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Fraenger, Wilhelm
Hieronymus Bosch "Das Tausendjährige Reich": Grundzüge einer Auslegung — Coburg, 1947

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https://doi.org/10.11588/diglit.29109#0044
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3. KAPITEL

DER DRITTE SCHOPFUNGSTAG

In einer sAimmernden Kristalikugel geborgen, lngert die Erdscheibe vom Meer um-
gürtet, über der dunklen Halbkugel der Unterwelt und unter einem wotkenschweren Him-
mel, aus dessen ZwieliAt fahle Sonnenstrahlen auf das Festland faiien. Uber der Erde
liegt die dämmerige Stille einer Morgenstunde und eine ailverwobene, schöpferische Feuch-
tigkeit, die ais fast unmerklicher Regen aus dem Himmel sickert, wie sie als Nebel wie-
der in die Wolken dampft (Tafel III).

Nur ein HoHänder, dessen Auge das veränderliche, zwischen Grau und Grau unend-
lich reiA schattierte Farbenspiel des heimatkchen Woikenhimmeis aufmerksam studiert
und in siA aufgenommen hatte, vermochte dieses Erd- und Himmeisbiid so tief zu fassen,
daß es ais frühestes Denkmai wahrhafter „Erdiebenkunst" — um diese Formuiierung von
C^tMj zu gebrauchen — vor uns steht. Doch nicht nur dank der Meister-
schaft des maierisA ganz iockeren, doA stimmungsmäßig höchst verdichteten Gebiides ist
das *Werk bedeutsam, sondern noA mehr dank seiner geistigen Durchdringung des mosa-
isAen BeriAtes. Bosch hat den Abiauf des Sechstagewerks wahrhaft in seinem „fruAt-
baren Moment" erfaßt: dem Augenblick, in dem der erste Regen auf die bisher noch
wüste Erde quiiit, aus der aisbaid die ersten Bäume und Gebüsche sprießen.

So sAeint sich dieses regenfiimmernde Gelände in einer jähiings ausbrechenden Frucht-
barkeit zu recken und zu strecken. Aus seinem Ufer, wo das Wasser in die Erde dringt,
sprossen gewaitige Pfianzenschäfte. Daneben springt ein ausgehöhlter Feisen auf und
treibt aus seinem Schoße einen Baum empor. Oder es wandelt sich die Bergform seibst ins
Pfianzenhafte, wie bei der Wölbung jenes Doppeihügeis, der sich zu einer ausgesproche-
nen Knospenspitze brüstet. Eine den Erdschoß dumpf durchschütternde Geschiechtlichkeit
treibt diese fast schon animaiisAe Vegetation in das heraufdämmernde Tagesiicht, wie
BosA auA dur A die Konzeption der Kugei im Gesamten den Eindruck einer U r z e u -
gung hervorzurufen weiß. Sein Weitbaii ist die bioiogisA eindeutige "Wiedergabe eines
Eies, worin die Erde ais befruchtete Keimscheibe in der Flüssigkeit des Meeres und des
regnerisAen Himmeis schwimmt.

UrweitiiA mythenhaft, jedoch zugieich auA chymisch-wissenschaftiich wahrgenommen,
steiit diese SAöpfungstafei einen *Wurf zu einem keinem bisherigen Maier zugänglichen
Zieie dar. Ihre Einmaligkeit iäßt den Veriust ermessen, der die KunstgeschiAte mit der
 
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