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106

Willys Geburtstag.

herüber. Gleich darauf ruhen die braunen Locken wieder auf dem
Kopfpfühl; aber die braunen Augen leuchten in Hellem Vergnügen,
wie der kleine, bunte Soldat auf der Bettdecke immer und immer
wieder und unter vielen Purzelbäumen die wenigen Exercitien voll-
führt, deren er bei der Steifheit seiner Glieder und der ilnbeweg-
lichkeit seines gefällten Gewehres fähig ist. „Rechtsum", „Links-
um" und dann wieder „Rechtsum" — das ist Alles, was er zu
Stande bringt, und doch werden die Fingerchen des Kleinen nicht
müde, ihn diese Ucbung iviederholen zu lassen.

Run öffnet sich ganz behutsam und leise die Thür; vorsichtig
spähend schiebt sich ein Kopf durch die Spalte, und dann, als sein
Blick den weitgeöffneten Kinderaugen begegnet, tritt der ganze Mann
in das Zimmer.

„Papa, lieber Papa!" jubelt der kleine Willy mit einer ganz
dünnen, schwachen Stimme, und er hält den unermüdlichen Blei-
soldaten hoch in die Luft, „nun hat mir die Mama aus dem Himmel-
reich doch noch etwas zum Geburtstag geschenkt!"

Der Mann beugt sich über sein Kind und küßt cs auf die Stirn.
Er hat ein sehr blasses Gesicht, und es arbeitet und zuckt darin
unaufhörlich, als müsse er einen gewaltigen Schmerz mühsam Nieder-
kämpfen. Er trägt eine breite, schwarze Trauerbinde um den Arm;
denn erst vor zwei Monaten hat er sein blühendes, junges Weib
mit ihrem neugeborenen, zweiten Kindlein begraben, und noch
breiter und sichtbarer liegt die Trauer in seiner müden, gebrochenen
Haltung und auf seiner gefurchten Stirn. Er setzt sich auf den
Rand der kleinen Bettstelle nieder und erfaßt eines der zarten Händ-
chen, das so vollständig in seiner Hand verschwindet.

„Aber wer hat denn nun die Bleisoldaten gebracht, Papa? Ein
Engel?" — „Gewiß, ein Engel, mein liebes Kind!" — „Aber ich
habe ihn doch gar nicht gesehen; und ich wollte es so gerne. Ich
habe auch gar nicht geschlafen, — es war so heiß, so sehr heiß!
lind dann wollte ich auf den Engel warten, weil er mir was er-
zählen sollte von der Mama." — „Der Mama geht es gut, Willy,
sehr gut! Sic sieht und hört Alles, was Du thust und freut sich,
ivenn Du in Liebe an sie denkst." — „Ich möchte aber die Mama
auch sehen! — Papa, können wir denn nicht Hinreisen zu ihr, wie
neulich zu der Großmutter? Die war doch auch so weit iveg, daß
man gar nicht zu ihr gehen konnte, und der Wagen mit dem vielen
Rauch hat uns doch hingebracht."

Um des Mannes Mundwinkel zuckt es. Er will lächeln, aber
es sieht aus, als ob er weinen wollte. „Die Mama ist noch viel,
viel weiter, mein lieber Junge! Dahin bringt uns keine Eisen-
bahn! Wir können nichts thun, als an sie denken." — Die braunen
Kindcraugcn füllen sich mit Thränen. „Und ich soll die Mama
nun gar nicht mehr sehen? Gar nicht — auch wenn ich ganz, ganz
artig bin?" — „Gewiß, wir werden sie Wiedersehen, Willy! —
Auch wir machen einmal die große Reise in's Himmelreich, und
dann gehen wir nie wieder von einander!" — „Aber wann reisen
wir denn dahin, Papa?" — „Das ist des lieben Gottes Sache!
Hoffentlich wirst Du erst wieder gesund werden und ein großer,
starker Mann und ein schöner, bunter Soldat, wie dieser hier!" —
Der kleine Willy denkt einen Augenblick nach; aber dann schüttelt
er traurig das Köpfchen. „Nein, ich möchte doch lieber zu der
Mama! Wenn sie hier war, war es nie so kalt und nie so heiß!
Ach, Papa, es war so sehr heiß diese Nacht!"

Er hat sich tapfer gehalten, der arme Mann auf dem Bettrand;
aber seine Kraft geht zu Ende. Er muß sich abwenden, um die
Thränen zu verbergen, die er heiß über die Wangen rollen fühlt.
Der Kleine aber hat sie dennoch gesehen, und sein bleiches Gesicht-

cheir nimmt einen bestürzten Ausdruck an. Doch keine Frage komntt
über seine Lippen. Er läßt nur den Bleisoldaten auf die Decke
fallen und wendet den Kopf ein wenig zur Seite. „Ich bin so
müde, Papa", sagt er nach einem Weilchen, „ich möchte schlafen!"

