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Deutsche Kriegszeitung — 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.3215#0031
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Nummer 4

7

wissen aus dieser Zeit vou eiuer Be-
schießuug vou Marmouth zu sprecheu.

Die britische Adiuiralität teilt mit: Der
Torpedojnger „Nacoou" lief au der Nord-
küste vou Jrlnud am 8. Iauuar währeud
eiues Schueesturmes auf die Felleu auf
uud giug mit der gauzeu Besatzuug ver-
loreu. 22 Leicheu wurdeu aufgefischt.
Slußcrdem: Zwei britische Torpedojäger
siud bci der Rückkchr zu ihren Stütz-
puukteu währeud heftigeu Schueesturmes
iu der Nacht vom 12. Iauuar an der
schottischen Küste gescheitert uud mit
Mauu und Maus uutergegaugen. Nur
eiu Matrose wurde gerettet.

Der Erste Lord der britischen Lldmirali-
tät hatte bekanutlich zu der letzteu Ver-

uichtuug eiues Geleitzuges eiue Uuter-
suchung zugesagß dereu Ergebnis er jetzt
im Uuterhause mitgeteilt hat. Damich ist
der Gerichtshof uud der Admiralitätsrat
der Meiuuug, daß die Geleichhiffe ihr
bestes getau hätteu, um deu Zug zu
schützen. Sie hätteu iu rechter Seemauns-
weise gekämpft, uud die audereu Streit-
kräste, die zu jeuer Zeit iu der Nordfee
kreuzten, hätteu alle möglicheu Schritte
getau, um zu Hilfe zu kommeu uud ein
Entweichen des Feiudes zu verhiuderu.
Ebenso wurde die Meiuung des emglischen
Flotteuchefs augeführt, daß die Umstäude,
die die Bedeckungsftreitkrüfte darau hiu-
derten, im Augeublick des Augriffs zur
Stelle zu seiu, uicht vermiedeu werden

kouuteu. Der Admiralitätsrat ist der
Meinung, daß die Maßuahmen des Ober-
kommaudierendeu die besteu gewesen
seieu, die mit den zur Verfügung steheu-
deu Streitkrästeu getroffeu werden konu-
teu. Das heißt also auf gut deutfch:
Es wareu uicht genug Streitkräfte zur
Verfüguug, uud infolgedessen war man
uicht imstaude, deu Geleitzug besser zu
sicheru. Ein Eingestäuduis, das für uns
uicht ohne Juteresse ist. Über den An-
griff auf deu Geleitzug vor der Tyue-
mündung wurde lediglich ausgeführt,
daß er gegen zwei neutrale Schiffe unter-
nommen wurde, die vou dem Geleitzug
abgekommen waren, infolgedessen einsach
schutzlos zurückgelassen wurden, so daß die

Vegleitschiffe vou dem Angriff gar nichts
wußten. Auch hier hatte man also offen-
bar nicht genug Streitkräfte, um zurück-
bleibende Schiffe, namentlich wenn es nur
neutrale waren, zu sichern.

Am 12. Januar abends ist in Rotter-
dam der erste Transport der deutschen
Austauschgefangenen aus England aus
Grund des Abkommens vom 2. Juli 1917
eingetroffen. Unter ihnen befanden sich
auch der Kommandant der „Emden"
Fregatteukapitäu v. Müller und der
Flottillenchef Korvettenkapitän Wallis,
der im Gefecht vom 28. August 1914, an
dem sein Flottilleuboot „V 187" ruhm-
volien Auteil hatte, in Gefangenschaft
geriet. o.k.

M?!»!! !I!!!!!!!!>!»!!!!ii!!!>I>!!!!!>!»!»»!!!»!!»!»»»II!!!!I!»!»!»I»I!!IIl klvgENtMiENS NN(H l)pLVN. M>>>>>>>>>>!>>I>I»UI!»>>»!MW!M!MMÜIY»!

E r st e s Kapitel.

Mei» letztcr Riit durchs Land. — Argentuüsche Wirischasts-
oerhältnisse. — Die Unglückskunde von Serajewo.

m Juni 1914 ritt ich über die Hoch-
ebene der Sierra de Cordoba. Es
war schon empfindlich kalt in den 2500
Metern Seehöhe meines Weges, denn der
Winter d>er südlichen Erdhalbkugel stand
nahe bevor, und die tosenden cherbst-
stürme, die mich nun fchon feit drei
Wochen auf den einfamen Felfenpfaden
des Gebirges begleiteteu, scho-ben meinen
Eaul vor sich her, zerrten an meinem
warmen Poncho und jagten das lange,
silberschimmernde Gras in Wellen und
Wogen dahin.

