5 Das Lösen komplexer Probleme: Paradigmen und Befunde
neuen Verständnis häufig berichteter Dissoziationsphänomene bei diesem System.
Berichtet wurde nämlich von Untersuchungen mit der Sugar Factory, in denen
ein überraschendes Auseinanderklaffen der Leistungen beim Steuern der simulier-
ten Fabrik (= Können, implizit) und bei der nachträglichen Beantwortung von
Fragen über deren Funktionsweise (= Wissen, explizit) konstatiert wurde (vgl.
Berry &C Broadbent, 1984, 1987a, 1988): Gute Steuerung ging paradoxerweise
mit geringem Wissen über das System einher, hohes Wissen dagegen mit schlechter
Steuerung. Diese Dissoziation, die als Beleg für die Existenz zweier verschiedener
Lernprozesse und zweier Gedächtnissysteme herangezogen wurde und dadurch
theoretisch weit reichende Schlussfolgerungen bewirkte (zum impliziten Lernen
siehe Frensch & Rünger, 2003), erfuhr unter dem Blickwinkel der finiten Auto-
maten eine neue, wesentlich einfachere Interpretation: Danach scheint es geradezu
zwangsläufig, dass Personen, die das Zuckersystem gut steuern und sich daher oft
im Zielzustand befinden, genau deswegen weniger Wissen über andere Zustands-
übergänge dieses Automaten erwerben und daher in der anschließenden Befragung
schlecht abschneiden; umgekehrt verhält es sich bei denjenigen, die nur selten den
Zielzustand erreichen.
Eine Reihe weiterer nützlicher Aspekte dieses Werkzeugs für die Prob-
lemlöseforschung (z. B. Annahmen über Lernprozesse und die mentale Repräsen-
tation, Methoden der Wissenserfassung, systematische Konstruktion und Beschrei-
bung ganzer Klassen von Systemen) sind bei Buchner (1999) näher beschrieben.
Festzuhalten ist auch, dass die Konzeption eines Problemraums und seiner Zu-
stände, die von Newell und Simon (1972) vorgeschlagen wurde (vgl. Kapitel
2.5.2), hervorragend zu diesem Formalismus passt, der ja ebenfalls von Zuständen
und dem Wechsel dazwischen spricht.
5.2.3 Befunde aus Untersuchungen mit Szenarios auf der Basis
formaler Modelle
Bereits in den frühen Arbeiten der Bonner Arbeitsgruppe (Funke, Kleinemas,
Müller) wurden Nachweise dafür erbracht, dass bestimmte formale System-
attribute (wie z. B. Anzahl der Nebenwirkungen, Ausmaß an Eigendynamik) Aus-
wirkungen auf die Identifikation und Kontrolle eines unbekannten Systems be-
sitzen (vgl. für einen Überblick Funke, 1992, 1993a). Da in diesen Experimenten
mit artifiziellen Kleinsystemen zum ersten Mal überhaupt systematisch die Sys-
temattribute variiert wurden, sind diese Ergebnisse eigentlich nicht überraschend.
Analysiert man die Ergebnisse über die Auswirkungen verschiedener System-
attribute auf Wissenserwerb und Wissensanwendung genauer, könnte ein naiver
Betrachter den Eindruck gewinnen, hier würden Trivialitäten angehäuft nach dem
Motto »Eine Erhöhung der Anzahl von X verschlechtert die Bearbeitung« (für X
setze man ein: Nebenwirkungen, Eigendynamik, Zeitverzögerung etc.). Wäre dies
alles, müsste man diesem Eindruck fast Recht geben, obwohl auch die Überprüfung
von alltagspsychologischen Erkenntnissen zu den Aufgaben einer empirischen
Wissenschaft gehört.18
18 Der Physik kreidet man es ja auch nicht an, wenn dort erforscht wird, wie sich bei
steigender Füllung eines Kessels der Druck erhöht.
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neuen Verständnis häufig berichteter Dissoziationsphänomene bei diesem System.
Berichtet wurde nämlich von Untersuchungen mit der Sugar Factory, in denen
ein überraschendes Auseinanderklaffen der Leistungen beim Steuern der simulier-
ten Fabrik (= Können, implizit) und bei der nachträglichen Beantwortung von
Fragen über deren Funktionsweise (= Wissen, explizit) konstatiert wurde (vgl.
Berry &C Broadbent, 1984, 1987a, 1988): Gute Steuerung ging paradoxerweise
mit geringem Wissen über das System einher, hohes Wissen dagegen mit schlechter
Steuerung. Diese Dissoziation, die als Beleg für die Existenz zweier verschiedener
Lernprozesse und zweier Gedächtnissysteme herangezogen wurde und dadurch
theoretisch weit reichende Schlussfolgerungen bewirkte (zum impliziten Lernen
siehe Frensch & Rünger, 2003), erfuhr unter dem Blickwinkel der finiten Auto-
maten eine neue, wesentlich einfachere Interpretation: Danach scheint es geradezu
zwangsläufig, dass Personen, die das Zuckersystem gut steuern und sich daher oft
im Zielzustand befinden, genau deswegen weniger Wissen über andere Zustands-
übergänge dieses Automaten erwerben und daher in der anschließenden Befragung
schlecht abschneiden; umgekehrt verhält es sich bei denjenigen, die nur selten den
Zielzustand erreichen.
Eine Reihe weiterer nützlicher Aspekte dieses Werkzeugs für die Prob-
lemlöseforschung (z. B. Annahmen über Lernprozesse und die mentale Repräsen-
tation, Methoden der Wissenserfassung, systematische Konstruktion und Beschrei-
bung ganzer Klassen von Systemen) sind bei Buchner (1999) näher beschrieben.
Festzuhalten ist auch, dass die Konzeption eines Problemraums und seiner Zu-
stände, die von Newell und Simon (1972) vorgeschlagen wurde (vgl. Kapitel
2.5.2), hervorragend zu diesem Formalismus passt, der ja ebenfalls von Zuständen
und dem Wechsel dazwischen spricht.
5.2.3 Befunde aus Untersuchungen mit Szenarios auf der Basis
formaler Modelle
Bereits in den frühen Arbeiten der Bonner Arbeitsgruppe (Funke, Kleinemas,
Müller) wurden Nachweise dafür erbracht, dass bestimmte formale System-
attribute (wie z. B. Anzahl der Nebenwirkungen, Ausmaß an Eigendynamik) Aus-
wirkungen auf die Identifikation und Kontrolle eines unbekannten Systems be-
sitzen (vgl. für einen Überblick Funke, 1992, 1993a). Da in diesen Experimenten
mit artifiziellen Kleinsystemen zum ersten Mal überhaupt systematisch die Sys-
temattribute variiert wurden, sind diese Ergebnisse eigentlich nicht überraschend.
Analysiert man die Ergebnisse über die Auswirkungen verschiedener System-
attribute auf Wissenserwerb und Wissensanwendung genauer, könnte ein naiver
Betrachter den Eindruck gewinnen, hier würden Trivialitäten angehäuft nach dem
Motto »Eine Erhöhung der Anzahl von X verschlechtert die Bearbeitung« (für X
setze man ein: Nebenwirkungen, Eigendynamik, Zeitverzögerung etc.). Wäre dies
alles, müsste man diesem Eindruck fast Recht geben, obwohl auch die Überprüfung
von alltagspsychologischen Erkenntnissen zu den Aufgaben einer empirischen
Wissenschaft gehört.18
18 Der Physik kreidet man es ja auch nicht an, wenn dort erforscht wird, wie sich bei
steigender Füllung eines Kessels der Druck erhöht.
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