reflex, sondern lebenswarme
Wahrheit — in meinen Händen zappelt ein lächerlich kleiner
Weltbürger und streckt die winzigen Händchen seinem Spiegel-
bildc entgegen. An meiner Schulter aber lehnt Gabriele, und
ihre Augen lächeln mich so glückselig an, wie damals, da ich •
das „Mauerblümchen" aus seinem Banne erlöste. Ich gedenke
fröhlich jener Ballnacht. Sie ließ mir aus den schäumenden
Fluthen des Tanzes ein Glück erstehen, wie ich es mir schöner
niemals erträumt hätte — ein Glück, das ich jetzt mit meinen
Armen umspänne: Weib und Kind.
Du hast cs herrlich lveit gebracht!
Ti. <5. ■Bnltifini.
12*
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Mauerblümchen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1885 - 1885
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)