Vor drei Wochen war ich mit fechs
Knechten ausgezogen, wie alljährlich, um
Rinderherden in entlegeueu Teilen des
Hochgebirges aufzukaufen, ehe Schnee
und Eis der Wintermonate die fteileu
Pässe der Sierra Grande sperrten. Dieses
Vieh überwinterte dnnn aus den iippigen
Luzerneweiden meiner Estancia „El
Alto" in den warmen Tälern des Flusfes
AnizacLte und wanderte fett und schwer
Anfang des Sommers in die Gefrier-
fleischanftalten des Landes. Alle meine
Leute hatte ich fchon mit gekausten
Trupps Vieh zurückgelassen, um diese in
langsamen Märfchen nach dem Anizncäte
zu 4iringen. Ich selbft ftrebte eilig in
wechselndem Schritt und Galopp meines
Pferdes nach Süden, um durch den stei-
len Paß „Los Condores" das Tiefland
zu gewinnen, meine Poft in Alta Gracia
— einem reizend gelegenen Luftkurort
und zugleich meiner Poft- und Eisen-
bahnstation — in Empfang zu nehmen
nnd zu hören, was die engere und wei-
tere Welt in den Wochen meiner Ab-
geschiedenheit getan oder nicht getan
hatte.

Es waren fchwere Zeiteu damals für
das emporstrebende Argentinien. Ein
paar gute Erntejahre und dadurch ver-
mehrte Einwanderung und Geschäfts-
tätigkeit hatten Terrainfpekulation in
Land und Stadt gu wahrhaft amerika-
nischer Blüte gedeihen lassen. Banken
und Private hatten bereitwillig Gelder
hergeliehen, überall schossen in Buenos
Aires und den Städten der Provinzen
Prachtbauten und neugegründete Kauf-
haufer empor, überall traf man auf
frischgebackene Gutsbesitzer, die nichts
oon dem F-ach verstanden, keine Arbeits-
werte in ihr mit Hypotheken belastetes
Land steckteu, desto mehr jedoch auf so-
fortigen Verkauf und mühelofen Kapital-
gewinn spekulierten. Auch die Mißernte
des Jahres 1912 hielt diese U'Ngefunde
Spekulation in jeder Art von Werten
nicht auf. Ein Taumel hatte das ganze
Volk ergriffen, große und kleine Ge-
fchäftsleute gaben bisherigen Erwerb
und sichere, wenn auch geringere Ein-
nahmen auf, um Spekulationsgeschäste
zu vermitteln und von den gelegentlich
großen Gewinnen herrlich und in Freu-

Leo

den zu lebeu. Und es kam, wie es kom-
men 'mußte.

Einige über den Durchschuitt verlust-
reiche Zahluugseinstellungen bekannter
Großfirmen ließen merken, daß das aus-
ländifche Kapital, welches den geschäft-
lichen Lebensnerv und die Seele der
wirtschaftlicheu Zukunft Argentiuiens
bildet, vorsichrig gewordeu war, die Kre-
dite befchrünkte und feine Agenten
zwang, nun ihrerseits aus Deckung des
ausgeliehenen Geldes zu sehen. Dies
Vorgehen hatte wiederum Zahlungs-
fchwierigteite'N und Zwangsvevkäufe in
Masse zwecks Deckung der Verbindlich-
keiten zur Folge, und ein allgemeines
Sinken der Preise von Ländereieu und
Baugründen begaun. Dann verdichtete
sich die politifche Lage Europas zu har-
teu Gegeufätzeu der führendeu Inter-
essengruppen,wie ein empfiudkichesBaro-
meter reagierte die Bankwelt, zurück
nach Europa ftrömten die ausgelieheneu
Kapitalien, und Argentinien wurde von
heute auf morgen gegwungen, fein präch-
tiges und protzendes Handelsleben mit
dem fünfzigsten Teile desseu zu führen,
was es vorher zur Verfügung hatte.
Und die Folgen waren Panik und Zu-
fammenbruch. Von den elf Millionen
Einwohnern Argentiniens — bei einenr
Flächengchalt zehnmal größer als
Deuchchland — hatte sich gewiß die
gröhere Hälfte mit Spekulationen in
einer oder der andereu Form verbunden.
Der Markt war iiberfchwennnt mit
Kaufang-eboten, eine ganz uugeheure
Menge von Zahlungseinstellungeu folgte,
Wort und Unterschrist galten i»cht mehr,
Treu und Glauben des bürgerlichen Le-
bens waren verfchwuuden, ein jeder
rettete sich auf Kosten feines Nächsteu.
Es war eine sürchterliche Zeit! Eine
unendliche Verzweifluug brach über das
Land herein. Der wankelmütige, leicht
beeinflußbare Eharakter des Vokkes ließ
die Gesamtla-ge für schwärzer erfcheinen
als notwendig. Bis in die entferutesten
Winkel der Republik, bis in die entlegen-
ftenFelfentäler derCordillereu machte sich
das Elend fühlbar, selbst der ärmste Jn-
dianer hatte das Wort „Krifis" in seineu
Sprachfchatz aufgenommeu.

