2 Theorien des problemlösenden Denkens
daran, dass eine gute Theorie etwas verbietet, also prinzipiell der Falschheit über-
führt werden kann, wenn man etwa in der Empirie ein durch die Theorie »ver-
botenes« Ereignis oder Objekt aufzeigen kann. Dies ist das Grundprinzip des von
Popper (1984) begründeten »kritischen Rationalismus«. Danach ist es forschungs-
technisch wesentlich ökonomischer, sich beim Testen der Annahme, dass alle
Schwäne weiß seien, auf die Suche nach schwarzen Schwänen zu begeben, als
immer nur weitere weiße Schwäne aufzuzeigen. Auch wenn ich tausende von
weißen Schwänen vorzeigen kann, falsifiziert doch schon ein einziges schwarzes
Exemplar diese Allaussage. Eine Theorie nach dem Motto »Kräht der Hahn auf
dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt, wie es ist« hat dagegen keinen
empirischen Gehalt, weil sie nichts verbietet: Egal was passiert, sie hat immer
recht! Gefordert werden daher klare Verbindungen zwischen theoretischen Kon-
struktionen und empirischen Ereignissen (»Manifestationen«), die prinzipiell wi-
derlegt werden können. Alles, was nicht widerlegt werden kann (wie z. B. die
Wetterprognose via Hahnenschrei), zählt daher auch nicht als gute Theorie.
Allerdings ist in der wissenschaftstheoretischen Debatte deutlich geworden, dass
bestimmte theoretische Rahmenvorstellungen etwa über die Rationalität mensch-
licher Handlungen nicht immer direkt mit der Empirie verbunden werden können.
Newell (1973) kritisiert den von Popper vorgeschlagenen Zugang als »discrimina-
ting approach«, da uns immer nur die noch nicht falsifizierten Erklärungsansätze
präsentiert würden und lediglich eine Akkumulation negativen Wissens in Form
von Falsifikationen stattfände. Stattdessen fordert Newell einen »approximating
approach« auf der Basis von Lakatos' (1982) Methodologie wissenschaftlicher
Forschungsprogramme. Dort wird zugelassen, dass es einen (invarianten) Kern von
Annahmen in Theorien gibt, der nicht in Frage gestellt und durch einen (variablen)
Schutzgürtel zusätzlicher Annahmen gestützt wird. Die Qualität konkurrierender
Forschungsprogramme zeige sich daran, ob es sich um progressive oder degene-
rative Theorieentwicklungen handele. Progressive Entwicklungen, die erstrebens-
wert sind, machen sich z. B. an der erfolgreichen Vorhersage noch nicht entdeckter
Phänomene fest, wie es etwa der modernen Evolutionspsychologie gelang (vgl.
Ketelaar & El Iis, 2000). Degenerative Entwicklungen könnten etwa bei Prob-
lemlösetheorien vorliegen, die sich gegen eine Gegenstandserweiterung auf kom-
plexe Probleme aussprechen oder die nur durch aufwändige Hilfshypothesen an
neue empirische Phänomene anpassbar sind.
Die Darstellung der verschiedenen theoretischen Ansätze folgt ihrer historischen
Genese und setzt mit dem Beginn experimentell orientierter psychologischer For-
schung Ende des 19. Jahrhunderts ein. In der Moderne sind nach Schönpflug
(2000) die drei großen Traditionen Behaviorismus, Kognitivismus und Tiefenpsy-
chologie richtungsweisend. Alle drei Richtungen haben sich mit dem Problemlösen
beschäftigt. Während der Behaviorismus hierbei die verstärkungsbedingte Um-
schichtung von nicht zielführenden Reaktionshierarchien als zentral ansah (siehe
Kapitel 2.2), war für den Kognitivismus die Wirkung bestimmter Gestaltprinzipien
(Ganzheitlichkeit und Prägnanz; siehe Kapitel 2.3) maßgeblich. Die Psychoanalyse
hat zwar keine dezidiert denkpsychologischen Theorien erstellt und auch keine
experimentellen Paradigmen beigesteuert, dennoch ist ihre Konzeption in diesem
Rahmen erwähnenswert (siehe Kapitel 2.4). Alle drei Ansätze sind insofern histo-
risch, als sie von der heute vorherrschenden funktionalistischen Theorie der Infor-
mationsverarbeitung abgelöst wurden (siehe Kapitel 2.5). Zusätzlich werden regel-
basierte und konnektionistische Modelle dargestellt, wie sie im Kontext kognitiver
