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Fraenger, Wilhelm
Hieronymus Bosch "Das Tausendjährige Reich": Grundzüge einer Auslegung — Coburg, 1947

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https://doi.org/10.11588/diglit.29109#0054
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DER GARTEN EDEN

manche legendären Fußspuren geheftet hat, deren berühmteste der „A auf Cey-

lon ist. Jedoch in den Zusammenhängen eines Kuitgemäldes tritt dieses magische Motiv
so einmaiig und unvermittelt, gleichzeitig aber so bestimmt und überzeugend auf, daß es
sich nur ais eine die „GemeinsAaft mit dem Biute Christi" (i. Kor. 10, 16) hersteliende
Einweihungszeremonie der Jüngerschaft des Freien Geistes deuten iäßt.

Der esoterische Charakter dieser Szene tritt desto offensichtiicher hervor, wenn wir
sie mit der Menschenschöpfung des „Heuwagen" vergieichen, die eine grundvcrschicdcne
Auffassung der Gottheit, des Stammeiternpaares und der Menschheit zu erkennen gibt.
Auf diesem späteren *Werk erscheint der Demiurg aus seiner ungewohnten Jünglingshaf-
tigkeit in das traditioneli Patriarchaiische zurückverwandeit. Wo er zuvor ais „Bruder"
zwischen ebenbiidlichen Geschwistern stand, tritt er j'etzt ais unnahbar hohe Macht seinen
Geschöpfen gegenüber. Sein Attribut erstarrte, wie er seibst, zu dem mosaischen „Feisen"
(3. Mo. 32,4) wo das Wahrzeichen jenes jugendlichen Schöpfers der „Brunnen des ieben-
digen Wassers" aus der Offenbarung St. Johannis (21,6) ist.

So hat die Menschheit, die im Zug des „Heuwagens" zur Höiie trubeit, einen andern
SAöpfer, ais die erwählte Jüngerschaft des „Tausendjährigen Reiches". Samt ihren irdi-
sAen Regenten: Papst und Kaiser, steht jene unter dem Gesetz der „*Weit", dem Dekaiog
des riAtenden Jehovah. Die Auserwähiten aber ieben in der Freiheit einer Überweit, auf
deren Bürgen sie versiegeit sind: den Logos-Christus, der ais „Menschensohn" am Anfang
aiier Dinge und in der Mitte der durch ihn hervorgerufenen Schöpfung steht. Dort führt
der Sündenfaii in zunehmendem Größenmaß zur ewigen Gottentzweiung. Hier rcißt der
Stromkreis ursprüngiicher Gotteskindschaft nie entzwei. Denn der Gedanke an den Sün-
denfaii wird durch die in dem Menschensohn gewährieistete Heilsgewißheit derart über-
wogen, wie der kristaüene Lebensbrunnen den ganz unsAeinbar an den rechten Rand ge-
schobenen „Baum der Erkenntnis" — eine Datteipalme, um die sich eine SAiange ringeit
— überstrahit, während der „Baum des Lebens" über Adams Haupt sein dreimai drei-
geteiites (aiso trinitarisA heiisbedeutsames) Gezweig entfächert.

Auch die Gewichtsverteiiung der Komposition entspriAt der unterschiediiAen Vorher-
bestimmung: Auf dem „Heuwagen" steht das Weib ais Ursache des Bösen in dem Mittei-
punkt der Schöpfungsszene. Auf Evas senkrechten Emporstieg aus der Hüfte Adams spitzt
sich das Geschehen zu und wenn auch diesmai Adams Sohien an die Füße Gottes streifen,
so kann dies bestenfaiis im Sinne Augustins „die Kreatur ais Fußstapfen des Schöpfers",
nidit aber einen wiiiensmäßig aufgenommenen magisAen Rapport bedeuten, da Adam in
bewußtios tiefem Schiafe auf der Erde iiegt. Demgegenüber ist er auf dem positiven Biid
ein seiner Würde und Bestimmung voilbewußterGeistesträger. SeinHaupt in heiierWaA-
heit aufwärts richtend, wendet er sich in klar entfaltetem Profii — der für das spät-
gotische Stiigefühi „volikommensten" Erscheinungsform — dem Schöpfer zu und faßt das
neu erschaffene *Weib, das seinen Blick noch traumbefangen sAiießt, mit der gespannte-
sten Aufmerksamkeit ins Auge.
 
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