Da war denn glücklich der Mann, der
sich unter verhältnismäßig geringeu
Verlusten refigniert auf fein Acker- und
Weideland zurückziehen konnte, welcher
Besitz ihm beinahe schon ein Hemmnis
geworden war im Drang der Pläne und
Gefchäfte, die in der Weltstadt Buenos
Aires geschaffen und vollendet wurden.
Jetzt in der Not errmhrte treulich die
Erdkrume den Pionier, der vor Jahreu
Baum und Strauch rodete und zu Kohle
verbrannte, den deutschen Stahlpflug
durch deu Boden riß, Wasser zur Beriefe-
lung von weither leitete, Wege baute,
Flüsse überbrückte und Zäune zog uud
sich chaus und Hof begründet hatte.

Jetzt in der Not gab der Aubau von
Weizen, Leinfaat uud Mais mit viel-

fältiger Frucht das tägliche Brot und der
regelmäßige Gewinn aus Viehzucht und
Viehhandel die Butter dazu. Und das
herrliche freie Leben auf edlem. Pferde-
rücken ftählte die Gefundheit wieder zu
alter Stärke.

So hatte ich denn den Kops voller Ge-
danken und Sorgen, während ich den
Wert des gekauften Viehs noch einmal
überfchlug und mir überlegte, dah trotz
der „Krisis" die Fleischpretse auf guter
chöhe standeu. Deun iu den letzteu Iah-
ren wnr viel FleXfch außer nach Europa
auch nach den Vereinigten Staaten ex-
portiert worden, der Viehbeftand im
Lande daher ein verhältuismäßig gerin-
ger und der Flestchverbrauch im Lande
derselbe wie in guten Gchchäftsjahren.
Ohne sein tägllches Kilo Fleifch, sein
weißes Brot und möglichst sein Liter
Wein kanu der Argentinier nicht leben,
und auch die größte Armut verfteht, sich
diese Notwendiglkeiten zu verfchaffen.

Mein einisamer Weg sichrte mich jetzt
aus der chochebene in das Tal von Santa
Ana. Iu kurzen Winduugeu, über Fel-
sengeröll und an steilen Abstürzeu ent-
lang, sauk jäh der Pah de los Cändores
m die Tiefe, die 1200 Meter chöhenunter-
schied in einer halben Stuickie überwin-
dend. Prächtig lag dort unten tief das
Ta! mit blinkenden Flüssen im welligen
Gelünde, und schlanke Pappeln, die wie
kleine schwarze Striche in der Landfchaft
stnnden, markierten die weit verstreuten
Siedlungen der Menschen in diesem un-
endlichen Pauorama. Jn einigen Stuu-
den brachte mich mein Gaul, dem Heim-
luft die Nüfteru dehnte, über das Tal
hinüber an den Fuß des Gebirgszuges,
auf dessen auderer Seite Alta Gracia
uud weiterhin meine Besitzungen lag
Steil ging es jetzt wieder hinan nvj
^chmialem, gewuudenem Pfade, wieder
stand ich auf 2000 Meter Seehöhe, kalt
bües der Bergwind, und die zehn Stun-
den unterbrocheneu Marfches machten
fich bei Mann und Pferd bemerkbar.
Dsch da uuten auf 700 Meter Seehöhe
lag weiß und fchimmerud Alta Gracia,
das iu vier Iahren vom uubedeutenden
Landstädtchen zum ersten Luftkurort
Argentiniens sich gewaudelt hatte. Wei-
terhin nach Südosten reckte sich unendlich
die große Ebone der Pampa, das Ge-
birge aber schwang sich im Bogen vor-
holend bläulich nach Süden und von
dort her winkten auch leuchtend die grü-
neu Weiden meiner Besitzung. Also los
und nach Harqe. Es dauerte nber doch
noch zwei Stunden, ehe ich in Alta Gra-
cia vor der Post vom müden Perde stieg,
und es dunkelte schon, ehe ich nach Bad
und Kleiderwechfel und Abendbrot im
Lefezimmer des Sierra-Hotels faß und
die Kunde las, daß Österreichs Thron-
folger und Gattin in Serajewo gemordet
seien. Nur unwillig befchäftigte sich der
müde Geist mit den Möglichkeiten, die
-ein solches Ereignis zur Folge habeu
töunte. Aber der Gedanke an erust-