40
daran, dass eine gute Theorie etwas verbietet, also prinzipiell der Falschheit über-
führt werden kann, wenn man etwa in der Empirie ein durch die Theorie »ver-
botenes« Ereignis oder Objekt aufzeigen kann. Dies ist das Grundprinzip des von
Popper (1984) begründeten »kritischen Rationalismus«. Danach ist es forschungs-
technisch wesentlich ökonomischer, sich beim Testen der Annahme, dass alle
Schwäne weiß seien, auf die Suche nach schwarzen Schwänen zu begeben, als
immer nur weitere weiße Schwäne aufzuzeigen. Auch wenn ich tausende von
weißen Schwänen vorzeigen kann, falsifiziert doch schon ein einziges schwarzes
Exemplar diese Allaussage. Eine Theorie nach dem Motto »Kräht der Hahn auf
dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt, wie es ist« hat dagegen keinen
empirischen Gehalt, weil sie nichts verbietet: Egal was passiert, sie hat immer
recht! Gefordert werden daher klare Verbindungen zwischen theoretischen Kon-
struktionen und empirischen Ereignissen (»Manifestationen«), die prinzipiell wi-
derlegt werden können. Alles, was nicht widerlegt werden kann (wie z. B. die
Wetterprognose via Hahnenschrei), zählt daher auch nicht als gute Theorie.
Allerdings ist in der wissenschaftstheoretischen Debatte deutlich geworden, dass
bestimmte theoretische Rahmenvorstellungen etwa über die Rationalität mensch-
licher Handlungen nicht immer direkt mit der Empirie verbunden werden können.
Newell (1973) kritisiert den von Popper vorgeschlagenen Zugang als »discrimina-
ting approach«, da uns immer nur die noch nicht falsifizierten Erklärungsansätze
präsentiert würden und lediglich eine Akkumulation negativen Wissens in Form
von Falsifikationen stattfände. Stattdessen fordert Newell einen »approximating
approach« auf der Basis von Lakatos' (1982) Methodologie wissenschaftlicher
Forschungsprogramme. Dort wird zugelassen, dass es einen (invarianten) Kern von
Annahmen in Theorien gibt, der nicht in Frage gestellt und durch einen (variablen)
Schutzgürtel zusätzlicher Annahmen gestützt wird. Die Qualität konkurrierender
Forschungsprogramme zeige sich daran, ob es sich um progressive oder degene-
rative Theorieentwicklungen handele. Progressive Entwicklungen, die erstrebens-
wert sind, machen sich z. B. an der erfolgreichen Vorhersage noch nicht entdeckter
Phänomene fest, wie es etwa der modernen Evolutionspsychologie gelang (vgl.
Ketelaar & El Iis, 2000). Degenerative Entwicklungen könnten etwa bei Prob-
lemlösetheorien vorliegen, die sich gegen eine Gegenstandserweiterung auf kom-
plexe Probleme aussprechen oder die nur durch aufwändige Hilfshypothesen an
neue empirische Phänomene anpassbar sind.
Die Darstellung der verschiedenen theoretischen Ansätze folgt ihrer historischen
Genese und setzt mit dem Beginn experimentell orientierter psychologischer For-
schung Ende des 19. Jahrhunderts ein. In der Moderne sind nach Schönpflug
(2000) die drei großen Traditionen Behaviorismus, Kognitivismus und Tiefenpsy-
chologie richtungsweisend. Alle drei Richtungen haben sich mit dem Problemlösen
beschäftigt. Während der Behaviorismus hierbei die verstärkungsbedingte Um-
schichtung von nicht zielführenden Reaktionshierarchien als zentral ansah (siehe
Kapitel 2.2), war für den Kognitivismus die Wirkung bestimmter Gestaltprinzipien
(Ganzheitlichkeit und Prägnanz; siehe Kapitel 2.3) maßgeblich. Die Psychoanalyse
hat zwar keine dezidiert denkpsychologischen Theorien erstellt und auch keine
experimentellen Paradigmen beigesteuert, dennoch ist ihre Konzeption in diesem
Rahmen erwähnenswert (siehe Kapitel 2.4). Alle drei Ansätze sind insofern histo-
risch, als sie von der heute vorherrschenden funktionalistischen Theorie der Infor-
mationsverarbeitung abgelöst wurden (siehe Kapitel 2.5). Zusätzlich werden regel-
basierte und konnektionistische Modelle dargestellt, wie sie im Kontext kognitiver
40