5 Das Lösen komplexer Probleme: Paradigmen und Befunde
5.1 Realitätsnahe Szenarios
Die ersten Studien zum komplexen Problemlösen versuchten in eindrucksvoller
Weise die komplexe Wirklichkeit ins Labor zu holen: Mit dem von Dörner
programmierten Szenario Schneiderwerkstatt (Tailorshop) wurde eine kleine
Management-Umgebung geschaffen, in der Probanden Rohmaterial einkaufen
sowie mittels vorhandener Maschinen und Arbeiter Hemden produzieren und
anschließend verkaufen mussten. Mit der ebenfalls in seiner Arbeitsgruppe erstell-
ten Simulation Lohhausen ging es von der Ebene einer kleinen Produktionsfirma
noch eine Stufe weiter, nämlich zur Nachbildung einer kleinen Kommune gleichen
Namens, der die Versuchspersonen als Bürgermeister vorstanden und um deren
Wohlergehen sie sich zu bemühen hatten. Schließlich wurde als dritter Prototyp die
Simulation eines kleinen afrikanischen Stammes (Tanaland, Dagu bzw. Moro)
produziert, bei der die Versuchsperson die Rolle eines Entwicklungshelfers ein-
zunehmen hatte.
Auf alle drei Szenarios soll nachfolgend genauer eingegangen werden, da sie die
Initialarbeiten darstellten, auf die sich später Nachfolger wie Kritiker bezogen. In
einem gewissen Sinn stellen diese Szenarios Instantiierungen des Konzepts »Kom-
plexes Problemlösen« dar, wie es in den 70er Jahren von Dörner begründet wurde.
Die amerikanische Forschung mit semantisch reichhaltigen Problemen (z. B. Bhas-
kar & Simon, 1977) ist damit nur bedingt vergleichbar, da deren Szenarien wesent-
lich beschränkter ausfielen.
5.1.1 Das LoHHAUSEN-Szenario oder: Wie Studierende zu
Bürgermeistern wurden
Das Bürgermeister-Szenario Lohhausen ist in mancherlei Hinsicht bemerkens-
wert: a) Es stellt bis heute vom Umfang her mit rund 2000 beteiligten Variablen
eines der aufwändigsten Szenarios (gemessen an der Zahl beteiligter Variablen) dar;
b) das Szenario wurde während der Bearbeitung durch die 48 studentischen Ver-
suchspersonen von 1200 auf 2000 Variablen erweitert, d. h., es »wuchs« während
der Datenerhebung um 67%! Diese Besonderheit erklärt sich dadurch, dass im
Laufe der Untersuchungen neue Module hinzuprogrammiert wurden, die den
Wünschen einzelner Versuchspersonen nach bestimmten sinnvollen (aber noch
nicht implementierten) Maßnahmen Rechnung tragen sollten. Natürlich verletzt
dies Grundprinzipien der Versuchsgestaltung, ist aber angesichts des bahnbrechen-
den und damit primär heuristischen Charakters der Untersuchung weniger tragisch.
Nicht rekordverdächtig, aber wahr: Lohhausen ist bis heute nicht repliziert
worden (und wird wohl auch nicht mehr repliziert werden können, da die Pro-
grammierumgebung auf einem Großrechner nicht mehr zur Verfügung steht). Die
damalige Notwendigkeit des Einsatzes eines Großrechners hatte im Übrigen zur
Folge, dass die Versuchspersonen nicht direkt mit dem System interagieren konn-
ten, sondern die Versuchsleiter eine zentrale Rolle übernahmen: Sowohl die Wün-
sche der Versuchspersonen als auch das Feedback des Systems konnten nur über
diese Zwischenstation vermittelt werden - und zwischen Eingabe und Ausgabe
konnte durchaus einige Zeit verstreichen.
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5.1 Realitätsnahe Szenarios
Die ersten Studien zum komplexen Problemlösen versuchten in eindrucksvoller
Weise die komplexe Wirklichkeit ins Labor zu holen: Mit dem von Dörner
programmierten Szenario Schneiderwerkstatt (Tailorshop) wurde eine kleine
Management-Umgebung geschaffen, in der Probanden Rohmaterial einkaufen
sowie mittels vorhandener Maschinen und Arbeiter Hemden produzieren und
anschließend verkaufen mussten. Mit der ebenfalls in seiner Arbeitsgruppe erstell-
ten Simulation Lohhausen ging es von der Ebene einer kleinen Produktionsfirma
noch eine Stufe weiter, nämlich zur Nachbildung einer kleinen Kommune gleichen
Namens, der die Versuchspersonen als Bürgermeister vorstanden und um deren
Wohlergehen sie sich zu bemühen hatten. Schließlich wurde als dritter Prototyp die
Simulation eines kleinen afrikanischen Stammes (Tanaland, Dagu bzw. Moro)
produziert, bei der die Versuchsperson die Rolle eines Entwicklungshelfers ein-
zunehmen hatte.
Auf alle drei Szenarios soll nachfolgend genauer eingegangen werden, da sie die
Initialarbeiten darstellten, auf die sich später Nachfolger wie Kritiker bezogen. In
einem gewissen Sinn stellen diese Szenarios Instantiierungen des Konzepts »Kom-
plexes Problemlösen« dar, wie es in den 70er Jahren von Dörner begründet wurde.
Die amerikanische Forschung mit semantisch reichhaltigen Problemen (z. B. Bhas-
kar & Simon, 1977) ist damit nur bedingt vergleichbar, da deren Szenarien wesent-
lich beschränkter ausfielen.
5.1.1 Das LoHHAUSEN-Szenario oder: Wie Studierende zu
Bürgermeistern wurden
Das Bürgermeister-Szenario Lohhausen ist in mancherlei Hinsicht bemerkens-
wert: a) Es stellt bis heute vom Umfang her mit rund 2000 beteiligten Variablen
eines der aufwändigsten Szenarios (gemessen an der Zahl beteiligter Variablen) dar;
b) das Szenario wurde während der Bearbeitung durch die 48 studentischen Ver-
suchspersonen von 1200 auf 2000 Variablen erweitert, d. h., es »wuchs« während
der Datenerhebung um 67%! Diese Besonderheit erklärt sich dadurch, dass im
Laufe der Untersuchungen neue Module hinzuprogrammiert wurden, die den
Wünschen einzelner Versuchspersonen nach bestimmten sinnvollen (aber noch
nicht implementierten) Maßnahmen Rechnung tragen sollten. Natürlich verletzt
dies Grundprinzipien der Versuchsgestaltung, ist aber angesichts des bahnbrechen-
den und damit primär heuristischen Charakters der Untersuchung weniger tragisch.
Nicht rekordverdächtig, aber wahr: Lohhausen ist bis heute nicht repliziert
worden (und wird wohl auch nicht mehr repliziert werden können, da die Pro-
grammierumgebung auf einem Großrechner nicht mehr zur Verfügung steht). Die
damalige Notwendigkeit des Einsatzes eines Großrechners hatte im Übrigen zur
Folge, dass die Versuchspersonen nicht direkt mit dem System interagieren konn-
ten, sondern die Versuchsleiter eine zentrale Rolle übernahmen: Sowohl die Wün-
sche der Versuchspersonen als auch das Feedback des Systems konnten nur über
diese Zwischenstation vermittelt werden - und zwischen Eingabe und Ausgabe
konnte durchaus einige Zeit verstreichen.
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