Der Mann steht auf, und diesmal küßt er den kleinen Willy
auf den Mund. An seinem Augenlid aber hing noch eine schwere
Thräne, und sie füllt, ohne daß er es bemerkt, auf Willy's Wange.
Der Kleine zuckt zusammen, als wäre es ein siedender Tropfen ge-
wesen und wühlt das Gesichtchcn noch tiefer in den Pfühl. Er kann
nicht schlafen, auch als er wieder allein ist. Er hat gesehen, daß
der Papa geweint hat, und er zermartert sein armes, schwaches Ge-
hirn, was er wohl Unrechtes gethan haben möchte! Denn daß er
Schuld sei an diesen Thränen, steht mit unerschütterlicher Ueber-
zeugung in ihm fest. Um was sollte der Papa denn sonst wohl
weinen können?! — Da fällt ihm endlich ein, daß er gestern Abend
die Medicin nicht habe nehmen wollen, die abscheuliche, garstige,
bittere Medicin, die ihm noch schlimmer auf der Zunge brannte,
als die heiße Suppe, davon er neulich so vorschnell einen Löffel
genommen; und nun weiß er auch, daß der Papa darum geweint
hat. Aber er wird es nicht wieder thun — er wird seinem armen
Papa nicht wieder solchen Kummer machen. Und als nun bald
darauf die alte Life, welche die Wirthschaft besorgt und gleichzeitig
nach dem kranken Kinde zu sehen hat, mit der entsetzlichen Arznei-
flasche erscheint, da richtet sich der kleine Willy ganz ohne alles
Zureden in die Höhe und er schluckt den großen, großen Löffel voll
hinunter, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. Die alte Lisi
ist ganz entzückt von seiner Folgsamkeit, sie rührt ihm noch sorg-
fältiger als sonst das Bettchen auf und verspricht ihm eine wunder-
schöne, zuckersüße Suppe für den Mittag.

Aber er hat es nicht um der zuckersüßen Suppe tvillen gethan!

Und wie er nun wieder daliegt, so ganz mutterseelenallein, und
still mit seinen kleinen bunten Bleisoldaten spielt und dabei an die
Mama im Himmelreich denkt, wohin man nicht einmal mit der
Eisenbahn kommen kann, — da tappt es draußen auf der Diele
heran und strebt mühsam nach dem Thürgriff und bringtyendlich
mit vieler Qual die Thüre offen. Und herein kommt die kleine
Marie, des Nachbars Kind und Willy's Spielgefährtin, fünf Jahre
alt, wie er selbst, mit kleinen dünnen blonden Zäpfchen und großen,
Hellen blauen Augen. Die Mutter hat sie geschickt mit einem wunder-
schönen bunten Bilderbogen, den sie dem Willy zum Geburtstag
schenken soll, und die kleine Marie hat aus eigenem Herzensantrieb
ein Blumensträußchen dazu gethan, das sie am Wege ausgcrupft.
Es sind nur Gänseblümchen und Löwenzahn, und mancher unschein-
bare Grashalm ist auch darunter, und wie sie das kunstlose Sträuß-
chen ans das Deckbett legt, da fällt es auseinander und ist nichts
weiter als ein Häuflein Unkraut. Aber Freude hat es dem kleinen
Willy doch gemacht, wenn er sich auch nicht in wohl gesetzter Rede
dafür bedanken kann; er fegt Alles bis auf das letzte Blättchen
mit den Händen fein säuberlich zusammen, und ganz obenauf steckt
er den Bleisoldaten zwischen zwei Löwenzahnblüthen, daß er ganz
aufrecht dasteht und recht tapfer und siegesmuthig dreinschant. Der-
weil ist auch die kleine Marie auf den Bettrand geklettert und hat
ihr Köpfchen ein paar Augenblicke lang neben das seinige gelegt;
dann richtet sie sich wieder empor und sieht ihm lange wie mit
einer neugierigen Frage in's Gesicht. — „Freust Du Dich auch
darauf, daß Du nun bald ein kleiner Engel wirst?" fragt sie ihn
endlich, „meine Mutter hat es heute gesagt." — „Woher kann denn
Deine Mutter das wissen? Papa sagt: ich müsse erst gesund werden
und ein großer, starker Mann — und dann reisen wir in's Himmel-
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