haftere Verwicklungen kam mrr nicht,
nur Empöruug über die wilde Tat. Da
meldete mir der wohlbekannte Ton einer
Dreiklangsirene die Ankunft des Auto-
mobils meines Bruders Kurt, der eimge
Meilen entfernt von meiner Estancia
wohnte und, wie ich, Ackerbau und Vieh-
zucht in größerem Maßftabe betrieb.
Bald schüttelten wir uns die Hände, und
er erzählte, daß er nach unferer Provinz-
hauptstadt Cördoba wolle, um Näheres
über das Ereignis beim österreichifcheil
Konsul vr. Wolff zu erfahren. Dies
günstige und unerwartete Zufammen-
treffen bestimmte mich, ihn zu begleiten,
uud schon rasten die 50 HI'. durch den
Mondschein auf guter Straße nach C6r-'
doba, das wir in dreißig Minuten er-
reichten. I)r. Wolff selbst war nach Bue-
nos Aires gefahreu, feine liebenswür-
dige Frau konnte uns bloß die nähereu
llmftände der Mordtat berichten, fo fuh-
ren wir denu zum deuHchen Konful,
Herru I. Krug, dem Leiter der Banco
aleman transatlantica. Lauge faßen wir
iu ernstem Gespräch beifammen, erwogen
die möglichen Folgen des Geschehenen
und kamen zu dem Schluß, daß die
Diplomatie wohl auch diesmal eine Kata-
strophe zu verhüten wissen werde.

Zweites KapiLel.

Kriegsfieber. — Wie kommen wir hinüber?^—- Auf dtzt
Iagd nach Papiersn. — Der gelbe Schein.

Es kam anders. Cs kamen die Kriegs-
erkläruugen Frankreichs und Rußlands,
es kam der Tag der euglischen Kriegs-
erklärung, der große Wendepunkt der
Weltgeschichte. Wie wildes Feuer fchlug
das ins deutfche Blut. Ich war an
jenem Augusttage in Buenos Aires und
saß beim Abendbrot im „Sportsman",
dem bekannten Restaurant in d-er Straß-e
Florida. Mein-e Tischgenossen waren
zwei engli-sche Freunde, beido Schotten,
mit denen mich oft tüchtige Arbeit im
Kontor uud im Sattel, manch heißer
Wettkampf auf grünem Rafeu des Hur--
liugham-Klubs, manch scharfer Umtrun-k
in vorgerückter Stuude vereint hatte.
Auch heute einträchtig und eines Sinnes,
hatten wir die Not Europas besprochen
und baugei! Herzens die Möglichkeit en
wogen, wie wohl Eugland, Jtalien und
Spanien sich zur neuen Lage verhalten
würden. Plötzlich schrie ein schauriges
Heulen, wie urzeitliches Brüllen eines
Leviathans, in das Gespräch der tafeln
den Gäst-e, brach sich an Ecken und Pfei-
lern des prunkvolleu Raumes, verschlan-g
das Sprechen uud Lachen an den silber-
blinkenden Tischen mid ließ di-e süßen
Walzertöne der Musik verstummen. Noch
liegt mir der Klang im Ohre; damals
erfcholl er den erfchreckten Nerven wie
Posaunen des letzten Tages. Es war
die Riesendampfsirene der „Prenfa", der
größten Zeitung Südamerikas, die so die
Ankunft eines bedeutsamen Kabeltele-
grnmmes verkündete. Alles strömte nach
dem naheliegeuden Zeitungsgebäudtz auf
 
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