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Fraenger, Wilhelm
Hieronymus Bosch "Das Tausendjährige Reich": Grundzüge einer Auslegung — Coburg, 1947

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https://doi.org/10.11588/diglit.29109#0052
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DERDRITTESCHOPFUNGSTAG

Weiterung der Unversündbarkeit des geistvollkommenen Menschen, aus der
iio" die seiner Gottgleichheit gezogen worden und die sAlug, als sie das irdische

Paradies kraft der joachimitischen „Engeüiebe" zu vermehren strebte, in eine schlimm-
heiiige „freie Liebe" um.

Wir können diese radikaie \yendung noch an zwei Beispieien aus dem Jahrhundert
und der Heimat Boschs desto sinnfäiiiger erhärten, ais sie dem gieichen Stoffkreis der drei
Gottesreiche zugehören, der unserm Aitarwerk zu Grunde iiegt.

Der Schwarmgeist D^vzd /oris (ißoi—i$s6), ein Deifter Giasmaier und Sendschrei-
ber von mitreißender Sprachgewait, hat die joachimitische Geschichtsdoktrin unmitteibar
auf seine eigene Sendung angewendet, indem er in der Dreiheit: Adam, Christus, David
die Repräsentanten der großen Weitzeit-Offenbarungen gegeben sah. Adam verkörpere
das vergangene Reich des Vaters, Christus das abkiingende Reich des Sohnes, während
das anbrechende Reich des heiiigen Geistes dem spiritueiien David, wili sagen: David Joris
'in höchsteigener Person, dem neuen Adam-Christus übertragen sei.

Noch seibstbewußter ist sein Zeitgenosse, der Münsterländer Dewrich Nic^er (ißoz
bis iß8i) vorgegangen, der zu Amsterdam ais Tempel quietistischer Versenkung ein
de Eejde" eingerichtet hat: ein Haus der Liebe, worin sich die von ihm geieitete

zu mystisAen Begehungen zusammenfand. Für seine Ideoiogie war Moses der
Repräsentant des Vater-Status. Als ein Verkündiger der „Hoffnung" sei er nur in den
Tempelvorhof eingetreten. Christus ais Heiisträger des „Glaubens" sei wohl ins Innere
des Tempels eingedrungen. Doch erst ihm selbst ais Inkorporation der „Liebe" sei es vor-
behalten, ins Allerheiiigste des Tempeis einzugehen und im Kreis der iiebenden Famiiie
zu Amsterdam das Reich des heiligen Geistes zu eröffnen.

Wie an die Brüsseler DonMMCi zMCei/igcMAMe hat sich an diesen Amsterdamer Liebes-
tempel die Fama der Libertinage angeheftet. Vor aiiem ist den Anhängern des David
Joris ein „monströses Weiberregiment" und der Exzeß „ödipodäisAer Gelage" zugeschrie-
ben und in der Gerichtsverhandiung des Jahres ißßS mehreren Angekiagten ais Geständ-
nis abgefoitert worden. Auch hier ist heute noch die Frage offen, was sich tatsäAiich zu-
getragen hat.

Da die historische Überiieferung des schwer zu fassenden Adamitismus in ihrer Wider-
sprüAiichkeit versagt, bieibt nur e i n zuveriässiger Prüfstein für die Sittlichkeit des
Freien Geistes: die Prägung eines hochwertigen Menschenbiides, die
wenn irgendwo, so in der Ausgestaitung seines Grundidois: Adams, des Ebenbiides Got-
tes, sich bewähren muß. Auf die Menschwerdung dieses Gottessohnes drängt schon die
zwieiichtige Zwischenstunde des Dritten Schöpfungstages hin, worin die Nacht sich mor-
gendiich erheiit, das Meer aus seinem Schoß das Erdenrund entläßt, das Festiand sich ver-
pfianziicht und das Buschwerk animaiisiert, während die Regengüsse aus dem höchsten
Himmei kaum mehr zu verhalten sind, den Erdnabei des Paradieses zu befruchten, da-
mit ais Ausbund alier Schöpfungsstufen der urerzeugte Adam endiich in Erscheinung tritt.
 
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