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Fraenger, Wilhelm
Hieronymus Bosch "Das Tausendjährige Reich": Grundzüge einer Auslegung — Coburg, 1947

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https://doi.org/10.11588/diglit.29109#0013
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i. KAPITEL

DIE VORAUSSETZUNGEN

Wic ein erloschenes Orakel, dessen Zeichensprache seine ursprüngliAe Erieuchtungs-
kraft verloren hat, steht die Symbolik Boschs dem heutigen Betrachter gegenüber. Dieses
Verstummen machte aus dem Meister, der so gerne Rätsel steiitc, selbst ein Rätsel, das
aufzulösen bisher nicht geiungen ist. Es konnte niAt geiingen, weil seine Kunst entweder
rein formai oder piatt inhaitiich betrachtet und bestenfails als dienende Iiiustration,
d. h. biidiiche Fassung eines vorgegebenen Gedankens, doch nie ais seibstherrliche I m a -
gination — d. h. biidhafte Innewerdung eines Sinns gewertet wurde. Da das Symboi
nicht aus der diskursiven Zwieheit von Idee und Form, sondern aus der volikommenen
Simuitanität des Schau- und Denkakts zu entspringen pfiegt, ist man bisher zum eigent-
iichen Kernprobiem: der anschauiichen Denkform unsres Maiers gar nicht vorgedrungen.
Soiange es an dieser GrundeinsiAt gebricht, muß seibst das sauberste stiikritisAe Be-
mühen oder die weitiäufigste Queiienuntersuchung Stückwerk bieiben, wie denn die
Summe irriger Betiteiungen, faisAer Interpretationen, verkehrter Ab- und Zuschreibungen
und das arge Ungewiß der chronoiogischen Fixierung seiner Verke, jene Ratlosigkeit fatal
genug bezeugen, worin das bisherige FaAurteil der Kunstgeschichte dem holiändischen
Magus gegenübersteht.

Vom Außenwerk des Biographischen ist an sein Schaffen nicht heranzukommen, da
seine Lebensspur schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts sich verloren hatte und die von
neuerer Archivforschung ans Licht gezogenen Dokumente zum geistigen Werdegang des
Maiers keinen Beitrag liefern. Wir wissen nicht, wann er geboren ist, wer seine Lehrer,
Freunde oder Auftraggeber waren, noch wie er zu den fremdartigen Stoffen kam, mit
denen er das Herkommen der Kirchenkunst so eigenwillig überschreitet. Wir hören nur,
daß bereits vor Hieronymus van Aken, Bosch genannt, ein Jan van Aken — wohl aus
Aachen zugewandert — im Jahre 1399 zu Hertogenbosch das Bürgerrecht erwarb, wonach
wir noch verschiedene Träger dieses Namens als Kunsthandwerker dort verzeichnet fin-
den, ohne daß die Verzweigung der Familie eindeutig nachzuweisen wäre. Von unserm
Maler ist vcr allem überliefert, daß er am Schmuck der riesigen Johannis-Kathedrale
seiner Vaterstadt durch mehrere Altäre und Glasfensterentwürfe mitbeteiligt war. Sie sind
vom Bildersturm vernichtet worden. Er war verheiratet, Besitzer eines Hauses und Mit-
glied der hoAangesehenen Liebfrauen-Bruderschaft zum Schwan, deren Register seinen Tod
 
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