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Fraenger, Wilhelm
Hieronymus Bosch "Das Tausendjährige Reich": Grundzüge einer Auslegung — Coburg, 1947

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https://doi.org/10.11588/diglit.29109#0045
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DERDRITTESCHOPFUNGSTAG

37

Zerstörung des Hochaltars der St. Johanms-Kathedrale traf, auf dem — nach dem Be-
richt /. ß. aus dem Jahre 1610 —^rte HieroM^w: /?otj

rcjerewtes op??j CrMtzorzM Hex%??3ero72 77?M7?J?" standen, also das Sechstage-
werk in zyklischer Entfaltung, mit dessen Untergang, wie wir vermuten dürfen, ein Wun-
derwerk germanisAer Kosmogonie zu Grunde ging. Stellt uns doch schon die Einzeltafel,
die den verlorenen Zykius zu ersetzen hat, vor so denkwürdige geisteswissenschaftliche
Probleme, daß uns die Erkenntnis dämmert, hier sei ein Brückenpfeiler eingestürzt, der
zu der „Morgenröte" /c^o/? ßö'/TMej, den „Tageszeiten" PH/ipp Otto f?M7!gej und zu dem
magischen Kosmos des Not???/?s führte.

Bereits beim ersten Schritt: der Nachprüfung des Bibelwortlauts, stoßen wir auf den
überraschenden Befund, daß Bosch in seiner Auseinandersetzung mit der Genesis die für
die aufsteigende Renaissance so charakteristische Gesinnung des „T-ztorTMr N yeg73o", des
„Zurück zum Urzeichen" bewährt. Denn die Grundvorstellung der Tafel — ihre dun-
stige "Wolkenlandschaft — ist nicht aus der Vulgata abzuleiten, da diese keinen Finger-
zeig auf eine nebelige Atmosphäre gibt. Die Bibelstelle, die dem Bild zu Grunde liegt
(1. Mos. 2,4—6), lautet nach der Vulgata und der Lutherbibel:

?M7?t ge77e7*ct?'o77et coe/: et tc7"rce, ^M^Mto
C7C??7^ t%77t 777 dic 7?770 /ecit D077777777t De77J
coe/77777 et terT-cTT?.' et 07777?e vt'rgM/tttTTt <:gr7' <t7?te-
(?Kd?7? or?ret?tr ?7? terrc, orTtT^eTTt^tte NrAtT?? re-
g?07?h pr/Mj^TtdT?? ger77??7?<?ret.' 77077 erziTT? p/??er?:t
Do77??77??t De??t tTtper terr?????, et /707770 77077 erct
4*7??' oper??ret??r terr?????.' ted / o 7? t <?tce7?de/'7?t
e terrc, t'rrt'gcT?? 7??7?'ver.M77? t??per/?'c?*e77? terr??e.

AIso ist Himmel und Erde worden, da sie
geschaffen sind, zu der Zeit, da Gott der Herr
Erde und Himmel machte. Und aHerlei Bäume
auf dem Felde waren noch niAt auf Erden
und alleriei Kraut auf dem Felde war nodi
nicht gewaAsen. Denn Gott der Herr hatte
noch nicht regnen lassen auf Erden, und war
kein MensA, der das Feld bauete. Untd ein
N e b e I ging auf von der Erde und feuchtete
allesLand.

In ihrem für den Bildgedanken maßgebenden letzten Satz stehen die beiden Uberset-
zungen in einem handgreiflichen Widerspruch: In der Vulgata wird die schöpferisAe
Feuchtigkeit als ,,/o7?t" bezeichnet, während die Lutherbibel „Nebel" übersetzt. Bosch
nimmt die protestantische Version vorweg, was — künstlerisch betrachtet — desto auf-
fälliger erscheint, als er auf den zwei Paradiesen seiner Innentafeln kunstreich gefaßte
„Quellen" mitten in die Gärten stellte. ^Eenn er demgegenüber bei dem Außenbild auf
das elementar gewaltige Motiv einer zentralen Wassersäule, die dem Erdinneren entsteigt,
verzichtet hat, so mußte dies besondere Gründe haben.

Sein Bildgedanke ist vom U r t e x t her bestimmt. Dort wird das schöpferisAe Naß
als „eJ" bezeichnet, einem Wort, das sonst nur noch einmal im alten Testament er-
scheint, und nach den mittelalterlich rabbinisAen Kommentatoren, denen Martin Luther
folgte, soviel wie „N e b e I" oder „D u n s t" bedeutet. AuA alle neueren Ubersetzer
haben sich dieser Lesart angeschlossen, wofür wir zwei Versionen der Wiederholung jenes
seltenen Wortes bei Hiob ß6, 27 als Belege bieten:
 
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